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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

2. 5. 2012 - 12:21

Der parkende Raser auf der roten Rakete

Als mein Vater ein Kind war, träumte er davon, Kosmonaut zu werden. Die kommunistische Propaganda berichtete unaufhörlich über die Erfolge der sowjetischen Raumfahrtbehörde und alle bulgarischen Kinder der 60er-Jahre schauten zum Himmel empor.

Georgi Iwanow

spacefacts.de

Der bulgarische Kosmonaut Georgi Iwanow

Der Traum meines Vaters ging so weit, dass er sogar einmal seinen Kopf in einen Globus steckte und so tat, als würde er einen Astronautenhelm tragen. Sein Spaziergang durch den Weltraum endete aber tragisch. Sein Kopf blieb im Globus stecken und seine Eltern mussten den danach durchsägen, um meinen armen 10-Jährigen Vater daraus zu befreien.

Ich träumte nicht vom Weltall. Der Raumfahrtwettbewerb zwischen den zwei Weltsupermächten war vorbei und die Menschheit hatte neue Probleme. Der Kosmos war zu weit und zu kalt oder vielleicht zu heiß, aber in jeden Fall unattraktiv für meine Generation.

Mein großer Traum war es, einen Lastwagen zu besitzen – rot mit einer gelben Karosserie. Mein Vater, der doch kein Kosmonaut geworden ist, versuchte alles, um den Wunsch seines Sohnes zu erfüllen. In ganz Sofia der 90er aber fand sich weit und breit kein roter Lastwagen. Stattdessen bekam ich ein mit Tretpedalen ausgestattetes Auto.

Das Auto - Marke Toyota - war für mich etwas Wunderbares. Ich betrachtete es wie verzaubert und setzte mich mit großer Freude drauf. Nur eins wollte ich auf gar keinen Fall: Damit fahren. Der misslungene Kosmonaut versuchte seinem idiotischen Sohn beizubringen, dass man auf die Pedale drücken muss, damit sich das Auto in Bewegung setzt. Das verstand ich nicht. Ich brauchte das Auto gar nicht zum Fahren. In meiner Vorstellung fuhr ich bereits, die tatsächliche Fortbewegung war für mich überflüssig.

Mein Vater akzeptierte aber nicht, dass er so viel Geld für dieses blöde Auto ausgegeben hatte und ich nicht damit fahren wollte. Er nahm ein langes Seil, band das Auto an und versuchte mich durch die Gegend zu ziehen. Ich aber verzichtete auf das Lenken und landete nach einigen Metern immer im Gebüsch. Mein Vater gab auf. Ich ging nie wieder mit dem Spielzeugauto aus dem Haus. Irgendwann entdeckte mein kleiner Bruder die rote Rakete. Nachdem er mit dem Toyota ungefähr tausend Runden ums Haus gefahren war, wurde es ihm dann doch langweilig und er entschied sich, gerüstet mit einem Hammer in der Hand, lieber Werkstatt zu spielen. Einige Jahre danach warfen wir den abgewrackten, vollkommen zerstörten Toyota in den Müll.

Zu meinem zehnten Geburtstag schenkte mir meine Oma ein Fahrrad. Es hatte einen glitzernden Rahmen, der wunderbar die Sonne reflektierte. Das Fahrrad war so schön, dass ich mir die ganze Zeit vorstellte, wie ich um die Welt reiste und vielleicht bei der Tour de France mitmachte. Ich wollte aber wiеder nicht aufsitzen. Meine Großmutter konnte nicht verstehen, dass ihr Enkel nicht Fahrrad fahren will. Um mir zu zeigen, wie leicht es ist, bestieg sie das Fahrrad. Das Ergebnis war, dass sie die nächsten zwei Monate mit einem Arm im Gips verbrachte. "Ich nehme das Fahrrad, für deine Enkelkinder", sagte meine Oma und steckte es in den Keller. Wo es heute ist, weiß nur sie.

Seitdem schenkt mir kein Verwandter mehr etwas "Mobiles", außer Schuhe. Ich träume davon, eines Tages magische Schuhe zu bekommen und ich werde damit fliegen wie der Kleine Muck. Papa, ich verspreche dir, dass ich dann den Kosmos bereise und dir erzählen werde, wie es dort ist.