Erstellt am: 22. 4. 2012 - 15:22 Uhr
Song Zum Sonntag: Lisa Hannigan
Unsere sonst so textlich oder künstlerisch anspruchsvolle Songauswahl bei dieser Kolumne wird diese Woche unterbrochen: Von Dauerregen beim Innsbruckbesuch getrieben, verspürte ich den Impuls, sich dem Thema "Hit/ Sommerhit" anzunähern und habe meinen kritischen Kollegen bei der Presse mit einem Kinderlied überrumpelt, das praktischerweise Anlass gibt, wieder einmal über "The Manual" zu räsonieren.
Fiona Morgan
"The Manual" wurde 1988 von Bill Drummond und Jimmy Cauty - bekannter als "KLF" - verfasst, nachdem sie, als Timelords das Sample-Novelty-Monster "Doctorin the Tardis" einen Nummer eins Hit in England hatten, und bevor sie als die einzigen Künstler berühmt geworden waren, die je den Erlös dieser Nummer eins (und der KLF) - immerhin eine Million Pfund - öffentlich verbrannt hatten. "The Manual" ist eine Anleitung wie man als Laie zu einem Charts Hit kommt: von der Konzeption über die Art, wie man Studios und Journalisten manipuliert bis zu den eigentlich musikalischen "golden rules". Und es ist ein ebenso zynisches wie brillantes Machwerk, das jede/r gelesen haben sollte, der noch nostalgische Gefühle für die Musikindustrie übrig hat.
Die "goldenen Regeln" (oben nachzulesen) sind unter anderem:
1) Vergiss Tonartwechsel, Bridge, Solo, Text, alles im Kritikersinn "musikalische", mit so etwas ist dir vielleicht eine lange Karriere sicher, einem Hit steht es nur im Weg.
Lisa Hannigan spielt am 6. Mai im Chaya Fuera in Wien.
2) Vergiss sinnvolle Lyrik in der Strophe ("can be gibberish") - der Refrain ist alles, was zählt, er muss sich reinbrennen und am Schluss der Single (dem "wichtigsten Teil") nachhause gebrettert werden können ("hammered home"). Achte auf den Anfang der Nummer (den sich die Radioleute anhören, etwa 30 Takte laut "The Manual", ich würde eher auf acht Takte tippen). Er ist am besten der Refrain, entweder pur gesungen, bevor der Groove beginnt, oder als Thema über der beginnenden Bassline instrumental eingespielt, gerne von einem Novelty Instrument wie Maultrommel Glockenspiel, Oboe, Sopransax etc. Achte auf den Anfang des Refrains, den die Leute in der U-Bahn mit sich rumschleppen. "Hammering Home", die Wiederholung des Refrains ad lib. kann von Genies mit "phonetischer Steigerung " (die Melodie eine Terz höher) gewürzt werden, für Anfänger, für die das Manual geschrieben wurde, reiche der Effekt, dass die restlichen Instrumente außer Gesang und Groove ruhig sind oder Take down spielen, von wo man dann ins normalen Refrainarrangement zurückkehrt, was Spannung nachstellen soll (gibt es auch in der Nummer, da nennen sie es "breakdown section" oder "middle eight" - da wo früher ein Solo kam - raten aber davon ab, außer man ist mindestens Paul McCartney)
3) Achte auf den Groove (sie sprechen von der Herstellung eines am Computer hergestellten Dance-Hits), am besten bediene dich bei schwarzer Musik aus den 60er- oder 70er-Jahren - da die Copyright-Regeln von weißen Anwälten geschrieben würden, würde dich niemand für eine geklaute Basslinie oder einen gesampelten Beat einer schwarzen Band verklagen (stimmt so nicht mehr). An diese Regel haben sie sich selber nicht gehalten, der Groove zu "Doctorin' the Tardis" stammt vom urbritischen Gary Glitter, aber sie räumen ein, dass sie für britische "Lads" produziert hatten, die in den Pubs mitgrölen, und diese hätten eine "Hassliebe" zu diesem Beat (man könne ihn auch allerhöchstens alle zehn Jahre verwenden).
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "What'll I do" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
4) Setze auf "Novelty". Benny Hill hätte größere Chancen auf eine Nummer eins als Aretha Franklin, sagen Drummond/Cauty. Ein komisches Geräusch (bei ihnen eine Sirene aus Sweet's "Blockbuster", ein Fernsehthema (bei ihnen "Dr.Who") eine komische Stimme, ein ungewöhnliches Instrument (Melodica, Theremin, Oboe) ein merkwürdiger Akzent (wie bei Drummonds Management Schützlingen Proclaimers), oder (daran hatten sie nicht gedacht, aber das ist die derzeitige Hauptnovelty) "Lala", "Uh Oh", "MMMH", "yeah yeah" und das notorisch gewordene gepfiffene Wiederholen des Refrains.
Je nun, wir fassen für den Song Zum Sonntag zusammen:
1) Lisa Hannigan's "What'll I do" hat all das nicht, ein Gitarrenlick, ein Soulbeat und die überzeugendste und eindringlichste "La La"-Passage im Refrain seit Kylies "can't get you out of my head", ein "Oh Oh Oh Oh - Eh Eh - Ah Ah Ah - Eh Oh" das sich neunjährige Mädchen glücklich im Freibad vorsingen, sich natürlich fröhlich aussehende Moves dazu ausdenken und sich "gelbe Babystrickmütze zu Weihnachten wünschen" auf kleine rosa Post-Its notieren.
2) "Ich weiß nicht was ich ohne dich machen soll, meine Wörter haben keinen Witz, mein Frisbee stürzt ab" etc. Verzweiflung, dann, vor dem eigentlichen Refrain Burt Bacharachs "I don’t know what to do with myself" und dann eben das unwiderstehliche "Oh Oh Oh Oh - Eh Eh - Ah Ah Ah - Eh Oh" ... das wird "nach Hause gehämmert" über den Takedown am Schluss, wie es sich gehört, wo das Schlagzeug nur mehr den Backbeat spielt, ein kaum merkliches Klatschen hinzugemischt wird und der Dulcimer, eine keltische Drehleier (das Novelty Instrument, für Punkt 4) und eine Geige die Melodie mitspielen.
3) Bei Lisa Hannigan ist der Beat von "You can't hurry love" von den Surpremes (oder von "Town called Malice" von the Jam, je nach Vorliebe)
4) "Oh Oh Oh Oh - Eh Eh - Ah Ah Ah - Eh Oh" ... dazu ein nettes Video, wo die sympathische Sängerin sich selber auf der Hochschaubahn filmt, ihre gelbe Strickmütze, der Dulcimer.
Ein Narr wer schlecht darüber denkt: Der Song ist großartig und verdient seiner Interpretin hoffentlich ein großes Backsteinhaus in Dún Laoghaire. Alles richtig gemacht, das Freibad kann eröffnen.