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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

23. 4. 2012 - 10:20

Künstler – Piraten 1:1

YouTube und die GEMA trafen sich vor dem Hamburger Landgericht – und beide haben gewonnen. Was das "richtungweisende" Urteil für Deichkind, Sven Regener und uns bedeutet.

Deichkind waren sauer. Stinksauer. "Sooo, 'Leider geil' ist jetzt auch gesperrt. Ob Plattenfirma, YouTube oder GEMA, egal wer dafür verantwortlich ist. Wir wollen, dass unsere Videos zu sehen sind. Regelt euren Scheiß jetzt endlich mal und macht eure Hausaufgaben. Ihr seid Evolutionsbremsen und nervt uns alle gewaltig." Im März war das, und nicht einmal zwei Monate später könnte ein Landgericht in Deichkinds Heimatstadt Hamburg YouTube und der GEMA beim Regeln ihres Scheiß' entscheidend geholfen haben.

Tatsächlich könnte das erstinstanzliche Urteil – wenn es so rechtskräftig wird – den seit langem schwelenden Streit zwischen Rechteverwertern, Internetindustrie, Künstlern, Usern und Piraten zumindest ansatzweise in geordnete Bahnen lenken. Sowohl YouTube als auch die GEMA fühlen sich als Sieger, was für uns Fußballfans heißt: ein gerechtes Unentschieden.

Die Vorgeschichte

Beim vorangegangenen Ballyhoo jedenfalls waren vernünftige Positionen eher selten, und so mancher hat Prügel einstecken müssen für etwas, was er gar nicht gesagt hat. Waren Deichkind noch sauer aber neutral, haben sich andere, wie zum Beispiel Sven Regener, deutlich auf die Seite der GEMA geschlagen, und YouTube, die Piratenpartei und Internetuser generell der Ignoranz bezichtig, um es mal vornehm auszudrücken. Aber worum gehts?

Die GEMA, die deutsche Version der AKM, vertritt die Urheberrechte im Namen der MusikerInnen und kassiert von Konzert- und Partyveranstaltern, Radio- und Fernsehstationen – also denen, die mit der Musik anderer Leute Geld verdienen – Gebühren für die Nutzung von musikalischen Werken, die sie an die KünstlerInnen weiter leitet. Mit "Großabnehmern" gibt es Pauschalvereinbarungen.

Je nach Position prügelt sich der behäbige Verwaltungskonzern GEMA (uncoole analoge Industrie) mit der Videoplattform YouTube (coole Netztechnologie) darum, ob wir beim Videos schauen in Ruhe gelassen werden oder uns ständig mit nervigen Contentsperren herumschlagen müssen. Oder es prügelt sich der Vertreter der KünstlerInnen mit einem globalen Medienkonzern (YouTube gehört Google) weil der mit dem Content anderer Leute Geld verdient, die Künstler aber nicht angemessen daran beteiligen will.

Anders ausgedrückt geht es darum, ob das alte analoge Urheberrecht im digitalen Zeitalter noch dazu taugt, Künstlern die Verwertung ihrer Werke zu ermöglichen.

…das ist Brutalität!

Die GEMA hatte mit YouTube bis April 2009 eine vorläufige Vereinbarung zur Abgeltung von Urheberrechten. Seither verhandeln die beiden, bislang erfolglos, über einen endgültigen Vertrag. Die Vereinbarungen, die YouTube mit den französischen und belgischen Rechteverwertern getroffen hat, gehen der GEMA nicht weit genug. YouTube ist aber bisher nicht bereit, wie von der GEMA gefordert bis zu 0,6 Cent pro Streaming zu bezahlen.

In der Zwischenzeit lässt die GEMA YouTube-Videos sperren, wenn sie Wind davon bekommt, dass ein User GEMA-pflichtigen Content hochlädt. YouTube wollte das auch weiter so halten und die GEMA dazu zwingen, jeden Urheberrechtsverstoß zu melden, bevor YouTube ihn sperrt. Keine gute Idee, fand die GEMA, bei 8 Millionen Titeln wäre das wohl eine Sisyphosaufgabe. Darum drehte sich die Klage, anhand von zwölf beispielhaft ausgewählten Titeln (u.a. Rivers of Babylon von Boney M.). Und so hat das Gericht YouTube nun dazu verpflichtet, selbst deutlich engagierter als bisher den Urheberrechtsverletzungen seiner NutzerInnen nachzugehen. Das Tor für die GEMA.

1:0 GEMA (21., Boney M.)

Warum YouTube trotzdem zufrieden ist? Weil das Gericht in einem zentralen Punkt der Argumentation der GEMA nicht gefolgt ist – und dieser zentrale Punkt könnte nun eben wegweisend sein: YouTube sei, so das Gericht, nicht selbst Urheberrechtsverletzer, sondern nur "Störer", wie das im Juristendeutsch heißt. Das Urheberrecht verletzen weiterhin die Uploader, Google aka YouTube muss das allerdings effektiver als bisher verhindern. Ausgleichstreffer.

1:1 YouTube (78., kangaroo73)

Das Rauschen im Blätterwald: die Süddeutsche hat Angst um die YouTube-Kultur, die Frankfurter Allgemeine hingegen findet die GEMA zwar zutiefst unsympathisch – gibt ihr aber trotzdem recht.

Die Holzhammermethode, im Extremfall wegen ein paar inkriminierter Videos gleich ein ganzes Portal zu sperren, wird hier ausdrücklich nicht als rechtens angesehen. Und Plattformen wie YouTube werden nicht dafür verantwortlich gemacht, wenn ihre User gegen Gesetze verstoßen – sofern sie es nicht fahrlässig geschehen lassen. So manch zwielichtige Abmahnpraxis sollte, nimmt man dieses Urteil als Referenz, nun nicht mehr möglich sein.

Auf der anderen Seite werden die beliebten Contentsperren auf YouTube, über die sich Deichkind im März echauffiert haben, in näherer Zukunft vermehrt zu sehen sein. Das ist für Deichkind und Deichkind-Jünger allerdings nicht automatisch eine schlechte Nachricht. Denn damit YouTube nicht gegen andere Videoportale und Streamingdienste, die sich mit der GEMA bereits geeinigt haben, ins Hintertreffen gerät, werden sie bald wieder verhandeln und dabei wohl die eine oder andere Krot' schlucken müssen. Und das hieße erstens, dass die Contentsperren wohl schon bald ganz Geschichte sein könnten, und zweitens, dass Deichkind dann eben auch vom YouTube-Kuchen ihren Teil abbekommen. Und Sven Regener dann seine Videos vielleicht auch wieder reinstellt.