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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

30. 4. 2012 - 17:06

Krise on stage

Die Wiener Festwochen stürzen sich dieses Jahr in soziale, wirtschaftliche und menschliche Krisen. Wir lassen uns mitreißen.

Das Wiener Theaterfestival präsentiert heuer zwischen Burgtheater und Meidlinger Platz 36 Produktionen aus 24 verschiedenen Ländern. Sie erzählen von überkommenen und herrschenden Diktaturen, von sozialem Abstieg, Drogenmissbrauch, Rassismus und kranken Männerfantasien.

Klingt abgründig und düster, wird aber sicherlich großartig!

Hier ein paar Empfehlungen für die kommenden Wochen:

Leben in Einsamkeit

Von 12. bis 20. Mai im Museumsquartier, Halle E

Zum Auftakt des Schauspielprogramms tritt die wunderbare Cate Blanchett auf die Bühne. Sie spielt die Lotte Kotte in einer neuen Version von Botho Strauß' deutschem Drama "Groß und klein" [Big and Small] aus dem Jahr 1978.

Cate Blanchett in "Groß und Klein"

Lisa Tomasetti 2011

Cate Blanchett in "Groß und klein"
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Mit freundlicher Unterstützung von A1

Kritiker aktueller Inszenierungen verweisen gern auf die prophetischen Züge des Stücks, weil es von der Vereinzelung des Menschen trotz kompletter sozialer Vernetzung handelt. Auch Cate Blanchett stellt nun eine Frau mit Anschlussproblemen dar. In einer Welt grenzenloser Kommunikation wird ihr eine Telefonzelle zum Zufluchtsort.

Einsamkeit scheint auch das bittere Motiv in Ulrich Seidls zweiter Theaterarbeit "Böse Buben" zu sein. Der Filmemacher hat David Foster Wallaces "Kurze Interviews mit fiesen Männern" für die Bühne adaptiert, und präsentiert ein unerbittliches Stück über den Österreicher, seine Keller, männliche Versagensängste und Gewaltfantasien.

Von 5. bis 11. Juni im Theater Akzent

Es spielen Laien gemeinsam mit den verlässlichsten heimischen Darstellern von virilem Psychopathentum, Paulus Manker und Georg Friedrich.

Szenenfoto aus Ulrich Seidls Theaterstück "Böse Buben"

Conny Mirbach

Ulrich Seidls "Böse Buben" entblößen ihre Gewaltfantasien

Von 24. bis 27. Mai im Museumsquartier, Halle G

In "Ganesh vs. the Third Reich" von Bruce Gladwin und den SchauspielerInnen des Back to Back Theatres aus Melbourne reist der elefantenköpfige Hindugott Ganesh nach Nazideutschland, um die von Hitler missbrauchte Swastika zurückzuholen. Diese Geschichte wird als Stück im Stück erzählt, das sein Publikum in makabre Widersprüche verheddert: Menschen mit Behinderungen spielen Nazis, sadistische Regisseure inszenieren Freakshows.

Szenenfoto Ganesh vs. The Third Reich

Jeff Busby

"Ganesh vs. the Third Reich"

Leben in Mehrheitsgesellschaften

Aktuelle statt historische Formen von Diskriminierungen stellen die Wiener Festwochen mit einigen Produktionen rund um das Thema Integration in den Vordergrund.

2. bis 6. Juni im WUK

Alexander Nikolic lässt in seiner mehrteiligen "New Bohemian Gastarbeiter Opera" Jörg-Haider-Look-Alikes und Jörg-Haider-Stimmimitatoren aufmarschieren. Tipp: Die erste öffentliche Probe startet am Montag, 30. April, um 20.30 Uhr im BOEM in der Koppstraße 26 im 16. Bezirk.

31. Mai bis 3. Juni im Donauturm

Oleg Soulimenko stellt in seiner Dokuperformance "Made in Austria" neun "Integrationserfolgsgeschichten" vor. Vom tadschikischen Zahnarzt über den türkischen Marktverkäufer bis zur US-amerikanischen Mitarbeiterin der IAEO erzählen MigrantInnen im rotierenden Kaffehaus am Wiener Donauturm von ihrem Leben in Österreich.

Von 31. Mai bis 16. Juni am Urban-Loritz-Platz, im Museumsquartier und am Meidlinger Platz

Die routinierten Krawallmacher von God's Entertainment wiederum drehen den Spieß um, und fordern "Österreicher, integriert euch!". An drei Orten in Wien werden mobile Integrationslager aufgestellt, die vorübergehend von VertreterInnen verschiedener Minderheiten bewohnt werden. Jene, die sich als waschechte WienerInnen fühlen, können dort mittels "Fremdenscanner" und "Personal Indicator" ihren Xenophobiefaktor z.B. gegenüber Mitbewohnerinnen aus Ex-Jugoslawien oder Schwarzafrika ermitteln. Anschließend werden verschiedene Pakete zur Überwindung dieser Ängste angeboten. NichtösterreicherInnen bleibt der Besuch dieser Integrationsmaßnahme ausnahmsweise einmal erspart.

