Erstellt am: 3. 5. 2012 - 15:58 Uhr
Journal 2012. Lieber Amadeus!
Wie immer in geraden Jahren erscheint das Journal 2012 spärlicher - ganz im Gegensatz zur Täglichkeit des Journal 2011.
Das klassische Fußball-Journal '12 begleitet wieder Bundesliga und Cup, ÖFB, Nationalteam, das europäische Geschäft, den Nachwuchs und das oft irrlichternde Umfeld.
Dazu kommen - nach dem Afrika-Cup, natürlich auch spezielle Journal-Reihen zur Euro im Juni und zu den London Olympics im August.
Die "normalen" Einträge erscheinen unregelmäßig. So wie heute, wo der Amadeus vom Dienstag Anlass gibt. Diesen einzigen österreichischen Popmusik-Preis begleite ich seit seiner Erstauflage 2000, als ich zufällig in den damals noch recht klein dimensionierte Event hineingestolpert bin. Vielleicht fühle ich auch deshalb eine gewisse Verrantwortung.
Lieber Amadeus!
Hallo! Du hast jetzt die dritte Veranstaltung nach deinem Relaunch hinter dir und solltest also kritikfähig sein. Die formalen Kinderkrankheiten sind weggefallen, auch die Vorjahrsausrede der falsch gewählten Location - die Rahmenbedingungen haben heuer gepasst. Es hätte also was sein können.
Und trotzdem - es war nix.
Gar nix.
Außer Gesichtslosigkeit, Überironisierung und falsch verstandene Publikumsnähe.
Als jemand, der dich seit deiner Geburt kennt und genau gar keine geschäftlichen Interessen in deiner Branche hat, kann ich das aus- und ansprechen, ohne in den Süppchen-Koch-Verdacht zu geraten. Und die Besserungsvorschläge machen, die mir nach zweimal drüber schlafen eingefallen sind.
Sind eh nur drei. Die dringendsten halt.
1) Eine sinnstiftender Branchen-Gipfel braucht eine Philosophie.
2) Ein Award ohne Laudatoren ist nichts wert. Und macht keine Stars.
3) Verwechsle doch bitte nicht altbackene Publikums-Beteiligung mit Transparenz.
Eine Branchen-Gipfel braucht eine Philosophie
Wir wissen's eh: Österreich ist klein, der Musik-Markt noch kleiner, die Sparten und Genres winzig. Und dann noch die Bedrohung der im letzten Jahrhundert noch funktionierenden Geschäftsmodelle. Ambros mag eigentlich nicht kommen, die Zillertaler haben Angst vorm schmelztiegeligen Osten, die HipHopper reden deppert daher. Die Welt ist schlecht und alles im Oasch. Eh.
Nachdem du aber der einzige Preis deiner Art bist und es nach zwölf Jahren geschafft hast, dass niemand so wirklich an dir vorbeikann, auch nicht der Ambros, die Zillertaler und die HipHopper, auch wenn sie noch so deppert daherreden, solltest du diese Aufgabe annehmen.
Und dazu stehen, was du bist und machst.
Diesen Jackassmäßigen Selbstbeschädigungs-Eiertanz um die eigene Bedeutungslosigkeit finden nicht einmal die Piefke charmant, die sonst alles österreichische schätzen. Der Markt mag bedeutungslos sein, aber, so meinte schon Caesar: "Lieber der Erste hier als der Zweite in Rom."
Du bist der österreichische Musikpreis.
Komm damit zurecht und hör auf, dich ständig dafür zu entschuldigen. Mach dich von mir aus über die Winzigkeit der Szene und die Verflochtenheit der Player lustig, aber auf einem gesicherten selbstbewussten Fundament. Selbstgeißelung, das zeigen dir die besten Ami-Stand-Ups, ist nämlich nur dann lustig, wenn man drübersteht und erst danach unerwartete Brüche einzieht. Wenn man es wirklich ernst meint, ist's nur lächerlich.
Natürlich ist das andere Extrem, das vorgestrig-reaktionäre Pathos, das heuer anlässlich der Ludwig-Hirsch-Würdigung vor allem von einem Mitmusiker zelebriert wurde, auch nicht anderes als der blanke Realitätsverlust.
