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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

27. 4. 2012 - 11:57

Intimitäten

Da gluckst das Publikum vor Freude: Eine schwule Romantic Comedy und das Porträt eines Indie-Plattenladens samt Kundschaft. Auch das gibt es am Crossing Europe.

Noch bis inklusive Sonntag, 29. April, in Linz:Crossing Europe Filmfestival

Einen Film über schwule Liebe, den würden sich Heteros nicht ansehen. Eher Geschichten über Flüchtlinge oder Vergewaltigungen, sagt Glen, eine der beiden Hauptfiguren in "Weekend". Am Crossing Europe Festival in Linz war gestern Abend das Gegenteil der Fall, im City-Kino war jeder Platz besetzt. Zur Halbzeit des Festivals für eigenwilliges und allen voran gesellschaftspolitisches AutorInnenkino aus Europa war offensichtlich vielen nach Verzückung auf der Leinwand. Und die ist der Spielfilm "Weekend" des britischen Regisseurs Andrew Haigh zur Gänze. "Go on then!"

In einen Trailer verschaut man sich ab und an. Dass dann im Kino das gesamte Produkt abendfüllend mithalten kann und man im Abspann diese zwei bestimmten Songs zu erfassen versucht, passiert weniger oft. Andrew Haigh hat mit "Weekend" alles richtig gemacht (alles, das wären: Drehbuch, Regie und Schnitt). Die Zeitspanne des Titels verbringt man mit Russell, der Freitagnacht in einem Club Glen kennenlernt. Schon in den ersten Bildern wächst die Sympathie für die Protagonisten dieser kleinen Liebesgeschichte, die über all ihren betörenden atmosphärischen Charme hinaus auch noch mit sehr lustigen Dialogen überrascht.

Filmstill aus "Weekend": Zwei Männer in öffentlichem Verkehrsmittel neigen die Köpfe zueinander

Quinnford + Scot

#cuteness overload

Guy meets guy, romantic comedy meets coming-out. Das Rennrad im Gang einer kleinen Wohnung. Alles ist sorgfältig ausgewählt und an seinem Platz. Die Schuhschachtel mit den neuen Sneakers nimmt Russell kurz zur Hand und stellt sie wieder ins Regal. Stunden später wird Russell, der als Bademeister arbeitet und die alten Kaffeehäferl fremder Omas lieber hat als neue Ikea-Ware, bereit sein für neue Schuhe. Regisseur Andrew Haigh konzentriert sich auf diese ersten Stunden, wenn zwei Menschen zusammentreffen, die es länger zusammen aushalten könnten. Oder auch nicht.

Die Verknalltheit, die einen das "x" am Ende einer SMS gegen einen Smiley austauschen lässt, weil - ja - der andere soll bloß nicht denken, man wolle zuviel von ihm. Obwohl man genau das will. Die Unsicherheiten im Umgang, die kurz aufblitzen, weil man eine Aussage nicht deuten kann und sich des anderen nicht gewiss ist und vielleicht auch noch lange nicht der eigenen Gefühle. Alles steht neu zur Verhandlung bereit, ob Beziehungskonzepte oder Lebensvorstellungen.

Und dieser Glen, der anders als Russell sein Schwulsein längst in alle Lebenslagen integriert hat, hält Russell nach der ersten Nacht ein Diktiergerät vor dessen Gesicht. Er solle doch erzählen, was in der letzten Nacht passiert sei. Im Detail. "Wofür? Für ein Kunstprojekt?", fragt Russell zurück. Hundert Punkte hat der Kandidat.

Filmstill aus "Weekend": Zwei Männer schlafen in einem Bett

Quinnford + Scot

Nach dem Aufstehen Zähneputzen? "Oh you cheated! You've broken the rule! Now you're mincy-fresh and I smell of cock and bottom!"

Im HOSI-Zentrum in Linz spricht man heute Abend über "Weekend" und die "Suche nach Traumprinzen".

Die Sexszenen hat Andrew Haigh übrigens schüchtern gedreht.

Wenn du das erste Mal mit einem dir zuvor fremden Menschen schläftst, wirst du kurz eine blanke Leinwand. Was immer du darauf projiezieren möchtest, wie du sein möchtest, jetzt ist das möglich, erklärt Glen (Chris New) Russell (Tom Cullen). "Well, what happens is while you're projecting who you want to be.. this gap opens up between who you want to be and who you really are. And in that gap, it shows you what's stopping you becoming who you want to be." Diese Lücke bestimmt die Handlung. Filmverleiher, lässt die Gelegenheit nicht vorbeiziehen! Dem heimischen Kinopublikum würde man einen regulären Start von "Weekend" wünschen.