Leben in Europa

Von 12. bis 15. Juni im Theater an der Wien

Der britische Star-Dramatiker Simon Stephens verpackt die Schwierigkeiten gesellschaftlichen Zusammenlebens in ein Stück über Menschenhandel und Zwangsprostitution. "Three Kingdoms" ist ein Theaterkrimi, der sein Publikum durch ganz Europa jagt. Ausschnitte, die schon auf der Pressekonferenz zu sehen waren, versprechen scharfzüngige Pointen, Tiefgang und bitterbösen Humor.

Szenenfoto Three Kingdoms

Arno Declair

"Three Kingdoms"

Von 9. bis 10.6. im Volkstheater

Nicht ganz so lustig wird vermutlich das Dokuperformance-Projekt "Prometheus in Athen". Helgard Haug und Daniel Wetzel vom Rimini Protokoll haben schon vor zwei Jahren AthenerInnen zur politischen Lage ihres Landes befragt und gefilmt. Die InterviewpartnerInnen treten nun quasi aus dem Film heraus, und sprechen über Stimmung und Zustände in Griechenland heute.

Leben in Postdiktaturen

Unter dem Titel "La vida después" ("Das Leben danach") bringen die Festwochen auch heuer wieder einen Lateinamerika-Schwerpunkt auf die Wiener Bühnen. Junge AutorInnen und RegisseurInnen, die erst nach dem Fall der Diktaturen in ihren Heimatländern aufgewachsen sind, erforschen ihre Herkunft und Möglichkeiten von Widerstand.

Von 26. bis 28. Mai im Palais Kabelwerk

Jorge Hugo Marín aus Bogotá inszeniert "Sobre algunos asuntos de familia" ("Familienangelegenheiten"), eine Trilogie, die den gesellschaftlichen Alltag im heutigen Kolumbien im Querschnitt zeigt. Wie ein heimlicher Beobachter schaut das Publikum in die Küche einer Studenten-WG, die ihren Vermieter umgebracht hat, ins Wohnzimmer einer Mittelklassefamilie, die sich darum streitet, wer die alte Mutter pflegen soll, und zur Geburtstagsparty einer 15-Jährigen, dessen Vater zur Drogenmafia gehört.

Szenenfoto aus Sobre algunos asuntos de família

George Moreno

"Sobre algunos asuntos de família"

Von 24. bis 27. Mai im brut im Künstlerhaus

"El rumor del incendio" ("Die Sprache des Feuers") vom mexikanischen KünstlerInnen-Kollektiv Lagartijas tiradas al sol bringt den Lebenslauf einer Kämpferin aus der Guerilla-Bewegung zwischen 1960 und 1990 auf die Bühne.

13. bis 16. Mai im brut im Künstlerhaus

Die argentinische Autorin Lola Arias fragt sich in "Melancolia y manifestaciones" ("Melancholie und Protest") , was Depressionen mit politischen Demonstrationen zu tun haben.

Von 18. bis 21. Mai im brut im Künstlerhaus

Und Guillermo Calderón aus Chile setzt sich in Villa + Discurso ("Villa + Ansprache") mit Folteropfern der Pinochet-Diktatur auseinander.

Leben in anderen Welten

Die Veranstaltungsreihe "Into the City" hat heuer angefangen von einem eigenen Festivalzentrum in der Quellenstraße, etlichen Workshops und einem Blog von StadtbewohnerInnen, so einiges zu bieten, und wird demnächst an dieser Stelle noch extra besprochen.

Von 13. bis 20. Mai an verschiedenen Orten in Wien

Ein Projekt, das euch allerdings jetzt schon ans Herz zu legen ist, ist "Paradis Artificiels" von Jörg Lukas Matthei. Der Konzeptkünstler macht mit einem alten Wohnwagen, den er in eine mobile Forschungs- und Radiostation umgebaut hat, an mehreren Orten in Wien Station. BesucherInnen können sich mithilfe von extra produzierten Audioportraits auf die Spuren von Menschen machen, die intensive Drogenerfahrungen gemacht haben - vom Karlsplatz-Junkie bis zum unscheinbaren Fonds-Manager.

Am 5.6. im Wien Museum

Das Projekt Gran Lux: Lange Nacht mit Film und Performance widmet sich schließlich mit Leidenschaft, Do-it-yourself-Workshops und kratzigen Vorführungen ganz dem analogen Film. Wer braucht schon digitale Kopien? Teufelszeug!

Granlux, Filmmaterial

Kristaps Kalns

"Granlux"

Leben in der Natur

Von 15. bis 17. Juni auf Vogeltennwiese und Jubiläumswarte

Im Rahmen des Unplugged-Festivals "Up to Nature" begeben sich junge europäische KünstlerInnen in Zeiten von Klimawandel, Urbanisierung und Rohstoffausbeutung ins Grüne. Präsentiert wird eine wilde Mischung aus Performances, Installationen und Happenings im Wienerwald, die sich mit Umweltfragen und dem Verhältnis zwischen Stadt- und Naturräumen beschäftigen. Geboten werden Baum-Puzzles, Tree Theatre, Animal Dances, Survival-Training, schamanische Rituale für Naturgeister und jede Menge mehr.

All das ist, neben einer ganzen Reihe anderer sehenswerter Produktionen, nur eine kleine Auswahl aus dem diesjährigen Festwochen-Programm. Der Vorverkauf hat bereits gestartet. Die Festwochen-Eröffnung findet am 11. Mai 2012 um 21.20 Uhr am Wiener Rathausplatz statt.