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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

24. 4. 2012 - 10:51

Mit dem Shuffle in der Oper

The Roots-Mastermind Questlove brachte das kuratierte Chaos unserer digitalen Spiellisten live auf eine Opernbühne.

Der Mann gefällt sich in der Rolle des Beobachters. Während unter ihm das Klangmeer aus Free Jazz, Sample-Musik, Indie, Ragtime und Klassik wogte, saß Questlove hinter seinem erhöhten Drum Kit und schaute zu - wenn er nicht, was ziemlich oft an diesem Abend in der Brooklyn Academy of Music vorkommen sollte - die Augen geschlossen hielt und trockenumnebelt in Privatmeditation versank. Einem Göttervater gleich mischte er sich nur gelegentlich in das irdische Geschehen ein. Aber anders als in der Mythenwelt der Antike mussten hier keine Dramen gezimmert oder Sinnsprüche extrahiert werden. Der Zufall, so der Einfall, sollte bei einem experimentellen Konzertabend die Reihung der einzelnen Musikstücke regeln. So wie im Shuffle-Modus unserer Digispiellisten. Große Künstlergretsche. Dass dieses einfache und vielleicht auch naheliegende Konzept in der analogen Welt der Bühnenaufführung an die Grenzen des Machbaren stoßen sollte, sorgte für einige Untiefen im Shuffle Culture benannten Experimentierabend zu Brooklyn.

Questlove Shuffle Culture BAM

BAM

Ankündigung

Zehn Musikstücke und einige Fragmente umfasste Questloves Playlist. Den Großteil des Programms stemmte das Kammerorchester Metropolis Ensemble und der aus Detroit stammende Elektronik-Wizard Jeremy Ellis, der diverse Sequencer und Sampler bediente. Zwischen diesen Polen der Klassik und der Abrufmusik ist ja bekanntlich einiges möglich. Questlove, hauptberuflich der musikalische Direktor von The Roots, herzte uns, unterbrochen von einer kurzen Pause, mit Stücken von Sun Ra, P.J. Harvey, ODB, Dan Deacon, Nina Simone, Fiery Furncaces, Danny Brown und Herrn Richard Wagner, wenn ich mich nicht verhört habe. Stück für Stück wechselten Besetzung und Sound.

Questlove - The Roots - Shuffle Culture

Christian Lehner

Umsetzung

Questloves Mixtape shuffelte Spoken Word Performance, Spätromantik, Beat-Boxing, Indie Rock, Jazz und Hip Hop. Die Wahl der Interpreten fiel spannend aus, war andererseits aber auch wie dem Lehrbuch des Hipsterismus entnommen. Die kunstkredibelste aller Indie-Bands, Deerhoof, leistete Backing-Band-Dienste. Sängerin Satomi Matsuzaki verstand sich auf Anhieb mit den modernen Klängen des Kammerorchesters, Greg Saunier trat erneut den Beweis an, dass das Animal von der Muppets Show alles andere als ein Hardrocker ist. Ex-Pornostar Sasha Grey stieß Flüche aus einem geborgten William Boroughs Poem ins Auditorium, während Comedy Star Reggie Watts die Rhyme und Beatbox-Maschine anwarf.

Das verlorene Next

Bühnendeko und Gewänder waren in weiß gehalten - wohl eine Reminiszenz an den No. 1 Anbieter von Shuffle-fähigen Abspielgeräten. Nur Questlove selbst trug schwarz und unterstrich so auch auf symbolischer Ebene den Rangunterschied auf der Bühne. Immerhin war das Menschen/Musikmaterial seinem gestalterischen Willen ausgeliefert (Shuffle Mode hin oder her, die Spielliste hat schließlich der Maestro himself gefüllt).

Ausgeliefert war natürlich auch das Publikum. Und dort, also zumindest bei mir, ging das Konzept des Abends dann auch nur bedingt auf. Denn so sehr die eklektische Wahl von Musik und Interpreten im übertragenen Sinn dem MP3-Fundus einer gütlich bestückten Festplatte entsprechen mochte und auch die strickte Trennung der Songs und Tracks voneinander, vom Flow, von der Stimmung und der Dramaturgie der sie umgebenden Musik dem anarchischen (oder beliebigen) Charakter des Shuffle-Modes gerecht wurde, so sehr stand die konsequente Umsetzung dieser Idee den Musikfreuden im Weg. Wie so oft im echten Leben, wenn der Zufall Regie führt.

Die angeblich kurz vor Konzertbeginn tatsächlich von einer Shuffle-Playlist ausgeschnappsten Kurzauftritte von Watts, Grey und Co. waren vorüber, noch ehe sie richtig begonnen hatten, während die musikalische Grundbesetzung, bestehend aus dem Metropolis Ensemble, Deerhoof, Ellis und verbliebenen Mitgliedern von Jean-Michel Basquiats Formation Gray zunehmend unter der Beliebigkeit der Dramaturgie zu leiden begann.

Questlove

Christian Lehner

Questlove war den Abend lang in erster Linie physisch präsent und rührte nur ab und dann an seinen Fellen. Überhaupt schien dem Regisseur das Treiben auf der Bühne ein bisschen egal zu sein. Auch das mag konsequent gewesen sein. Immerhin hatte Questo den Shuffle bereits im Vorfeld getriggert, Dennoch wirkte der ganze Gig etwas seelenlos und blutleer, Attribute, die der Kunst des gewichtigen Roots-Man aus Philly sonst eher selten zugedacht werden.

Ich vermisste einige Male schmerzlich den für den Shuffle-Modus so unerlässlichen "Next"-Button. Im Grande Finale entschädigte das furiose Beatbox-Ballet von Rahzel und Kenny Muhammad für so einige Längen und Ungereimtheiten. Auch der Göttervater auf seinem Wolkenberg erwachte beim Kampf der MC-Titanen und trat am Ende doch noch in einen trommelnden Dialog mit der Erde ein. Da schien dann auch das Herzerl am Revers von Questloves Sakko ein wenig zu glühen.