Es gibt aber noch einen dritten Weg: sich und die Hervorbringungen ernst nehmen, so weit die das zulassen (aber schau: auch der Gabalier schafft das, problemlos), mit einem gewissen Stolz und auch dezentem Pathos drauf zugehen und dann den Schmäh einfließen lassen.
Das schaffst du, Amadeus, aber seit Jahren nicht. Und zwar weil du dieselben Fehler machst wie die Präsidenten der Fußball-Vereine (obwohl du die, wenn wir so privat reden, glasklar erkennst): du hast keine Philosophie entwickelt, und kannst sie dem jeweiligen Coaching-Team auch nicht vorgeben.
Also, trau dich und mach sowas wie ein Mission Statement, an das sich alle, die an dir herumwerkeln, halten müssen. Und lass dich auf keine Kompromisse ein: deine Philosophie steht über allem.
Wer keine hat, dem scheißen sie auf den Kopf.
Ein Award ohne Laudatoren ist nichts wert
Du hast keine Stars, Amadeus.
Die überwiegende Zahl derer, die deinen Preis entgegengenommen hat, verfügt über kein Gesicht. Zumindest keines, an das ich mich erinnern konnte, in dem Moment, wo sie die Bühne verlassen haben. Außer dem alten Goisern oder dem jungen Gabalier.
Ja, daran sind die Medien schuld und der Markt und die Winzigkeit, blablabla. Aber eben du auch.
Weil du dein Scherflein nicht beiträgst.
Weil du Laudatoren verweigerst.
Amadeus, check einmal alle gut funktionierenden Awards dieser Welt - warum schaut man da gerne zu?
Weil interessante Menschen anderen interessanten Menschen Preise übergeben und ein paar Worte dazu verlieren. Es geht also um Menschen und Sichtbarkeit.
Du lässt es seit eigentlich fast immer zu, dass außer den Preisträgern (und für ein paar lieblose Sekunden die anderen Nominierten) niemand gesehen wird.
Wie deppert ist das denn?
Wie sollen da jemals Gesichter zu Household-Names werden, wenn du deine eigene TV-Präsenz nicht nützt? Hol dir ein paar Sieger der letzten Jahre, die sich optisch aufgedrängt haben und nimm dazu die paar echten Stars, die es gibt, und lass sie verleihen. Es kostet nix und bringt allen was. Schick doch den Skero, die Bauchklangs, den Fendrich, die Stürmer, den Semino Rossi oder die Soap&Skin auf die Bühne und lass sie machen.
Und weil du ja, wenn du Punkt 1 inhaliert hast, über eine Philosophie verfügst, schreibst du die Texte für die Laudatios ja eh vor, wenn nötig dann in Zusammenarbeit mit den Stars oder den Fresh Faces. Es gibt also nix zu befürchten. Vom Zettel lesen wie die Kapital-Sprachfehler-Mamsell von heuer können die auch, ich schwöre.
Stars kommen nicht zustande, indem man die Menschen versteckt, sondern indem man sie ausstellt.
Dass es dazu nützlich wäre, wenn die Proponenten, die sich durch diese Ausstellung zusätzliche Popularität erhoffen, ein wenig paradiesvogeliger, oder zumindest wiedererkennbar daherkommen würden - logisch.
Vielleicht brauchen die 3Feet-Achterl-Schädl-Stelar-BigBandClubs, die sich weder optisch noch inhaltlich unterscheiden ließen, auch so etwas wie eine Bekleidungs-Guideline.
Aber das ist dann schon der nächste Schritt. Zuerst musst du dich trauen, richtige Menschen auf die Bühne zu lassen, solche, die ein Versprechen bezüglich Charisma sind.
Und scheiß dir nicht vor den Fernseh-Leuten ins Hemd - die lehnen immer alles ab, was ihnen zwei Minuten mehr Arbeit macht. Du definierst die Philosophie, also bestimmst du auch die Laudatoren.
