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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

26. 4. 2012 - 12:10

Das geheime Prinzip der Liebe

Ein Titel wie von einem Groschenroman, aber ein wirklich spannendes Buch über Mutterschaft, Sexualität, Freundschaft und Verrat. Ganz ohne Kitsch geht's dann aber doch nicht.

"Das geheime Prinzip der Liebe" heißt im französischen Original "Le confident", also "Der Vertraute". Das Buch ist in der Übersetzung von Claudia Steinitz bei Hoffmann und Campe erschienen.

Buchcover Das geheime Prinzip der Liebe

Hoffmann und Campe

"Das geheime Prinzip der Liebe" ist eines jener Bücher, mit denen man in der Öffentlichkeit nur ungern gesehen wird. In der U-Bahn drückt man den Buchrücken fest auf den Schoß, und bereut, den Einband nicht ausgetauscht zu haben, denn hinter so einem Titel kann sich ja wohl nur Selbsthilfeliteratur oder Romantik-Kitsch verbergen.

Auch das Coverbild schmälert diesen ersten Eindruck nicht. Cineasten wird der purpurrote Regenschirm vielleicht an Jacques Demys "Les parapluies de Cherbourg" (1964) erinnern, aber Himmel, das war ein Musical über eine unmögliche Liebe, und für Derartiges haben viele kein Verständnis, oder geben es zumindest nicht zu.

Thematisch führt all das jedoch genau auf die richtige Spur. Und ganz ehrlich, tief drinnen bleiben vermutlich selbst die härtesten Schnulzenverweigerer von literarischem Herzschmerz nicht ungerührt, vor allem nicht, wenn er so mitreißend geschrieben ist wie Hélène Grémillons Debüt.

Herzschmerz und rasende Eifersucht

Portrait Hélène Grémillon

Claude Gassian

Hélène Grémillon (1977) gilt in Frankreich als die literarische Entdeckung der letzten Jahre. Sie arbeitet als freie Journalistin, Drehbuchautorin und Regisseurin in Paris. "Das geheime Prinzip der Liebe" ist ihr erster Roman, avancierte innerhalb kürzester Zeit zum Bestseller, und erscheint in mehr als 20 Ländern.

Die Geschichte beginnt in Paris 1975. Camille, eine allein lebende Lektorin Mitte 30 hat vor Kurzem ihre Mutter verloren. Unter den Kondolenzschreiben findet sie einen Brief ohne Absender. Er erzählt von der tragischen Liebe zwischen Louis und Annie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Die schicksalhafte Wendung ereignet sich, als sich die junge Provinzschönheit bereit erklärt, für ihre wohlhabende unfruchtbare Gönnerin Madame M. ein Kind auszutragen. Was als echter Freundschaftsdienst gemeint war, entwickelt sich zu einem kranken Pakt, der zwischen den Frauen zu Feindschaft und rasender Eifersucht führt.

Oft wollte sie meinen Bauch sehen. Sie starrte ihn an, bis die kleine Beule auftauchte. Ich bemerkte, wie sehr sie dieser Anblick bewegte. Sie schaute mich mit dem Blick der Besitzlosen an. Ich tröstete sie nicht. Jedem seine eigenen Qualen, dachte ich. Ihr die heutigen. Mir die von morgen. Wenn das Kind in ihren Armen liegt.

Der anonyme Schreiber setzt die Erzählung in weiteren Briefen fort. Camille vermutet zunächst, dass ihr ein unbekannter Autor auf diesem Weg sein Manuskript unterschiebt. Doch bald merkt sie, dass das verworrene Drama rund um Mutterschaft, Sexualität und Verrat die Geschichte ihrer Herkunft erzählt.

Geschichte in Geschichte in Geschichte

Hélène Grémillon schildert ihren Roman geschickt auf verschiedenen Ebenen. Ständig wechseln Zeiten und Erzählperspektiven, sodass die Lektüre ähnlich wie bei russischen Holzpuppen Geschichte in Geschichte in Geschichte freilegt.

Camille in der Gegenwart der 70er-Jahre liest Louis’ Berichte über seine Vorkriegs-Romanze. Zugleich gibt dieser erst die Worte von Annie und später die von Madame M. wieder, die im von den Nazis besetzten Frankreich um die Liebe eines Mannes und des ungeborenen Kindes buhlen.

Innerhalb dieser Konstellation sind eine Menge komplexer Themen angelegt. Die Autorin streift Fragen nach weiblicher Selbstbestimmung ebenso wie die nach einer allgemeinen Verrohung von Moral in Kriegszeiten. Mit überraschender Leichtigkeit bricht sie die Tragweite dieser Diskurse allerdings immer wieder auf einzelne Stehsätze herunter, die jedem Kalenderspruch zur Ehre gereichen würden.

Es sind nicht die anderen, die uns die schlimmsten Enttäuschungen bereiten, sondern der Zusammenprall der Wirklichkeit mit unserer überschwänglichen Phantasie.

Grémillons eigentliches Anliegen bleibt dabei stets die psychische Verfassung der unglücklichen Madame M. - wie weit ist ein Mensch bereit zu gehen, um sein Glück zu erzwingen? Diese Frage und die davon ausgehenden Handlungen der Unfruchtbaren spinnt die Autorin als roten Faden durch ihren Roman. Gekonnt legt sie dabei in jedem Erzählstrang kleine Details und Indizien als Orientierungspunkte aus, denen man beim Lesen mit Freude hinterherjagt.

"Das geheime Prinzip der Liebe" gehört damit zu jenen Büchern, von denen man lieber nicht zuviel verrät, sondern die man am besten selbst verschlingt. Sicherheitshalber eben zuhause mit einer Box Papiertücher in Reichweite.