Erstellt am: 1. 5. 2012 - 13:02 Uhr
Dream Team
Schon lange habe ich kein sogenanntes Press Junket mehr euphorischer verlassen. Während manche Gruppeninterviews, die von Filmfirmen für Journalisten organisiert werden, nur aus gleichgültig abgespultem Promotion-Blabla bestehen, liegt hier etwas Besonderes in der Luft. Fast ein Hauch von Elektrizität. Ich spüre das Britzeln noch stundenlang.
Tom Hiddleston, Chris Helmsworth und Mark Ruffalo stehen hintereinander in einem Berliner Hotel zu „Marvel’s The Avengers“ Rede und Antwort. Die zweite Liga, könnten manche boshaft meinen, denn Superstars wie Robert Downey Jr. und Scarlett Johansson sind zu Hause geblieben. Aber Loki, Thor und Dr. Bruce Banner machen die Abwesenheit der großen Namen mehr als wett.
Da ist Hiddleston, der britische Dandy mit der distinguierten Bühnensprache, der verbissene Method Actors im Interview ebenso belächelt, wie es sein Vorbild Anthony Hopkins tut. Dann Helmsworth, ein Shootingstar im Actiongewerbe, der so viel australische Bodenständigkeit verstrahlt, dass ein Teil der Pressemenschen mit ihm wohl sofort Pferde stehlen und Surfbretter besteigen würde. Schließlich Ruffalo. Der unfassbare Mark Ruffalo. Ein Mann, dessen geballte Smartness mich sprachlos macht.
Marvel
Alle drei, der Engländer, der Australier und der an diesem Tag coolste Amerikaner des Planeten sprühen vor Begeisterung über den Film, der sie zusammengeführt hat. Sie schwärmen über die großzügigen Produktionsbedingungen und bejubeln den Regisseur und Drehbuchautor, bei dem alle Fäden zusammengelaufen sind, the one and only Joss Whedon. Es ist ein Enthusiasmus, der nicht einstudiert wirkt und der sich auf die anwesende Presse-Runde überträgt.
Beim Einpacken meines Aufnahmegeräts fällt mir die fiebrige Aufregung ein, als ich als Kind mein erstes „Die Rächer“-Heft durchgeblättert habe. Diese kaum definierbare Energie, die sich aus Naivität, Pathos, Witz und dem Glauben an Wunder speist, strahlten damals weder Superman noch der entschieden charismatischere Batman aus. It’s a Marvel thing you have to understand.
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Jahrelange Vorfreude
Beim Verlassen der Pressevorführung, ein paar Tage vor dem Interviewzirkus, bin ich nicht ganz so verzückt. Ich mag „The Avengers“, amüsiere mich wunderbar in den zweieinhalb Stunden, aber wieder einmal kommt die hohe Erwartungshaltung – der heilige Comic-Gral, die umwerfende Besetzung, der bestgeeignete Regisseur – der Filmerfahrung in die Quere.
Dabei wurde die Vorfreude auf dieses Megaepos ja auch geschürt wie bei wenig anderen Streifen. 2008, als „Iron-Man“ wie eine Bombe an den Kinokassen einschlägt, beginnt alles mit einem kleinen Insiderjoke nach dem Abspann. Samuel L. Jackson taucht da als der legendäre Nick Fury der Geheimorganisation S.H.I.E.L.D. auf und erzählt dem Titelhelden von der „Avengers Initiative“, ein Satz, der die eingefleischten Fans rund um den Globus ganz kribbelig macht.
Es ist der erste Streifen, den die Filmabteilung des Comickonzerns Marvel selbst finanziert, bald setzt sich eine geölte Maschinerie aus Eigenproduktionen in Gang, in denen immer wieder Teaser und Abspielungen auf ein großes Ganzes versteckt sind. „The Incredible Hulk“, „Thor“, „Captain America: The First Avenger“ finden ihren Weg ins Kino, im Fall von Iron-Man wird eine ganze Serie angedacht.
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„Ich glaube Robert Downey ist an allem schuld“, grinst Mark Ruffalo in Berlin. „Er hat den Weg vorgegeben für die Entwicklung, und ihm ist es auch verdanken, dass die Produzenten an jemanden wie mich gedacht haben“. Unzweifelhaft ist das Casting die Geheimwaffe der Marvel-Macher, avancierte Akteure wie Edward Norton, Natalie Portman oder Stellan Skarsgård verirren sich in die grellen Comicgeschichten.
Als sich allmählich ein Blockbuster ankündigt, in dem tatsächlich die Avengers zusammenfinden, neben den X-Men und den Fantastic Four das sagenumwobenste Marvel-Dream-Team, wird das Schauspielerthema aber auch zum potentiellen Problemfall. Ist ein Overkill an Stars und Superhelden, Bösewichten und Mythologien nicht automatisch zum Scheitern verurteilt? Verderben zu viele Köche in knallbunten Trikots nicht den Brei?
