Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Daniela Strigl in der FM4 Bücherei"

Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

13. 5. 2012 - 12:33

Daniela Strigl in der FM4 Bücherei

Die Literaturkritikerin, Germanistin und Wortlautjurorin stellt drei Bücher vor, die aufzeigen, was das Leben ausmacht: Marlen Haushofer, Theodor Kramer und Nikos Kazantzakis.

Alle bisherigen
Gäste der FM4 Bücherei

Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.

Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor, bzw. Bücher, die man lesen sollte.

Diesmal zu Gast: Daniela Strigl

Die Literaturkritikerin und Germanistin Daniela Strigl liest naturgemäß gern und viel. Ihre Kritiken sind nicht nur ausgezeichnet (mit dem Staatspreis für Literaturkritik) sondern auch gefragt: sie ist Jurorin beim Wettlesen um den Bachmannpreis, war Jurorin beim Deutschen Buchpreis (130 bis 160 Bücher sind dafür zu lesen), beim Bremer Literaturpreis (jeder Juror nominiert einige Bücher). Heuer ist sie außerdem bei der Hotlist für die unabhängigen Verlage (30 Bücher) und bei Wortlaut (20 Kurzgeschichten) vertreten.

Umso interessanter, welche Bücher Daniela Strigl in der FM4 Bücherei vorstellt. Alle drei Bücher haben einen existentialistischen Aspekt, erklärt Daniela Strigl. Sie zeigen auf, was das Leben ausmacht. Denn das besteht im Idealfall nicht nur aus Lesen und Vernunft. Es besteht auch aus dem sinnlichen Aspekt, der den Alltag bestimmt. "Ich hoffe nichts, ich fürchte nichts, ich bin frei." In diesem Sinn:

grüne büchereikartei daniela strigl

bereuter/strigl

Marlen Haushofer: Die Wand

Buchcover Marlen HAushofer die wand

List Verlag

Marlen Haushofer: Die Wand. List Verlag

Es ist die Geschichte einer Frau, die durch eine rätselhafte Katastrophe im Wald eingeschlossen wird und durch eine gläserne Wand abgetrennt wird vom Rest der Menschheit. Dort muss sie versuchen, zu überleben. Das gelingt ihr mit Hilfe einiger Tiere, die eben auch abgetrennt wurden.

Vor allem mit der Hilfe und Freundschaft eines Hundes fasst sie den Mut, in dem Jagdhaus weiterzuleben. Der Hund gehört ihren Gastgebern, die aber an dem Abend, an dem das passiert ist, ins Dorf gegangen und nicht mehr zurückgekehrt sind.

Das ist ein Buch, das eigentlich eine fantastische Geschichte erzählt, aber surrealistisch und so genau, dass es total überzeugend ist. Marlen Haushofer erzählt diese Geschichte mit einer gewissen hausfraulichen Pedanterie. Also es geht auch wirklich darum, wie viele Vorräte hat sie in diesem Haus, wie kann sie sich die einteilen? Dann fällt ihr natürlich ein, dass sie gewisse bauliche Maßnahmen für eine Kuh treffen muss, die sie gefunden hat. Das muss alles adaptiert werden. Da ist sie ganz auf sich gestellt. Sie ist eine Frau aus der Stadt, die eigentlich keine Übung hat in handwerklichen Dingen. Als Kind hatte sie allerdings auf einem Bauernhof einige Erfahrungen gemacht, die ihr jetzt zu Gute kommen, z.B. wie man eine Kuh melkt. Dann baut sie Erdäpfel an, da muss sie auch in einem Bauernkalender, den sie findet, nachschauen, wie man das macht. Also es geht um viele Tätigkeiten, die das Überleben sichern.

Marlen Haushofer ist unterschätzt aber sehr wichtig für die österreichische Literatur, weil sie gewisse Traditionen der fantastischen Literatur aber auch des Realismus aufgreift. Ich glaube, dass Marlen Haushofer, weil sie dazu geneigt hat, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen und sich immer kleiner gemacht hat als sie war, etwa im Vergleich mit der Ingeborg Bachmann zu kurz kommt.

