Erstellt am: 24. 4. 2012 - 17:12 Uhr
Tokyo Hacker Space
Das Konzept des Hackerspace hat sich in den letzten Jahren zunehmend etabliert. Welweit sind offene Räume entstanden, meistens in Straßenlokalen, Kellern oder Industriehallen großer Städte, die Hackern, Wissenschaftlern und an digitaler Kunst interessierten Menschen als nichtkommerzielle Treffpunkte ohne Konsumzwang dienen. Auch Tokyo-Yokohama, gigantischer urbaner Großraum mit 37 Millionen Einwohnern, hat einen Hackerspace, der zwar klein ist, aber mit interessanten Projekten aufwartet.
Jim Grisanzio
Am Abend, als ich den Tokyo Hacker Space das erste mal aufsuche, bin ich gerade aus dem Flugzeug gestiegen und dementsprechend jetlagged. Außerdem schüttet es wie aus Kübeln und ein kleiner Taifun fegt über die Stadt. Ein japanischer Freund schickt E-Mails auf mein Handy, in denen er meint, ich solle besser im Hotel bleiben, die Züge würden wohl bald stehen bleiben. Zu spät: Ich bin schon unterwegs - mit einem viel zu kleinen Regenschirm, den es ständig umklappt und einem Smartphone, das zwar auch schon nass ist, aber mir noch mittels Google Maps den Weg zeigt. Und irgendwie schaffe ich es, trotz Störungen im größten U-Bahn-Netz der Welt und erzwungenem Umsteigen, das kleine Einfamilienhaus zu finden, das den Tokyo Hacker Space beherbergt. Dort treffe ich Garret, der 2011 von Miami nach Tokio gezogen ist. Ein Export also wie die meisten der etwa dreißig Mitglieder des Hackerspace - Garret arbeitet in einer japanischen Firma, die Audiokurse für Englischunterricht anbietet, einen großen Teil seiner Freizeit verdingt er im Hackerspace. "Es macht mich glücklich, dieser Gruppe anzugehören", sagt Garret, "sie hat Ideale, die mir sehr liegen: Dinge selbst zu bauen, zu forschen und voneinander zu lernen. Die Einstellung hier inspiriert mich.“
Hacken, Nähen, Bierbrauen
Jim Grisanzio
Ein Kurs, den Garret für die anderen Mitglieder hält, scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich für einen Hackerspace, denn es geht darin um das Brauen von Bier. Das ist in Japan verboten, genauso wie das eigenhändige Gären von Sake. Garret: "Legal ist es nur, wenn das Bier weniger als ein Prozent Alkohol hat - was bei mir natürlich immer der Fall ist", sagt Garret. Der Bierbrau-Kurs ist für ihn auch ein Mittel, um die Absurdität des historisch veralteten Gesetzes aufzuzeigen - und das ist wieder ganz typisch für das Treiben von Hackern. "Im 19. Jahrhundert kamen 46 Prozent der Staatseinnahmen Japans aus den Steuern für alkoholische Getränke. Das gesamte Militär, sämtliche Kriege gegen Russland, China oder Korea wurden durch die Alkoholsteuer finanziert."
In anderen Kursen des Tokyo Hacker Space beschäftigt man sich mit Elektronikbasteleien, Grafik, Audioproduktion und Programmieren, aber auch mit Gartenarbeit, Nähen oder der Messung von Radioaktivität. Letztere ist in Kombination mit der Veröffentlichung der Daten für Privatpersonen ebenso verboten wie das Bierbrauen - trotzdem ist das Safecast genannte Open-Source-Projekt seit dem vierfachen Reaktorunglück von Fukushima das populärste des Tokyo Hacker Space. "Es gab eine Menge Skeptiker", sagt Akiba. "Viele Leute haben gesagt, wir wüssten nicht, wie man richtig misst. Und wir sagten: Okay, aber wenn wir es nicht tun, wer wird es dann machen? Die Regierung etwa? Mittlerweile haben wir viel an Glaubwürdigkeit gewonnen. Wir arbeiten mit Universitäten zusammen, mit Strahlungslabors etc. Wir haben viele freiwillige Helfer und es ist nicht immer einfach, das zu managen."
Freiwillige vor
Seit Safecast kommen immer mehr Menschen zum Tokyo Hacker Space - Japaner, Amerikaner oder Europäer, etwa der bulgarische Wissenschafter Kalin Kozhuharov. Seine kleine Tochter war zum Zeitpunkt des Reaktorunglücks in Fukushima sechs Monate alt. "Ich wusste nicht, was ich tun sollte, um sie zu beschützen. Eine Menge Leute haben mich gedrängt, Japan zu verlassen. Meine Frau und ich haben nachgedacht, welche Konsequenzen das für unser Leben haben würde. Und wir beschlossen, uns genügend Nahrungsmittelreserven und Wasser zu besorgen und in Tokio zu bleiben. Das wäre sicherer, sagten wir, als zu versuchen, einen Flug zu kriegen und irgendwo hin zu fliegen oder mit dem Zug möglicherweise irgendwo stecken zu bleiben. Wir entschieden uns, hier zu bleiben, aber das Problem nicht zu ignorieren, sondern uns ihm zu stellen. Wir wollten möglichst viel über das Unglück lernen und herausfinden, was man tun kann."
Heute ist Kalin einer der führenden Experten für die Messung von Radioaktivität in Japan und hat wesentlich dazu beigetragen, dass Millionen von Messwerten über die Strahlung in Japan existieren.
Der Tokyo Hacker Space ist ein Musterbeispiel dafür, wie offene Strukturen und Vernetzung zu herausragenden Ergebnissen führen können. Immer mehr Menschen bieten ihr Fachwissen an, helfen beim Steuern von mit Geigerzählern bestückten Autos, bieten finanzielle Unterstützung oder Hilfe beim Umzug, der dem Tokyo Hacker Space demnächst bevorsteht. Das kleine teure Einfamilienhaus im Zentrum soll deshalb bald getauscht werden gegen eine Halle, sagt Garret: "Am besten eine Industriehalle. Die kleinen Räume in unserem derzeitigen Haus wirken auf manche Menschen nach Substandard. Aber es wird bald sehr viel professioneller aussehen."