Erstellt am: 22. 4. 2012 - 12:38 Uhr
Frank Spilker in der FM4 Bücherei
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Gäste der FM4 Bücherei
Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.
Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor, bzw. Bücher, die man lesen sollte.
Diesmal zu Gast: Frank Spilker
Der Musiker Frank Spilker liest viel. Jetzt mehr als früher, weil die Kinder nicht mehr klein sind und weil er nicht mehr so oft auf Tour ist. Denn auf Tour kann man nicht gut lesen. Jedenfalls nicht bei den "Sternen". Stattdessen liest er am liebsten in einem fahrenden Zug. Warum er daheim nicht mehr viel Gitarre spielt, wie es ihm als "Jungautor" ergeht, und was er sich von Wortlaut erwartet.
bereuter/spilker
John Fahey, Blaugrasmusik
Suhrkamp
"John Fahey ist in den 60er-Jahren als Gitarrist und Bluesmusiker bekannt geworden. Bereits damals fand er zu experimentelleren Formen. Er hat in den 80er-/90er-Jahren den Tiefpunkt seiner Karriere erlebt und ist gleichzeitig von Bands wie Sonic Youth wiederentdeckt worden.
Ich finde er hat keine Biographie, sondern für mich eine Einführung in die Mystik geschrieben, weil ich als jemand, der aus der Punkgeneration kommt, keinen Zugang hatte zu mystischen Themen der Folklore usw.
Er schreibt in Blaugrasmusik über Mystik und eine Auffassung der Musik, die mir bis dahin ziemlich fremd war. Es sind teilweise absurde Geschichten über das Walhalla und was weiß ich, so Kindermythen. Und man ist so ganz drin in einer kindlichen Vorstellungswelt. Irgendwann begreift man auch, was das mit Blues zu tun hatte oder mit der Bluesmusikkultur.
Vielleicht ist es pseudobiographisch. Es sind mystische Kindheitsgeschichten, und es wird eine Lebensgeschichte erzählt, aber die muss man sich so ein bisschen zusammenreimen. Dieses Buch ist eine Sammlung aus Erzählungen aus zwei Büchern. Also es sind eigentlich unzusammenhängende Erzählungen, die sich aber lesen wie eine Biographie."
Peter Hacks: Zur Romantik
Eulenspiegel
"Da steht ganz treffend hinten drauf: Das ist keine Streitschrift oder Polemik gegen die Romantik, sondern eine Schlacht.
Peter Hacks - einer der führenden Dramatiker in der DDR auch mit Heiner Müller zusammen. Mich hat das Thema interessiert: die Romantik.
Es ist wirklich für jemanden, der wie ich in Westdeutschland sozialisiert ist, für den die Romantik immer der Kernmythos der bürgerlichen Freiheit oder des bürgerlichen Freiheitsgedankens ist. Wirklich toll, mal eine andere Position zu lesen, und man kriegt das nirgendwo anders so drastisch vorgeführt wie bei Peter Hacks.
Ich hab mich köstlich amüsiert. Ich kann nur mal kurz ein paar Überschriften vorlesen: "1. Ein romantischer Autor ist ein Autor, der die englische Literatur gelesen hat. 2. Ein romantischer Autor ist ein Autor, der die englische Literatur gelesen hat und Opium verzehrt. 3. Ein romantischer Autor ist ein Autor, der die englische Literatur gelesen hat, Opium verzehrt und sexuell von patriotischen Groupies betreut wird."
Das ist auch interessant für alle Leute, die immer denken, dass Kunst und Musik nichts mit Politik zu tun haben und immer so doof fragen "Seid ihr eigentlich politisch?"
Peter Hacks hat, glaube ich, zwei Hauptfeinde: Die Romantik und die Moderne. Ich weiß nicht, wie ernst man diesen Text nehmen darf, aber er ist wirklich dezidiert und in vielen Punkten auch folgerichtig."
Andreas Altman: Das Scheißleben meiner Mutter, das Scheißleben meines Vaters und meine eigene Scheißjugend
Piper Verlag
"Andreas Altmann ist Reisejournalist und hat eine ganz tolle Sprache. Das Buch gilt als Sachbuch, weil es eine Autobiographie ist und sagt ganz viel - nicht nur über sein Leben, sondern über die Kultur in einem katholischen Provinznest aus. Es ist bitterböse, er hat auch bitterböse Erfahrungen gemacht. Und wenn ich diese Kindheit durchleiden hätte müssen, hätte ich auch kein gutes Wort über die Kultur zu verlieren, in der er groß geworden ist.
Ich war bei der Lesung von Andreas Altmann in Hamburg und fand es wirklich beeindruckend. Die Lesung hat dem Text nichts hinzugefügt, was nicht sowieso schon drin steckt, aber ich finde es beeindruckend, wie der Mann dazu steht, und wie er seine wirklich heftige Kindheit mit einem komplett lieblosen Vater – der das natürlich auch irgendwo her hat, was auch alles erzählt wird – wie er das aber wirklich geschafft hat, in etwas Positives zu wenden und nicht unter-zu-gehen. Oder eben nur beinahe untergegangen ist.
Der Vater ist Rosenkranzhändler zu Füßen der Pilgerkirche in Altötting in Bayern. Es ist der Verarbeitung des Ganzen geschuldet, dass man irgendwann das Absurde dieser Situation sieht, während man ja als Kind oder als Opfer dem hilflos gegenüber steht. Und genau das ist das, was Altmann so gut beschreibt. Er entkräftet das nicht: diese Hilflosigkeit des Kindes, dieses dem Vater Ausgeliefert sein, der Gewalt. Er schafft es aber gleichzeitig, den Vater nicht als Monstrum darzustellen, sondern als lächerliche Person, und das so sehen zu können, da gehört wahnsinnig viel dazu.
Man denkt immer, dass verschiedene Dinge nicht mehr sein können, die immer noch passieren. Wie sehr so eine autoritäre Grundhaltung oder -denken oder die Ableitung daraus - in der Familie sozusagen den Herrscher spielen zu dürfen - wie weit das noch verbreitet ist, sieht man ja auch an diversen Kriminalfällen, die jetzt noch passiert sind. Insofern ist so ein Buch auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht alles Vergangenheit ist."
Die FM4 Bücherei mit Frank Spilker gibt es am Sonntag, 22. April, in FM4 Connected (13-17 Uhr) zu hören.