Erstellt am: 30. 4. 2012 - 03:06 Uhr
Brennpunkt Brooklyn
Donaufestival 2012
Alles zum Nachlesen auf fm4.orf.at/donaufestival2012
Das musikalische Hauptabendprogramm am Sonntagabend ist das konzentrierteste und am stimmigsten zusammengestellte des gesamten Festivals. Vier Acts - neben und mit der CocoRosie-Schiene - gibt es zu erleben, die hip und hot sind, keine Angst, Feinde des Populären - und sehr, sehr gut noch dazu.
Den Auftritt von Atlas Sound hat Kollegin Susi Ondrusova gesehen:
Achtung, wichtiger Hinweis: Nach ihrer Performance mit Laurie Anderson am Samstag werden Light Asylum am Montag noch ein spontanes, Überraschung quasi, reguläres - eventuell kurz gehaltenes - Set mit eigenen Stücken spielen.
"Bradford Cox aka Atlas Sound ist müde und erzählt, er sei im Bus aufgewacht und habe sofort ein déjà-vu gehabt: “Wait a second I´ve been here before with the Liars!“ So wird kurzerhand Krems zu Ebensee erklärt, wo Herr Atlas Sound mit seiner Band Deerhunter vor ein paar Jahren aufgetreten ist. Ich kauf ihm das alles ab natürlich. Mit Deerhunter hat der Gitarrist und Sänger seine Band im Rücken, als Atlas Sound taucht er in surreale Gefilde ab. Jedenfalls was die Bühnenperformance betrifft: „It is very surreal to be on the stage alone and to just have your voice project with Deerhunter I tend to bury my voice behind the voice and with this it´s different!” Wie “different”, davon kann man sich auf Youtube ein Bild machen. Bei einem Atlas Sound Konzert vor ein paar Wochen hat Herr Cox eine einstündige Version von „My Sharona“ gespielt. Weil sich jemand aus dem Publikum diesen Song gewünscht hat. Bei seinem Donaufestival-Gig ist Atlas Sound ganz in sich versunken, als er gegen Ende des Gigs (gerade bei der Darbietung eines neuen Songs wie er meint) ein Lachen aus dem Publikum vernimmt, folgt ein „Fuck You“. Vielleicht der einzige Moment wo man merkt, dass man bei einem Livegig ist. Denn: Man kann sich in Atlas-Sound-Musik herrlich verlieren, so hypnotisch sind die an der Gitarre, den Pedal-Gerätschaften und der Mundharmonika sich entfaltenden Songs. Bradford Cox meint müden Auges beim Gespräch: „I definitely have an energy of my own that´s sort of more intense and focused. You can either project with your voice or you can project with your body. I tend to focus on a hypnotic thing!”

Florian Schulte
Die sehr geschätzte Kollegin Katharina Seidler über Bianca Casadys "Nightshift":
Cinderella has no fella
"Na gut, moderner Tanz. Eine abstrakte Geschichte, ebensolche Musik zwischen E- und U-, Trommeln auf Weinflaschen, Sich-im-Kreis-Drehen und -Gehen-Lassen, verzerrte Filmausschnitte in Schwarz-Weiß. Auch ich tue mir schwer bei Ausdruckstanz, dieser tatsächlich pur und scheinbar ungefiltert ausgedrückten Körperlichkeit, und dennoch zieht mich „Nightshift“ von der ersten Szene an in seinen Bann. David Pfister hat den einzig wahren CocoRosie-Satz gesprochen: Mit Zynismus und Nüchternheit kommt man hier nicht weit.

Florian Schulte
Am Anfang steht sie allein. Sierra Casady tanzt für ihre Schwester, tanzt in deren Stück und als ob es um ihr Leben ginge. Sie ist das harmless monster der Geschichte, das kleine Mädchen, das alleine in einer Welt ohne Regeln aufwächst und sich zur Außenseiterin der Gesellschaft entwickelt. Zwei Faune zeigen ihr, wie man klatscht und wie man spielt, und doch steht sie bald wieder verlassen da. Sie wird Dienstbotin bei einer reichen Dame („her loneliness outraged her fear“ sagt Bianca, deren Stimme ab und zu als Erzählinstanz in Erscheinung tritt). In einer seltsam berührenden Szene flicht sie ihrer Herrin einen langen Zopf, muss ihn wieder auflösen, flicht erneut, sonst ist es still.

Florian Schulte
Eine Vogelscheuche (oder hängt da jemand am Kreuz?), ein Zirkusdirektor, eine Tänzerin auf einem Fliegenpilz: man muss nicht alle Bilder verstehen, um zu begreifen, dass CocoRosie es ernst meinen mit ihrer Zauberwelt aus Referenzen und Zitaten, und dass man, wenn man sie ernst nehmen will, nicht die Augen verdrehen darf.
Bianca Casady hat „Nightshift“ gemeinsam mit dem brasilianischen Choreographen Biño Sauitzvy geschrieben und gestaltet und eine Handvoll professioneller Tänzerinnen und Tänzer mit an Bord geholt. Die Musiker von Lapdog of Satan, die bei jeder der CocoRosie-Produktionen des Festivals mit dabei sind und wahrscheinlich in ihrem Leben schon erholsamere Wochenenden verbracht haben, steuern die Musik bei und wechseln in meinem Kopf zwischen Assoziationen zu der kanadischen Kammermusikband Rachels, „traditionellem“ CocoRosie-Pop und Jahrmarkttreiben."