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Gruppenbild mit Dame
Dann kommt irgendwann die Meldung, dass definitiv kein unsensibler Feldmarschall á la Michael Bay die gigantische Unternehmung „The Avengers“ dirigieren wird. Sondern ein intellektueller Genre-Innovator namens Joss Whedon. Der Geekgodfather und Schöpfer gefeierter Fernsehserien soll die unmögliche Aufgabe erfüllen, all die Charaktere in einen Film zu pressen. Er muss Fanhoffnungen erfüllen. Und natürlich auch das unbefangene Massenpublikum rocken.
Auch jetzt, nach dem zweiten und weitaus emotionalerem Ansehen des Films denke ich mir: Diesen Zwängen kann gar kein Drehbuchautor oder Regisseur gerecht werden. Man spürt, wie sich manchmal das Skript verbiegt, nur damit Iron-Man, Thor, Hulk, Captain America, Hawkeye und Black Widow auch halbwegs gleichwertige Auftritte haben, ohne dabei den fiesen Loki, Samuel Jackson als Teamleader, oder den schrulligen Agent Coulson zu vergessen.
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Gänzlich Uneingeweihte, die den bisherigen Marvel-Film-Countdown verpassten, haben in dem Superhelden-Durcheinander wahrscheinlich wenig Durchblick. Oder zumindest werden all jene, die weder „Thor“ noch die „Iron Man“-Filme oder „Captain America“ gesehen haben, die zahlreichen Geplänkel der übermenschlichen Protagonisten relativ ungerührt betrachten.
Joss Whedon knüpft nämlich direkt an die Vorgänger an, verzichtet auf Erklärungen und Backstories, setzt die Mythologien voraus. Fast wie ein direktes „Thor“-Sequel startet der Film mit der Ankunft des nordischen Gottes Loki auf der Erde, die er mit seinen monströsen Heerscharen unterwerfen will.
Die Fantasy-Dimension, die durch die Präsenz des finsteren Kerls in die Geschichte kommt (auch wenn ihn Tom Hiddleston köstlich verkörpert) scheint fast too much in einer Story, in der es vor Handlungssträngen rund um mutierte Wissenschaftlern, Supersoldaten und Spezialagenten wimmelt.
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Team America: World Police
Aber bevor sich diese Zeilen hier wie nörgelnde Kritik anhören: Bei allen Schwierigkeiten, die durch die immense Größe des Ensembles erwachsen, holt Joss Whedon aus den einzelnen Figuren doch ein Maximum heraus.
Eine vermeintliche Propaganda-Ikone wie Captain America (Chris Evans) mildert der linksliberale Regisseur soweit ab, dass ein fast schon liebenswürdiges Portrait eines anachronistischen Kriegers entsteht. Der Chef der amerikanischen Weltpolizei darf im Laufe der Story auch ernsthaft an der Aufrichtigkeit seiner Regierung zweifeln. Dem potentiell etwas unfreiwillig komischen Donnergott Thor (irgendwie wird Helmsworth immer sympathischer) verpasst er ebenfalls einen sanft ironischen Touch, ohne sein Heldenimage zu beschädigen.
Überhaupt ist der Humor, der sich in Form genialer Oneliner durch „The Avengers“ zieht, ganz im Sinne der Comicvorlagen. Neben dem Außenseiterfaktor und der Tragik, die aus dem Leben als Mutation erwächst, gehört das glucksende Lachen zur Marvel-Essenz, zumindest der Gründerväter Stan Lee und Jack Kirby. Der erneut phänomenale Robert Downey Jr. hat dabei als Tony Stark natürlich leichtes Spiel, ihm legt Whedon die besten Sätze in dem Mund.
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Eine andere Stärke des Autors und Filmemachers sind die starken Frauenfiguren, die sich durch sein Schaffen ziehen. Auftritt Scarlett Johansson als Black Widow, die das Klischee vom attraktiven Aufputz im kostümierten Männerbund auf mitreißende Weise ad absurdum führt. Man wünscht ihr ebenso einen eigenen Film wie dem (un-)heimlichen Star der ganzen Riege. Mark Ruffalo fasziniert als labiler Bruce Banner ebenso, wie er als erstmals via Motion-Capturing-Technologie perfekt umgesetzter Hulk das Publikum mitreißt.
Was bleibt unterm Strich von der 220 Millionen teuren Parade der exzentrischen, eitlen, egomanischen Superhelden? Ein charmantes Insiderfest für Comicliebhaber und Marvel-Afficionados, ein fast schon zu geballter Action-Wahnsinn, ein teilweise dramaturgisches Ächzen und Stöhnen. Vielleicht kann man am gigantischen Universum der Avengers ohnehin filmisch nur scheitern. Wenn ja, dann hat es Joss Whedon auf höchst unterhaltsame, spektakuläre und lässige Weise getan.
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