Theodor Kramer

buchcover Theodor Kramer
Gedichte 1, mit portrait

Zsolnay

Theodor Kramer: Gedichte. Herausgegeben von Erwin Chvojka. Zsolnay Verlag

Wir bleiben in Österreich und drehen die Uhr noch etwas zurück. Theodor Kramer ist 1897 in Niederhollerbrunn beboren und 1958 in Wien gestorben. Er hat fast 20 Jahre im englischen Exil verbracht. Ich tute mir schwer mit der Empfehlung 'Man kann die dreibändige Ausgabe "Gesammelte Gedichte" empfehlen'. Man kann sich auch eine Auswahl zu Gemüte führen, die Hertha Müller herausgegeben hat unter dem Titel "Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan" oder "Die Liebesgedichte", da gibt es auch eine schöne Auswahl. Man kann klein beginnen oder sich durch das gesamte Werk arbeiten.

Das ist ein Lyriker, der Themen aufgegriffen hat, die man normalerweise nicht mit Lyrik verbindet. In gewisser Weise ist es also eine epische Lyrik. Er hat auch einiges mit der neuen Sachlichkeit zu tun. Es ist also keine Lyrik, die irgendwie schwärmt oder romantisch ist. Es ist eine ganz klar handwerklich gearbeitete, gereimte, strophenförmige Lyrik und sie handelt von Leuten am Rande der Gesellschaft, von Außenseitern, im Dorf, in der Stadt. Es ist eine sehr empathische, eine sehr mitfühlende Lyrik.

Das Besondere ist, dass Kramer sehr viele Rollengedichte geschrieben hat, deswegen hat man auch geglaubt, dass er all diese Berufe, die er da beschrieben hat, auch selbst ausgeübt habe: Maler, Bäcker, Rosshändler. Aber in Wirklichkeit hat er in der Ich-form in diesen Rollen geschrieben – übrigens auch in weiblichen Rollen, also Dorfhure, z.b. Und zwar immer sehr glaubwürdig. Nie kitschig und nie sentimental, aber sich sehr genau in die jeweilige Person und Perspektive versetzend. Und das Ganze hat so einen Ton, ein bisschen wie ein Leierkasten. Durchaus eine Wiederholung, auch im Rhythmus, das kann einem auf die Nerven gehen, aber man kann auch danach süchtig werden. Es ist vielleicht so eine Art "lyrischer Blues".

Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas

buchcover alexis sorbas mit foto von Anthony Quinnaus dem film

rororo

Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas. rororo

Ein Klassiker, der mich schon in jungen Jahren beeindruckt hat. Der Ich-Erzähler ist Schriftsteller, ein Alter Ego von Kazantzakis natürlich, der einen älteren Mann, nämlich Alexis Sorbas, kennenlernt und als Arbeiter engagiert. Denn er hat ein Projekt: eine Kohlenmiene auszubeuten. Der Ich-Erzähler hat so eine sozial-sozialistische menschenfreundliche Phase und möchte das auf eine irgendwie moderne Weise tun und der Alexis Sorbas ist eher so einer vom alten Schlag, der ihm die Welt, das Leben erklärt.

Sorbas bezeichnet den Erzähler als papierverschlingende Maus, er macht sich ein bisschen lustig über die Weltfremdheit des Erzählers und der lernt von dem Sorbas, wie man leben soll, könnte man sagen.

Also eine Lektion in Lebensphilosophie: Das Leben lieben und den Tod nicht fürchten, das ist so das Programm in nuce, das Sorbas hat.

Die Sache mit der Kohlenmine geht vollkommen schief. Ein totaler Zusammenbruch finanzieller Art, aber die beiden Freunde fühlen sich richtig befreit. Man kann also auch glücklich sein, wenn man Vermögen verloren hat. Diese Erfahrung macht der Erzähler.

Sorbas hat wirklich existiert, er hat Georgios geheißen und nicht Alexis und war wirklich ein Freund von Kazantzakis. Kazantzakis war ja der griechische Paradeintellektuelle und das war die Kontrastfigur. Und als der gestorben ist, hat Kazantzakis beschlossen, ihm mit diesem Buch ein Denkmal zu setzen.

Die FM4 Bücherei mit Daniela Strigl gibt es am Sonntag, 13. Mai, in FM4 Connected (13-17 Uhr) zu hören.