Florian Schulte
Chairlift + BELL
Die Performance von Chairlift und BELL wird von einem Intro in Gestalt eines kurzen Solo-Sets von Olga Bell eingeläutet. Die Musikerin bastelt mit ihrem Projekt BELL vornehmlich weirde bis schön käsige Synthesizer-Musik, zu der man sich vom Klang und Habitus her immer sehr gut ein Umhänge-Keyboard vorstellen kann. Ihre Stimme ist meist von einer wunderbaren quäkenden Brüchigkeit, was ihr freilich schon den unvermeidlichen Vergleich mit good old Björk eingebracht hat – die Frau BELL auch gerne mal covert, wenn sie nicht gerade an einer Alternativ-Version von Weezers „Buddy Holly“ schraubt.
Der gemeinsame Auftritt von Chairlift und BELL ist hinsichtlich des Kooperations-Charakter nun keine eigentliche Sensation – Olga Bell nämlich gehört seit einiger Zeit ohnehin zur fixen Live-Besetzung der Band aus Brooklyn. Sehr gut jedoch, dass diese feine Künstlerin einmal deutlicher herausgestrichen wird. Chairlift haben mit ihrem zweiten Album „Something“ eine der schönsten Indie-Pop des Jahres bislang veröffentlicht; eine Platte, die zwar die 80er-Referenzen in Richtung Kim Wilde, von Bands wie Japan oder bisweilen Duran Duran in ihrer Wild-Boys-Phase nicht scheut, sich dabei aber nicht in slicker Poser-Ironie ergeht, sondern heart-felt Lieder über Love und Schmerz und Freude macht. Live funktioniert das alles ganz fabelhaft und spezialslick und Frontfrau Caroline Polachek ist Meisterin des vieldeutig erotischen Charismas und des schlangengleichen Ausdruckstanzes – auch wenn sich die funkelnde Kraft des Pops von Chairlift eventuell noch nicht ganz flächendeckend bis nach Österreich herumgesprochen haben könnte.

Florian Schulte

Florian Schulte
Oneohtrix Point Never
Daniel Lopatin ist in den letzten zwei, drei Jahren mit seinem Projekt Oneohtrix Point Never zu einem doch etwas überraschenden Liebkind eines melodie-affinen Elektronik-Untergrunds geworden. Vor zwei Jahren hat er eine sehr gute Platte auf Editions Mego veröffentlicht, 2011 war er mit seinem aus alten Werbe-Spot-Sounds zusammengeschnittenen Album „Replica“ in diversen Jahresbestenlisten vertreten. Eine unfreiwillige Symbolfigur des Hypnagogic Pop, teilweise möglicherweise hinsichtlich des Theoriegehalts überinterpretiert, in musikalischer Hinsicht kaum überschätzt.
Bei seinem Auftritt beim Donaufestival präsentiert Lopatin weniger quasi schon zu seinem Trademark gewordene auf- und abschwellenden Synthie-Flächen, die sich nicht selten hongigleichem Wohlklang annähern, sondern ein durchaus rabiates Set, das poltert, rumpelt und quietscht. Hart aneinander gecuttete Soundschnipsel überschlagen sich. Dann brummt und summt es aber auch wieder schön. Im Hintergrund, subtil zwar, dennoch deutlich, schwingt immer ein großes Gefühl für Pop, mitunter auch immer wieder HipHop, und Humor mit. Es laufen Visuals, die in ihrem Zusammenspiel aus Esoterik und Psychedelik, aus Weichzeichnung, Gekritzel, pädagogischem Experimentalfilm und Foto-Collagencharakter genau an die immer noch populäre optischen Identität erinnern, wie sie beispielsweise Bands wie Black Dice, das Animal Collective oder jeder zweite Witch House,- Chillwave- oder Neo-Disco-Act ähnlich kultivieren. Das alles also ist sehr, sehr famos.

Florian Schulte

Florian Schulte
Und noch einmal, Katharina Seidler:
Ariel Pinks Haunted Graffiti
„Are we going to see Fritzl?“ ist das Erste, was Ariel Pink heute fragt, als wir im Auto am Weg zu dem Garten sind, in dem unser Interview stattfindet. Josef Fritzl, der im Hochsicherheitsgefängnis Stein einsitzt, interessiert Ariel Pink, außerdem entdeckt er, dass sein Name sich auf Schnitzel reimt. Dieser Erkenntnis widmet er auf der Donaufestival-Bühne ein ganzes Lied. Seine Band Haunted Graffiti greift den Chrorus gerne auf, und so wird Schnitzl-Fritzl zu einem der zwei Höhepunkte, die uns die Band heute Abend beschert.

Florian Schulte
Für jemanden, der Ariel Pink noch nicht live gesehen hat, ist es zu Beginn vielleicht ein wenig überraschend, dass er die Retro-Weirdo-Schiene, die ihn als Aura seit jeher umweht, auf der Bühne so konsequent, ja sogar noch konsequenter als auf Platte umsetzt. Konkret heißt das: unendlicher Hall auf Stimme und sämtlichen Instrumenten, Bedienen zahlreicher Retromania-Gängigkeiten, deren Gängigkeit er immerhin selbst zu großen Teilen verschuldet hat, und Ariel selbst sieht aus wie die leibhaftigen Emerson, Lake & Palmer. Er darf das, er tut das, wie er im Interview bestätigt, sogar absichtlich, aber die Klinge hat er auf Platte irgendwie feiner geschliffen. Egal wird das aber spätestens, wenn allerlei Vintage-Videoschnipsel über die Leinwand flimmern und der zweite Konzertmoment, den er uns heute schenkt, den ganzen Tag rückblickend in helles Licht taucht. Bei der zumindest schon Jahrzehntenummer „Bright Lit Blue Skies“ erscheint auf einmal die Silhouette von Chairlift-Zauberin Caroline Polachek auf der Bühne, keine zehn Sekunden später steht Mister Atlas Sound neben ihr. Gemeinsam twisten sie die Nacht away, als bliebe der Himmel für immer so blau wie heute."

Florian Schulte