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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

29. 4. 2012 - 15:00

"Der größere Teil der Welt"

Es geht um Musik, aber vor allem um das, was zu schnell vergeht: die Zeit. Das bereits vierte Buch der Amerikanerin Jennifer Egan heißt in der Originalausgabe "A Visit From The Goon Squad".

"Wir gehen jeden Samstag nach der Probe ins Mab. Wir haben Crime gehört, die Avengers, die Germs und zigtausend andere Bands. Die Bar ist zu teuer, deshalb trinken wir vorher vom Vorrat meines Dads. Jocelyn muss mehr trinken als ich, um den Alkohol zu spüren."

Buchcover Jennifer Egan, neuer Roman

Buchcover

Eben diese Stelle von "Der größere Teil der Welt" schlug ich zufällig auf, als ich den Roman von der in Chicago geborenen, in San Francisco aufgewachsenen und heute in Brooklyn, New York lebenden Jennifer Egan erstmals aufschlug. Genau zur gleichen Zeit fiel mir eine alte Platte von 1993 wieder in die Hände, "Ball-Hog or Tugboat?" vom kalifornischen Rockmusik-Pionier Mike Watt. Jenes Album, auf dem diese legendäre Figur (Minutemen, Firehose, etc.) aus Kalifornien zusammen mit der Creme de la Creme des damaligen Alternative Rock Musik machte: mit den Beastie Boys, den Lemonheads oder Henry Rollins. Carla Bozulich, die heute mit experimenteller Musik erfolgreich ist, war auch dabei, damals als Sängerin der Band The Geraldine Fibbers und am Sprung zum Alt(ernative)-Rockstar. Mit ihrer charakteristischen, tiefen Stimme erzählte sie auf "Drove Up From Pedro" die Geschichte des Mike Watt:

"Now this Pedro Dude had the attitude, but the 70s had him spaced. Up in Hollywood maybe then he could find a reason for his bass, so up from Pedro Watt drove. Now he still lives in Pedro and for work he does gigs. But from time to time he seems to find for inspiration he has to dig, back to them days when the Germs played."

Zweimal die L.A.-Punk-Pioniere The Germs also auf einen Streich, wenn das kein Zeichen war. Vielleicht auch wieder die Platten der Avengers-Sängerin Penelope Houston raussuchen? Den frühen California-Punk wieder ein wenig spüren. Nachlesen, dass Pat Smear - Nirvana, Foo Fighters - ja bei den Germs gespielt hat und so. Jennifer Egans "Der größere Teil der Welt" lesen? Weil es ein Musikbuch ist? Ich hab Musikbücher ja immer verschlungen, und auf diesem Buch ist schließlich ein Gitarrenhals zu sehen. Jennifer Egans aktueller Roman ist dann auch gewissermaßen ein Musikroman. Die Zeit und ihr unaufhaltsames Weiterziehen stehen aber im Mittelpunkt.

US Autorin Jennifer Egan

jennifer egan

Jennifer Egan

Who Knows Where The Time Goes

Benny Salazar, einer der schrillen Charaktere von "Der größere Teil der Welt", ist Musikmangager und spielte einmal in einer Punkrockband in San Francisco. Sow´s Ear Records heißt sein Plattenlabel, und die Band in der er Bass spielte nannte sich The Flaming Dildos. Da kommt gleich eine gewisse Ironie durch. Sehr schön.

"In der mit Graffiti übersäten Toilette des Mab lauschen wir: Ricky Sleeper ist bei einem Gig von der Bühne gefallen, Joe Rees von Target Video macht einen ganzen Film über Punk Rock, zwei Schwestern, die wir immer im Club sehen, gehen jetzt auf den Strich, um ihr Heroin zu bezahlen. (...) Wann wird ein falscher Irokese zu einem echten Irokesen?"

Weitere Romane von Jennifer Egan:
"Die Farbe der Erinnerung", "Emerald City", "Look At Me", "Im Bann" (alle bei Schöffling erschienen)

Die Jugend ist so unbeschwert also gar nicht, und nichts wird einfacher im weiteren Leben. Die goon squad aus dem Originaltitel ist der „Schlägertrupp“, der das Leben ist. Es lauert einem immer wieder auf und schädigt einen. Der Originaltitel passt besser zur Rockmusik im Buch als der, ok, philosophisch anmutende deutsche Titel. Es geht also ums Älterwerden - in der veränderten, digitalen Zeit - und allem was so damit zu tun hat. Egan, Jahrgang 1962, staubte mit ihrem Roman auch den großen amerikanischen Pulitzer-Literaturpreis ab. Ein weiblicher Thomas Pynchon oder David Foster Wallace? Ein sehr amerikanisches Buch ist "Der größere Teil der Welt" insgesamt jedenfalls, nicht nur der Punkrocker Germs wegen. ("Eines ist mir aufgefallen: Punkrocker haben keine Sommersprossen. Sie haben einfach keine.") Al-Kaida und Ground Zero werden auch hineingepackt in die fast 400 Romanseiten. Amerika ist nicht mehr, im bittersten Sinn, das was es einmal war. L.A., San Francisco und Manhattans Lower East Side, wer heute erstmals dorthin kommt, hat kaum eine bis gar keine Vorstellung von den Veränderungen im Laufe der Zeit.

"Eigentlich geht es um Sehnsucht, Nostalgie, Erinnerungen, um Themen für Leute im mittleren Alter also. Aber ich habe bemerkt, dass auch junge Leute mein Buch lesen. Sie sind heute erstaunlich nostalgisch. Früher war das ganz anders. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass die technischen Veränderungen so schnell ablaufen. 21 Jahre alte Menschen fühlen sich auf eine Weise alt, weil sie zwar auf Facebook sind, aber nicht wie die 15-jährigen mit Facebook aufgewachsen sind. Sie sind sich viel bewusster, dass die Zeit vergeht, als wir das früher waren."

"Lastwagen dröhnten über die Brücke. Die samtene Nacht in seinen Ohren. Und das Summen, immer dieses Summen, das vielleicht gar kein Echo war, sondern der Klang der vergehenden Zeit. (...) Klappernde Absätze auf dem Pflaster zerschlugen die Stille. Alex riss die Augen auf, und er und Bennie drehten sich um - sie wirbelten geradezu herum und hielten in der aschfahlen Dunkelheit Ausschau nach Sasha. Aber es war ein anderes Mädchen, jung und neu in der Stadt, das mit seinen Schlüsseln hantierte."

Jennifer Egan ist eine clevere Schreiberin, fast schon zu clever, und die Patchwork-Familie auf Afrika-Safari, ich weiß nicht, eigentlich schon zu viel. Interessant, aber irgendwie zu konstruiert, das vorletzte Kapitel in Form einer Power-Point Präsentation einer 12 Jahre alten (!) Schülerin über die Bedeutung von Pausen in der Rockmusik: das Verhältnis von Pausenlänge zu Gänsehautfaktor. Led Zeppelin und die 70er Jahre US-Band Doobie Brothers im direkten Match. Der Song "Rearrange Beds" vom 2010er-Album des australischen Duos An Horse kommt dabei auch vor. Jennifer Egan ist nach
wie vor ein großer Musik-Fan.

"Der größere Teil der Welt" von Jennifer Egan ist - übersetzt von Heide Zeltmann - im Schöffling Verlag erschienen.