Verwechsle nicht Publikums-Beteiligung mit Transparenz
Es ist eh grad ein Kreuz mit dem Mainstream und den neuen Medien. Da verbietet eine Medienbehörde dem ORF die Präsenz auf Social Media-Seiten, weil sie die nicht als Ausspielkanal, sondern als Geschäftspartner begreift. Und da wird permanent inhaltliche Tranparenz mit manipulierbarer Publikums-Beteiligung verwechselt.
Dabei wäre das - ich darf nur das Stichwort "Piraten" geben - alles gar nicht so schwierig. Nicht umsonst ist ja sogar die hackeraffine ÖH gegen das E-Voting (und hat es dann auch per Einspruch gekippt), aber sehr wohl für die Partizipation via Wikis.
So wie das aktuell bei dir abläuft, Amadeus, mit dem Voting, ist das noch ziemlich Web 1.0, also fehleranfällig und leicht auszuhebeln. Ich will ein Beispiel geben ohne Namen zu nennen: wir haben vor Jahren beim FM4-Award die mit allerlei linken Tricks zusammengetricksten Stimmen für eine Band annuliert (weil unsere Experten das früh gecheckt haben). Just diese Band hat heuer, dank Voting, einen Preis bei dir abgestaubt. Was'n Zufall.
Wenn es also darum geht, dass die Acts mit den effektivsten Tools, der besten Manipulations-Kenntnis oder auch nur jene mit der Fanbase, die das am besten kann, gewinnen und nicht die mit den wirklich meisten Fans, dann ist das Voting den Ausdruck des Algorithmus, auf dem es basiert, nicht wert.
Und überhaupt: Fan-Votings sind, vor allem seit die Casting-Mania dieses Tool für sich entdeckt und damit auch schon wieder komplett entwertet hat, nur noch was für Eintagsfliegen. Seriöse Partizipation läuft mittlerweile über ganz andere Kanäle.
Wenn du allerdings wirklich Mut hast, Amadeus, dann entscheidest du dich für die große, die radikale Lösung und führst, vor allem in den Genre-Kategorien, ein Jury-Voting ein. Das wird dann zwar geschmäcklerischer, aber du kriegst ein künstlerisch wertvolleres und auch ein spektakuläreres Ergebnis. Weil Experten nämlich auch immer das Gestern und das Morgen zum Heute mitdenken.
Das gilt im Übrigen auch für den FM4-Award. Der ist zwar manipulationssicherer, aber trotzdem. Ich halte das Voting in dieser Form für überlebt.
Das Gesuder über Jury-Wertungen, in der Musikbranche sowieso Teil der Folklore, ist zu überleben. Vor allem im Bewusstsein, dass du so nicht dauernd den Kampf um die neuen Techno-Tricks kämpfen musst. Und letztlich entspricht das auch durchaus dem Piraten-Modell der liquiden Transparenz: auch dort kann/soll man in Bereichen, in denen man sich nicht so gut auskennt, Experten delegieren.
Außerdem: wenn du zwei, drei Publikumspreise hast, kannst du das auch wirkungsvoller nach außen verkaufen, als ein System, bei dem, wie in der Schweiz, jeder Schas für alle wählbar ist. Und für das vom Casting-Müll ans Voting gewohnten User kannst du ja einen Eintagsfliegen-Preis ausrufen. Nenn ihn halt Überraschung oder Gag des Jahres. Da hätten die netten Vorarlberger durchaus gut hingepasst.
Ich denke, das ist alles nicht zu viel verlangt...
... dass du dir einmal wirklich überlegst, wer du bist und das auch nach außen kommunizierst; dass du deine Proponenten nicht versteckst, sondern gut ausgeleuchtet ins Rampenlicht stellst; oder dass du dich aus der Umklammerung eines althergebrachten und überholten Audience-Participation-Denkens befreist.
Ich bin davon überzeugt, dass du damit eine deutlich breitere Brust kriegst, Amadeus. Und dann nicht noch einmal ein Jahr auslassen musst, weil du so an dir zweifelst. Du bist nicht der Nabel der Welt, aber auch nicht das bedeutungslose Würstl, als das du dich Jahr für Jahr in entschuldigenden Verbiegungen präsentierst. Du bist ein Ereignis, das Halt geben soll, einer ganzen sehr inhomogenen Branche. Also steh grad.