Erstellt am: 23. 4. 2012 - 12:56 Uhr
Some like it not
Mit Marilyn Monroe ist es wie mit einem wahnwitzigen Kuchenrezept, das seit ihrem Tod im Jahr 1962 regelmäßig um Zutaten erweitert wird. Dabei kommt aber immer das Gleiche raus und das Backwerk ziert stets ein in Zuckerguss geschriebenes "tragisches Sexsymbol". Von dem Kuchen, in dem sich Ruhm, Sex, Tod, Einsamkeit marmorierend aneinander schmiegen, können wir anscheinend nicht genug bekommen können. "She will go on eternally" prophezeite schon Jackie Onassis und 50 Jahre nach ihrem Tod scheint die Nachfrage nach Marilyn Monroe nicht kleiner zu sein, das Angebot sowieso nicht. Es fehlt nur ihr Menstruationskalender und ihre Blutwerte, ansonsten glaub ich wurde alles veröffentlicht, was Marilyn Monroe der Welt hinterlassen hat. Protokolle ihrer Therapiesitzungen, Briefe, Tagebucheinträge, Fotos. "Ist es noch Stalking, wenn es Tote betrifft", stellt C. die Frage in den Raum und gleich neben ein Exponat der "Marilyn intim"-Ausstellung im Wiener Novomatic Forum. Wir starren auf einen Lockenwickler, in dem sich ein blondes Haar der Monroe befindet. Und es schüttelt uns ein bisschen.
mgm
Glitzernder Mythenpalast
Bei jeder Veröffentlichung, jeder Ausstellung, ja, sogar jedem Artikel hat man das Gefühl, dass man so gerne einen Blick hinter die Ikone werfen würde und doch das Ikonenhafte, das zum Konsumgut erstarrte Konterfei, nur noch mehr zementiert. Mit jedem Ast, von dem man die mythenzugewucherte Monroe zu befreien versucht, wachsen hydragleich ein paar neue nach. Ihre Biografie mit beinah märchenhaften Elementen gespickt - von der Mutter weggegeben und bei zwölf verschiedenen Familien aufgewachsen - ist ein Mosaik aus Gegensätzen und ein ganzer Kanon aus menschlichen Dramen. Elemente, die man immer wieder in neuen Versuchsanordnungen kombinieren kann: Rausch, Ruhm, Glanz und Einsamkeit.
mgm
Der personifizierte Sex im aseptischen, vom Production Code dominierten Hollywood, Selbstzweifel, Todessehnsucht, Alkohol, Tabletten, Fehlgeburten, Suizid. Als wäre das und der so anziehende Stoff vom "tragischen Star" noch nicht genug Baustoff für einen Mythenpalast, so sind es auch die prominenten Männer in ihrem Leben - Freunde, Ehemänner, Liebhaber - die genug Material an Geschichten liefern. Von Joe DiMaggio zu Arthur Miller, von Milton Greene zu Truman Capote. Von John F. Kennedy zu Yves Montand. Und dann ist ja noch die Versuchung, Marilyn Monroe und ihre Rollen auf Deckungsgleichheit zu überprüfen, das Autobiografische im Werk zu suchen.
The Misfits
Denn wie ähnlich scheinen sie sich zu sein, die Schauspielerin, die angibt, zum Schlafen nur "Chanel No 5 " zu tragen und die namenlose Blonde - wozu braucht sie auch einen Namen, sie ist die menschgewordene Phantasie aus dem oberen Stock - die in "Seven Year Itch" ihre Unterwäsche in den Kühlschrank legt, um die New Yorker Sommerhitze zu überstehen. Aus jedem Song kann man, wenn man will, plötzlich Bezüge raushören und wie verführerisch einfach wäre es, Sugar Kane, Lorelei Lee und Pola Debevoise mit Norma Jean gleichzusetzen. Der einzige Film, bei dem eine autobiografische Lesart fruchtbringend ist - einem aber das Herz zerfetzen wird - ist John Hustons "The Misfits", Marilyn Monroes letzter Film. Als Kind im Waisenhaus erträumt sich Marilyn Monroe Clark Gable als Vater, hier spielen sie Seite an Seite, und es wird auch für ihn der letzte Film sein. Zwei ikonengewordene Stars eines Hollywoods, das es eigentlich während der Dreharbeiten zu "The Misfits" schon nicht mehr wirklich gibt. Und schon wieder so ein Mythenhaufen.
mgm
Weak Week with Marilyn
45 Jahre nach ihrem letzten Film kommt Marilyn jetzt - irgendwie zumindest - wieder auf die Leinwand. Das war ja, bei dieser Biografie und dem momentanen Suhlen aktueller Filmproduktionen im Blick zurück und dem Reproduzieren der eigenen Geschichte, nur eine Frage der Zeit. Simon Curtis' "My week with Marilyn" beruht auf dem gleichnamigen Buch des Briten Colin Clark, der die Monroe 1956 während der Dreharbeiten zu "The Prince and The Showgirl" kennengelernt hat.
