Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Welt ohne Werner"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

19. 4. 2012 - 17:19

Welt ohne Werner

Ich habe diesen Text für den "Abend für Werner Geier" im Wien Museum geschrieben, weil ich selber nicht dabeisein konnte.

Er ruft immer noch an. Der innere Werner, der Werner in mir. Er ist mein Bullshit-Detektor.
Wenn er anruft, reden wir stundenlang über die Dinge, die sich nicht ausgehen, diese nagenden Überzeugungsfragen mit den Antworten, die mit zunehmender Richtigkeit auch immer schwieriger werden.

„What would Werner do?“ Steht auf dem Bumper Sticker des Autos vor mir.

Werner schaut mir über die Schulter, wann immer ich in Gefahr gerate, einen schludrigen Superlativ, eine abgewetzte Metapher oder sonstwie faule Phrasen in den hungrigen Schlund der nächsten Deadline zu schieben.

Er rollt mit den Augen, während ich gerade die Mail lese, die mich fragt, ob ich mit meiner Band auf dem Beflügelten Brandwagen von Red Bull spielen will.

Werner, also meine Version von ihm, die mir über die Schulter schaut, wünscht sich übrigens immer noch die vom echten Werner Mitte der Neunziger Jahre im Sitzungssaal vorgeschlagene Kolumne mit dem Titel „This song I hate“.

Kollege Trishes über den Abend für Werner Geier inklusive Hinweis auf das heutige FM4 Tribe Vibes zum Thema

Die Kolumne gegen die Seuche des Alles-irgendwie-gut-Findens, das letztlich nur die andere Seite des Nichts-wirklich-für-wichtig-Nehmens ist.
Das den Zynismus der Mitspieler böser Spiele und den Zynismus derer Verarschung in Komödie und Kommentarspalte so nahtlos miteinander vereint, dass man sie nicht mehr von einander unterscheiden kann, die satten Brand Ambassadors mit ihren gekauften Testimonials und die hyperironischen Hipster im Hamsterrad der Gratisarbeit zur Selbstpromotion.

Diese pragmatischen Gegebenheiten kann er nicht hinnehmen, der innere Werner.
Aber die Stimme des echten Werner wurde ja bezeichnenderweise auch immer schwächer und immer leiser, synchron zum gleichzeitigen Siegeszug der korrupten falschen Pragmatiker.

Der unmögliche Gedanke drängte sich auf, dass seine Krankheit nicht Ursache, sondern körperliches Symptom seines Rückzugs und seiner Desillusionierung war.
Noch unmöglicher ist nur der Gedanke an sein Schwinden und sein Sterben als eine große Metapher für das Schwinden und Sterben der Popkultur, und der Hip Hop-Kultur, in ihrer Funktion als politisches Medium und Gegenöffentlichkeit.

Das ärmliche Buhlen der Coolen um die Patronanz der Limonaden-Versilberer und ihrer Beflügelten Brandwagen gehört in eine Welt ohne Werner.
Die Indie-Band im Ikea-Werbespot, Welt ohne Werner.
Die Kreditkarte, die Nelly zwischen den Arschbacken der Tänzerin durchzieht, Welt ohne Werner.

Ich projiziere das alles in ihn hinein, idealisiere einen Menschen, der seine eigene moralische Integrität immer mit dem Hinweis darauf relativierte, dass er mit seiner Musik selbst an Werbung verdiente. Aber was für ihn ein Kompromiss war, erscheint im Vergleich zur neuen Musikökonomie der Welt ohne Werner wie das kommerzielle Zölibat.

„What would Werner do“, steht auf den Flugblättern unserer kleinen Sekte. Und er kann sich nicht dagegen wehren. Konnte er auch zu Lebzeiten schon nicht.

Seit bald viereinhalb Jahren ist er nicht mehr da.

Aber der Werner in mir ruft immer noch an. Er ist mein Bullshit-Detektor. Wenn er anruft, reden wir stundenlang über die Dinge, die sich eigentlich nicht ausgehen.

"Over & Out" im Radio

Am Donnerstag, 19. April, wird der Tributabend für Werner Geier in einer Zusammenfassung auf FM4 ausgestrahlt - passenderweise am Sendeplatz von "Tribe Vibes", aber auch von "Projekt X". Zu hören gibt es von 22:00 bis 01:00 Teile der DJ Sets, Werner Geier-Collagen und Ausschnitte aus den Talkrunden und Konzerten!