Erstellt am: 23. 4. 2012 - 15:44 Uhr
Verdacht auf "Scheinehe"
Menschen heiraten aus den unterschiedlichsten Gründen: aus Liebe, weil sie ein Kind gemeinsam haben, weil sie sich Steuervorteile versprechen oder vielleicht einen Zugang zum Sozialversicherungssystem brauchen. Wahrscheinlich ist es oft eine Mischung all dieser Gründe. Manchen Ehen wird aber unterstellt, dass sie nur aus einem Grund geschlossen werden: Nämlich damit einer der Partner das Aufenthaltsrecht erhält. Wird man einer solchen „Aufenthaltsehe“ verdächtigt, kann die Polizei das Privatleben genau untersuchen. Das erzählen betroffene Frauen, die sich im Verein "Ehe ohne Grenzen" zusammengeschlossen haben:
"Samstag um 14 Uhr läutet es an der Türe, steht ein Mann vor der Türe in zivil in kurzen Hosen, kurzem Hemd – es war Hochsommer – und stellt sich vor mit: Kriminalpolizei, es geht um eine Scheinehenkontrolle."
"Durch alle Schränke durch wurde kontrolliert, und mein Mann hat wie ein Fremdenführer freundlich erzählt: hier ist das, hier ist jenes."
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"Es gab Fragen zu intimen Details: Das Sexualleben, wann ich das letzte Mal meine Periode hatte, wie wir verhüten. Dann musste mein Mann seine Kleider im Schrank zeigen, er musste die Meerschweinchen füttern, erklären was sie fressen und wann. Dann gab es eine Diskussion über die Schuhe, dass es nicht seine sind, über die Meerschweinchen, dass die Heu zu fressen bekommen, normalerweise fressen die doch nur Obst und Gemüse. Über alles gab es eine Diskussion."
Straftatbestand seit 2005
Irene Messinger hat für ihre Dissertation "Verdacht auf Scheinehe" den Gabriele-Posanner-Förderungspreis bekommen
Irene Messinger beschäftigte sich in ihrer Dissertation „Verdacht auf Scheinehe“ mit dem Thema. Seit der Novelle des Fremdenpolizeigesetzes 2005 ist das Eingehen einer Schein- oder so genannter Aufenthaltsehe ein Straftatbestand. Das heißt, dass nicht nur der „fremde“ Part deswegen ausgewiesen werden kann, sondern der österreichische Part bzw. der oder die mit Aufenthaltserlaubnis, bestraft werden kann, mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder einer Geldstrafe.
Irene Messinger hob für ihre Dissertation Polizeiprotokolle und Gerichtsakten aus, führte Interviews mit ExpertInnen der Fremdenpolizei und war bei Gerichtsverhandlungen dabei. So erhielt sie ein umfassendes Bild davon, was sich mit der Strafbarkeit der Aufenthaltsehe geändert hat: Seit 2005 erhält die Polizei bei der Verlobung Meldung vom Standesamt, das heißt sie hat alle Daten von Personen, die eine Ehe mit einem/einer Drittstaatsangehörigen eingehen wollen.
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„Aus dieser Personengruppe sucht sie die Personen, die sie als verdächtig einschätzt, und die werden dann fremdenpolizeilich kontrolliert“, sagt Irene Messinger. Diese Kontrollen bestehen einerseits aus unangekündigten Hausbesuchen und aus Befragungen, wo sehr detailreich befragt wird und dann die Antworten mit jenen des/der PartnerIn abgeklärt werden. Dazu erzählt Angela Magenheimer, Leiterin von Ehe ohne Grenzen: „Mir hat eine Frau erzählt, dass sie für den Polizeibeamten damals alles - unter Anführungszeichen - richtig beantwortet hat. Der hat dann zu ihr gesagt: ‚Na das ham‘S aber schön auswendig gelernt‘. Weiß man alles, hat man es auswendig gelernt, weiß man es nicht, führt man eine Scheinehe.“
Schieflage bei den Verdächtigungen
Beim Vergleich der Akten ist Irene Messinger eine gewisse Schieflage bei den Verdächtigungen aufgefallen. Männer gehen nämlich öfter als Frauen eine Ehe mit Drittstaatsangehörigen ein: Das Verhältnis ist 55 zu 45 Prozent. Meist sind das Ehen mit Frauen aus Asien. Diese werden von der Polizei allerdings kaum der Scheinehe verdächtigt. „Da ist dann sehr stark klargeworden, dass es eine Paarkonstellation gibt, die wesentlich häufiger in den Fokus staatlicher Kontrollen gerät: nämlich nicht sehr überraschende jene zwischen Österreicherinnen und afrikanischen Männern“, erklärt Irene Messinger. Wobei da dazukommt, dass viele dieser Männer Asylwerber sind und von der Fremdenpolizei schon besonders genau beobachtet werden.