Er ist 23, dritter Regieassistent bei dem leichten Komödienlustspiel unter der Regie von Laurence Olivier und, wie der Rest der Welt, von MM angetan. Sie ist 31, hat gerade Arthur Miller geheiratet und will endlich als Schauspielerin ernst genommen werden. Der Schlüssel dazu hieß damals "Method Acting". Paula Strasberg ist ihre großbebrillte Vertraute aus New York, die bald dem stets erbosten Laurence Olivier und seinen gerollten "R"s ein breites, bestimmtes "Marilyn needs to rest" entgegenstellt. Kenneth Branagh zieht als Laurence Olivier erbost die Augenbrauen bis zum Haaransatz und zitiert Shakespeare, das ist auch weise so, denn die Dialogzeilen von "My week with Marilyn" sind nicht grade ein Freudenfest des Sätzebildens. Ein bisschen Biopic, ein bisschen hinter die Kulissen blicken, ein bisschen mit dem begehrenswerten Blick des Publikums auf die Kinoleinwand spielen. Denn auch wenn die Geschichte von Colin wahr ist, so ist das eigentlich völlig egal.
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Blick und Begehren
Der sommersprossige Colin ist dieser begehrende Blick in Menschenform und Tweedjackets, ein male gaze, wie es bei der britischen Filmtheoretikerin Laura Mulvey heißt, auf zwei Beinen. Der Tag- und Nachttraum einer wohl ganzen Generation von Männern: Nahe bei Marilyn Monroe sein, sie nackt sehen, im Türrahmen zu lehnen, wenn sie in der Badewanne singt, und zu ihr ins Bett klettern, wenn auch nur, um in tröstender Löffelstellung zu verharren. Viel zu wenig spielt "My week with Marilyn" leider mit dieser Ebene des Blicks und des Begehrens, es ist viel zu beschäftigt damit, uns eben die wahre Geschichte zu erzählen. Aber diese um Wahrheit und Authentizität bemühten Geschichten werden den Personen, von denen sie handeln, oft nicht gerecht. Vor allem dann, wenn filmisch und inszenatorisch penibel darauf geachtet wird, die Pfade der Realitätsabbildung nicht zu verlassen. Soll heißen: Das Parkett ist poliert, die englischen Wiesen grün und saftig, der Tee dampft in der Blümchenkanne. Das schaut alles ein bisschen aus wie ein Agatha Christie-Setting, die Briten sprechen gespreizt und stopfen ein "jolly" zwischen jedes dritte und vierte Wort, die Amerikaner sind großmäulige Yankees mit viel Pomade im Haar, und die stets Hut tragenden Reporter treten nur in Rudeln auf und drängen sich wie Rugbyspieler aneinander.
Wunderbare Williams
Das goldene Herz in dieser Anordnung aus Déjà-Vus, Staubigkeit und Sprödheit heißt Michelle Williams. Die nämlich, die weicht ab von der reinen Realitätsabbildung, die begnügt sich nicht mit Stimmenimitation und Gestennachspielen, sie variiert bloß Monroe'sche Eigenheiten oder in einer MM-Charade zu erstarren. Es ist nur so schade, dass sie dies nicht in einem Film machen kann, der ein wenig mehr den Mut atmet, sich von Biopic-Konventionen zu befreien, wie Todd Haynes meisterhaftes Dylan-Puzzle "I'm not there" oder Stephen Hopkins' spielerisches "The Life and Death of Peter Sellers". Beide Filme haben sich selbst nicht mit dem "die Wahrheit, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit"-Schwur belastet, sie nutzen die Möglichkeiten des Kinos um sich einer Person anzunähern und kleben nicht bloß eine überlieferte Anekdote an die nächste.
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Paging Cpt Obvious
Hier aber soll nichts unserer eigenen Interpretation oder gar Fantasie überlassen werden, das machen gleich zu Beginn eingeblendete Orts- und Datumskoordinaten. Laurence Olivier spricht seine Verzweiflung mit Hamlet-Pathos in den Garderoben-Schminkspielen, Marilyn Monroe haucht Selbstzweifel in Frottee eingewickelt auf einem zartrosa Fauteuil liegend. "Just be sexy isn't that what you do?", poltert der eine. "Why is Sir Olivier so mean?", fragt die andere. Man möchte dem Film streckenweise eine Rückenmassage verpassen oder einen Schnaps einflößen, so krampfig und spröde zieht Simon Curtis seinen Reigen auf, so langsam buchstabierend formuliert er alles aus, bis am Ende nicht mehr viel übrig ist, als die mit Nostalgie-Tinte geschriebene Botschaft in Pastell, irgendwo zwischen "I'm just a girl standing in front of a boy asking him to love her" und "I've always depended on the kindness of strangers". Warum ein Film, der sich der Frau annimmt, die die Leinwand hat flirren lassen, deren Körperpräsenz alleine den Puritanismus in den Schwitzkasten genommen hat, deren Funke und „Je ne sais quoi“ auch für die Magie des Kinos steht, mit den Verführungskünsten des Films so überhaupt nicht spielt, bleibt ein Rätsel.
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Um sich der Leinwandpräsenz, dem Flirren der Marilyn Monroe wieder bewusst zu werden, sollte man sich nach "My week with Marilyn" schnell "Niagara" oder eben "The Misfits" anschauen, in der Szene in letzterem, in der sie in der Wüste Clark Gable, Montgomery Clift und Eli Wallach "Killers! Murders! You liars! All of you liars! You're only happy when you can see something die! Why don't you kill yourself to be happy! You and your God's country! Freedom! I am not kidding you, you're three sweet damned men!" entgegenbrüllt, dann steht man wieder im Bann der Marilyn Monroe.