Erstellt am: 20. 4. 2012 - 18:53 Uhr
Wasn't made to be booed
Die nächtliche Reise durch die YouTube-Welt mit dem Weinglas in der Hand ist das gängige Trauerritual des ausgehenden Zeitalters der Web-Anarchie. Diesmal war der Schock gedämpft durch die Meldungen über Levon Helms Twitter-Feed. Seine Familie ließ uns schon vor zwei Tagen wissen, dass Levon sich in der letzten Phase seiner Krebserkrankung befinde.
Vor ein paar Jahren hatte man geglaubt, der 71-jährige hätte das Geschwür in seinem Kehlkopf besiegt, jüngere Live-Mitschnitte seiner Band, wo man ihn mit gebrochener Stimme vom Platz hinter seinem Schlagzeug „Danke“ sagen hört, tun weh. Weil er so eine fantastische Stimme hatte.
Als gestern die Todesnachricht kam, blieb ich also bei meinem Streifzug durch die grob gepixelte Nostalgiewelt in Levon Helms Blütezeit, den späten Sechzigern bis mittleren Siebzigern hängen.
Seien wir uns ehrlich, jene, die „Levon, wer?“ fragen, sind bis hierher gar nicht vorgedrungen, es hat also wenig Sinn, hier seine Biographie aufzuschreiben, noch dazu wo er selbst bzw. andere das besser können.
Stattdessen sollte ich vielleicht besser die Links, die mir untergekommen sind, grob chronologisch ordnen.
Da hätten wir zum Beispiel diese Playback-Performance aus dem Jahr 1959, ein abgefilmter Fernseher, immer beliebt, aber ich habe keine andere Quelle dafür gefunden: Ronnie Hawkins, der kanadische Rockabilly, mit seiner jungen Band, den Hawks. Wenn ich nicht irre, ist Helm (am Schlagzeug) da gerade 18 Jahre alt.
Beifügungen zu diesem Blog sind natürlich willkommen, und vielleicht bin ich auch unverzeihlich ahnungslos, aber ich bin auf keine Filmaufnahmen von ihrer berühmt-berüchtigten „Going Electric“-Tour als Backing-Band von Bob Dylan 1966 gestoßen, auf denen man Levon Helm am Schlagzeug sieht.
Er hatte die Tour schließlich nach nur drei Monaten verlassen, weil „ich nicht dafür geschaffen wurde, ausgebuht zu werden“ (wie er in seiner Autobiographie schrieb).
Was danach kam, wurde endlos oft erzählt, am blumigsten wahrscheinlich von Greil Marcus. Der Sommer 1967 in Woodstock, Dylan an der Schreibmaschine und The Band – wie die Hawks sich schließlich der nennen sollten – als seine kongeniale Musikmaschine dazu, die Entstehung der erst 1975, und selbst dann nur auszugsweise veröffentlichten Basement Tapes.
Filmaufnahmen gibt’s davon natürlich auch keine, aber diesen sehr charmanten Videomitschnitt von Bob Dylan & The Bands Auftritt beim „Isle of Wight“-Festival 1969. Den ersten Song, bevor Dylan auf die Bühne kommt, singt Levon (der Kameramann findet ihn nicht), und ja, es ist „The Weight“. (Ab da geht’s ein bisschen bergab übrigens, „Highway 61“ als Blues-Jam ist schlimm daneben ...).
Was „The Weight“ angeht, einen Song, der mich verfolgt, seit ich mir einst mit 14 einen Sommerurlaub lang im Erika-Kino in der Kaiserstraße wieder und wieder „Easy Rider“ anschaute, hab ich da noch diese zügige Version aus dem Film zur Festival Express-Tour 1970 gefunden.
Vielleicht noch ein bisschen charmanter ist diese Version hier eben, beginnend bei 04:26.
Später, bei 13:56 folgt übrigens noch ein klassischer Levon-Song: „Up On Cripple Creek“.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits das Debüt „Music From The Big Pink“, das klassische, zweite „braune“ Album und das dritte „Stage Fright“ erschienen.
In diesem Ausschnitt erzählen Levon Helm und Richard Manuel die Geschichte ihres, äh ... Bandnamens und des Hauses namens „Big Pink“ - auffallend übrigens der Südstaaten-Akzent des in Arkansas aufgewachsenen, für den Rest seines Lebens in Upstate New York hängen gebliebenen Helm. (Der Rest der Band war kanadisch).
Nicht schlecht dazu passend auch dieser von Gitarrist Robbie Robertsons Beschreibung eingeleitete Probe-Mitschnitt von „Up On Cripple Creek“ in einem gigantischen Wohnzimmer (nicht im Big Pink selbst, wie man beinahe glauben könnte).
Womit wir zur in diesem Fall logischen Hauptquelle kommen. Scorceses Konzertfilm „The Last Waltz“, der Auslöser für die Spaltung zwischen Helm und Robertson. Eigentlich ja nicht so meins, aber diese „Ophelia“-Version kann schon was.
Ganz zu schweigen von der des Bürgerkriegslieds „The Night They Drove Old Dixie Down“, wenngleich die fragile Studioversion viel mehr Charakter hat (sehr empfehlenswert übrigens die Erklärung zu diesem historisch und politisch komplexen Song).
Einmal noch „The Last Waltz“, ein Song aus den „Basement Tapes“: „I Shall Be Released“ in der aufgeblähten Showbiz-Version. Wäre eigentlich leichter aufzuzählen, wer da nicht auf der Bühne ist. Also lassen wir's bleiben, es geht um Levon Helm.
Nach dem Bruch mit Robertson versuchte Helm sich unter anderem als Schauspieler. Neben Sissy Spacek spielte er 1978 in „Coal Miner's Daughter“, einer Biographie der Country-Sängerin Loretta Lynn. Hier spielt Helm mit Spacek zwei Jahre später den gleichnamigen Song in der Fernsehshow „Midnight Special“.
Und zu diesen Klängen gleitet mir das Laptop vom gut gewärmten Schoß und das Glas Wein aus der Hand und auf den Teppich.
Ruhe in Frieden, Levon Helm!