It's about emotions and memories

Apropos beglücken: Wenn sich das Kichern des Publikums wenige Sekunden später zeitversetzt im Film aus exakt demselben Anlass fortsetzt, hat jemand einiges richtig gemacht. Den bislang schönsten Festivalmoment hat mir die Filmemacherin und Künstlerin Jeanie Finlay beschert. Mit "Sound it out" hat Finlay eine kleine, klassische Doku über einen Plattenladen im nordenglischen Stockton-on-Tees gedreht, der Großes birgt: Die Liebe zu seinen Protagonisten, die inmitten deren Liebe zu den Tönen nicht verloren geht.

Susi Ondrušová zum Record Store Day über den Kosmos Plattenladen: "Ein Ort an dem man sich durchtastet statt durchklickt."

"It's not the ordinary people, it's the random people", beschreibt Ladenbesitzer Tom Butchart seine Kundschaft. Die zu 99 Prozent aus Männern besteht. Das müsse so ein archaisches Ding sein, erklärt er sich diese Tatsache: Männer sammeln, und Männer reisen für Musik quer durch das Land. Den treuen Kunden Shane faszinieren die Schreibfehler auf Plattencovern. Manche Alben besitzt er siebenfach, aber fanatisch sei er nicht. Keineswegs.

Filmstill aus "Sound it out": Kunde Shane sammelt speziell Plattencover mit Druckfehlern

Jeanie Finlay

Shane ist fasziniert, aber nicht fanatisch. Sagt er ungefragt.

Der Sammelwahnsinn ist auch nicht irrer als Bungeejumpen, zum Beispiel. Eines jener wenigen Bilder, die außerhalb des engen Schauplatzes voll mit 50.000 Platten auch mal den Himmel erfassen, ist gut platziert: Ein Mensch stürzt sich gut gesichert von einer Brücke. Stockton-on-Tees ist ein hartes Pflaster, ein guter Arbeitsplatz Luxus.

"Sound it out" ist berührend und sprüht vor Witz. Situationskomik und Gags der Kunden wechseln sich ab. Tim Butchart ist Dealer und Seelentröster in Personalunion und das Beste an seinem Geschäft ist: "With music, it is never ending". Damit trifft er ins Schwarze: Vinyl eint die Haptik und den Gehörsinn. "It's all about emotions and memories."

Mann lehnt nachdenklich an Tresen in Plattenladen

Jeanie Finlay

Klar, dass eine Kinobesucherin zwei Reihen vor einem "Belle & Sebastian!" vor Begeisterung einen Tick zu laut sagt, als die Kamera diverse Laden erkundet. Leichtes Spiel verspricht es, eine Doku über ein Musikfachgeschäft der alten Indie-Schule zu drehen. Regisseurin Jeanie Finlay hat mehr daraus gemacht.

Mann in Plattenladen lehnt rauchend an einer Wand

Jeanie Finlay

Deckerinnerungen

Der sommerliche Spezialtipp für heute, Freitagabend: Open Air Screenings bei freiem Eintritt und mehr als Imbissbudenkultur von Kiosque. Altes Zollamtsgebäude, ab 21.00.

FestivalbesucherInnen, die wieder bereit sind für harte Realitäten, könnten sich heute der Doku "Work Hard - Play Hard" aussetzen. Die besten Sager hört man im Trailer, mehr dazu morgen. Darum vielleicht lieber in die KAPU und Kurzfilme von "Local Artists" anschauen. Im Programm läuft u.a. "Deckerinnerungen - Von Handläufen und Sitzgelegenheiten", ein Porträt der Welser Skaterszene. Ich werde mich da nicht hintrauen.
Denn gestern Nacht am OK Mediendeck hat ein Oberösterreicher lieben KollegInnen und mir sein Skateboard anvertraut. Ob wir fünf oder zehn Minuten darauf aufpassen könnten. Eine geschätzte dreiviertel Stunde lang hab ich ein Auge und ein Knie auf dem Skateboard gehabt, dann hat mich die Müdigkeit überwältigt. Ich hoffe, das Skateboard hat seinen Besitzer wieder.