Erstellt am: 21. 4. 2012 - 14:00 Uhr
Gentrification, Gentrification
Man kann es schon nicht mehr hören und doch sind die Zeitungen täglich voll davon. Kann man „Hartz IV“-Empfängern zumuten an den Stadtrand zu ziehen? Wer kann sich die Mieten hier überhaupt noch leisten? „Alles halb so wild“, sagen die, die es nicht betrifft. „Eine Stadt lebt halt durch Veränderung! Es kann halt nicht jeder in den beliebten Vierteln wohnen.“
Läuft da nicht was falsch?
Aber wenn so ganz normale Leute wie Krankenschwestern oder Postboten oder Gemüsehändler sich sie Wohnung in dem Stadtteil, in dem sie aufgewachsen sind, nicht mehr leisten können, läuft dann nicht was falsch?
Jetzt kam eine neue Horrormeldung: Die Insel der Jugend, ein Veranstaltungsort im Stadtteil Treptow, steht auf der Kippe. Der idyllische Veranstaltungsort mit seinen Open-Air-Konzerten und Nachmittagsaktivitäten für Kinder ist nach 30 Jahren Konzertbetrieb nun plötzlich zu laut. In dem Club auf der Spreeinsel, die nur über eine geschwungene Brücke zu Fuß zu erreichen ist, traf sich schon im Ostberlin der Achtziger Jahre die Punk- und Waveszene der DDR.

Andreas Steinhoff
Aber auch Bob Dylan und Joe Cocker traten dort auf und direkt nach der Wende war der Dark Friday ein beliebter Treffpunkt für die Grufties der wiedervereinigten Stadt. Sonntags gab es Familiennachmittage bei Kaffee und Kuchen, im Sommer Konzerte von Guided By Voices und Tocotronic. Die Insel der Jugend ist mit ihren Festivals und Konzerten eine Art Leuchtturm für das in Sachen Nachtleben und Szene strukturschwache Treptow.
Zu laut für Luxusanwohner
Warum ist es nach 30 Jahren plötzlich zu laut wo es sich doch um eine Insel in der Spree, im weitläufigen Treptower Park handelt, die gar keine direkten Nachbarn hat? Ganz einfach: Weil auf der gegenüber liegenden Halbinsel in den letzten Jahren neue Luxushäuser entstanden sind.
Es ist tragisch. Aber anscheinend haben so luxuriös wohnende Menschen durch ihren gehobenen, feinen Lebensstil einfach auch so überempfindliche feine Ohren bekommen, dass sie ein paar dann und wann herüberwehende Konzertklänge akustisch nicht ertragen können. Sie haben Beschwerde eingereicht - und Recht bekommen.
In der Berliner Tageszeitung “taz” vermutet man, dass in die Townhouses jetzt dieselbe Klientel einzieht, die schon vor zehn Jahren für das Clubsterben am Prenzlauer Berg verantwortlich war: Leute, die einerseits die Nähe zur Szene suchen und andererseits ihre Ruhe wollen. Immobilienfirmen werben für Bauprojekte mit garantiertem Spreeblick, goldenen Armaturen, Lobby, Concierge, Services, Fitness- und Wellnessbereich, Bootsanlegestelle.
Warum sich die Verwaltung der Stadt ausgerechnet den Bedürfnissen solcher Anwohner beugt? Man will es gar nicht wissen.
Und so sehr man sich als Musikerin und Autorin über die unausgegorenen Ideen der Piraten zum Urheberrecht auch ärgert, ein Punkt aus ihrem Berliner Programm ist doch sehr unterstützenswert: Bei Lärmbeschwerden gegen Clubs soll bei Auseinandersetzungen auch berücksichtigt werden, wer schon länger am Ort ist. Dann würden sich allzu geräuschempfindliche Luxuswohnende in Zukunft vielleicht eher am Stadtrand ansiedeln.