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Anscheinend haben die Beamtinnen und Beamten ein bestimmtes Bild vor Augen. Denn in den Interviews hat Irene Messinger immer die recht offene Frage gestellt: „Wer sind denn die Personen, die eine Aufenthaltsehe eingehen?“ und erhielt immer ähnliche Antworten: „Da wurde immer genau diese Gruppe genannt: Frauen aus unteren sozialen Schichten, die teilweise sogar als Prostituierte oder Drogensüchtige dargestellt werden, auf jeden Fall mit Schulden, die dann aus Verzweiflung eine Ehe gegen Geld eingehen.“ Diese Schieflage bei der Verdächtigung spiegelt sich auch in den Gerichtsverfahren wieder: 70 Prozent der Angeklagten sind Frauen, bei den Verurteilten sind es sogar 80 Prozent.
Normierte Vorstellungen von Ehe
Nachweisen lässt sich der Tatbestand der Scheinehe nur schwer: Nur bei einem Drittel der zu Gericht gebrachten Fälle kommt es tatsächlich zu einer Verurteilung, und in all diesen Fällen war der/die Angeklagte geständig. Wie soll man auch die Nicht-Existenz einer Ehe beweisen?
Es gibt nur sehr schwammige Vorgaben, wie eine solche auszusehen hat. „Die Fremdenpolizei hat es dahingehend ja auch nicht leicht“, sagt Irene Messinger „Im Paragraph 17 Fremdenpolizeigesetz, in dem das Eingehen einer Aufenthaltsehe geregelt ist, gibt es keine Anhaltspunkte, was eine Ehe ausmacht. Das Gesetz bezieht sich nur auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. In dem steht aber auch wieder nicht drin, was eine Ehe ausmacht. Hier wird der Fremdenpolizei ein relativ großer Ermessensspielraum zugestanden, wie sie diese Vorgaben interpretieren können. Natürlich legen die dann auch sehr stark ihr subjektives Bild hinein, was für sie Ehe bedeutet.“
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Und das sei teilweise ein sehr eurozentristisches Bild, bei dem die Kontrollierten z.B. immer wieder gefragt wurden, was sie sich denn zu Weihnachten geschenkt hätten. Oft wird in den Kontrollen das Eheleben an gemeinsam verbrachten Nächten, an der Existenz eines Doppelbetts und benützten Bettlaken festgemacht. Bei der Kontrolle wird da schon gerne einmal am Kopfpolster geschnuppert, berichtet Ehe ohne Grenzen.
Wenn man nicht gesteht, sind die Chancen, wegen Eingehen einer Scheinehe verurteilt zu werden, also gering. Vor allem auch, weil die Gerichte wesentlich vorsichtiger urteilen, als die Fremdenpolizei, bzw. nach dem Grundsatz handeln, das im Zweifel für den/die Angeklagte zu entscheiden ist. Die Situation ist für betroffene Paare aber sehr belastend. Vor allem wenn sie fürchten müssen, dass jederzeit ein Beamter oder eine Beamtin ihr Privatleben durchwühlen kann. Und weil sie sich doch wesentlich mehr als andere Paare, die nicht unter Generalverdacht stehen, traditionellen Beziehungsnormen unterordnen müssen.
Übrigens sind auch eingetragenen PartnerInnenschaften vom Verdacht der Scheinpartnerschaft nicht ausgeschlossen, denn die eingetragene PartnerInnenschaft ist im Fremdenrecht der Ehe gleichgestellt worden. Es wurden auch schon einzelne Paare kontrolliert, die Polizei konnte dabei aber immer den Eindruck gewinnen, dass es sich dabei um aufrechte Beziehungen handelte. Oder wie es schwule Mitglieder von Ehe ohne Grenzen formulierten: „Die Polizei geht davon aus, dass sich das niemand ohne Grund antut.“
Bedrohungsszenario Scheinehe
Das Bedrohungsszenario von unzähligen Scheinehen mit denen sich Fremde das Aufenthaltsrecht erschleichen, ist eines, das in Österreich politisches Kleingeld bringt, sagt Irene Messinger: „Deswegen würde ich sagen, dass es sich bei dieser ganzen Aufenthaltsehe-Debatte ganz stark um eine wandelbare Narration handelt, die immer verwendet werden kann, wenn es darum geht, dass ich bestimmte Personengruppen ausschließen will. Dann verdächtige ich die einfach des Missbrauchs einer der wichtigsten und heiligsten Institutionen, nämlich der Ehe.“