Erstellt am: 23. 4. 2012 - 16:04 Uhr
"Der Kampf um globale soziale Rechte"
Mit der Lehman-Pleite sei auch der Neoliberalismus gestorben, hieß es 2008 zu Beginn der Finanzkrise. Doch es ist anders gekommen. Befremdlicherweise hat der Neoliberalismus überlebt und mit ihm auch seine Strategie zur Krisenbekämpfung und Wirtschaftsbelebung: Liberalisierung von Märkten, Schuldenverbote für Staaten, Abbau von Jobs und Sozialleistungen.
Wagenbach Verlag
Die Auflagen, die Griechenland für seine Milliardenkredite bekommen hat, enthalten all diese Punkte: Die Regierung muss ein striktes Sparprogramm einhalten und den Energiemarkt und den Güterverkehr liberalisieren. Die Tarifbindung der Arbeitgeber wird gelockert, die Mindestlöhne werden eingefroren oder gar ausgesetzt, der Kündigungsschutz wird aufgeweicht.
Griechenland ist dabei nur das aktuellste Beispiel. Soziale Rechte werden weltweit abgebaut, im Rahmen einer Weltwirtschaftsverfassung, die in erster Linie die Rechte der Privatwirtschaft schützt. So stellen es zumindest Andreas Fischer-Lescano und Kolja Möller in ihrem Buch "Der Kampf um soziale Rechte" dar. Auch nach dem Banken-Crash gehe es nicht darum, einen sozial und ökologisch gerechten Umbau des finanzmarktgetriebenen Wirtschaftssystems zu schaffen, sondern ihn mit anderen Mitteln fortzusetzen.
Transnationales Recht an Missständen beteiligt
Der Völkerrechtler und Rechtstheoretiker Andreas Fischer-Lescano und der Politologe Kolja Möller haben zentrale Merkmale der globalen Krisensituationen untersucht und dabei das transnationale Recht als eine ihrer Ursachen ausgemacht: Es schützt Patente von Pharmafirmen und verwehrt Aids-Kranken Hilfe durch günstige Generika, es schützt Investitionen von Unternehmen und setzt BewohnerInnen in Entwicklungsländern Landgrabbing aus.
Transnationale Unternehmen unterlaufen Menschenrechte, den Schutz der Umwelt, das Recht auf Nahrung und Gesundheit etc., und sie können sich dabei auf transnationales Recht berufen, welches das Recht privater Investoren und das Recht auf Freihandel schützt.
Fischer-Lescano und Möller sehen im modernen Recht ein Herrschaftsinstrument des Marktes. Sie versuchen aufzudecken, wie es zustande gekommen ist und weisen darauf hin, dass dieses Herrschaftsinstrument auch untergraben werden kann. Für sie geht es darum, das globale Recht sozialistisch zu interpretieren.
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Kampf mit sozialen Rechten
Auf transnationaler Ebene gibt es nicht nur die Rechte der Welthandelsorganisation, sondern auch einen Korpus sozialer Rechte, die man gegen die Rechte des Marktes in Stellung bringen kann, den UN-Zivilpakt oder den UN-Sozialpakt etwa, oder die europäische Sozialcharta. Zusammengefasst werden all diese Vereinbarungen unter der Bezeichnung "Globale soziale Rechte", die zu einem Label werden sollen.
In den letzten Jahrzehnten sind diese sozialen Rechte, die Mensch, Umwelt und Demokratie schützen, gegenüber den Handels- und Investorenrechten ins Hintertreffen geraten. Denn letztere sind durchsetzungsstärker. Sie können an den internationalen Gerichtshöfen der WTO oder der Weltbank eingeklagt werden, im Gegensatz zu sozialen Rechte, für die solche Gerichtsorte fehlen.
Die Autoren plädieren nun dafür, soziale Rechte wieder aufzuwerten und sie zu "harten Rechten" zu machen. Sie wollen transnationale Unternehmen verpflichten, die Menschenrechte einzuhalten und sie bei Verstößen auch zur Verantwortung ziehen. Das geschieht auch bereits, obwohl internationale Gerichtshöfe fehlen. Transnationale Anwaltsnetzwerke etwa versuchen, unternehmerische Selbstverpflichtungen wörtlich zu nehmen und klagen wegen Verstößen gegen den eigenen "Code of Conduct". Nationale Gerichte müssen nun entscheiden, wie bindend freiwillige Erklärungen sind.
Der Kampf auf der Straße
Neben den Kämpfen vor Gerichten sind auch gesamtgesellschaftliche politische Auseinandersetzungen wichtige für die Etablierung oder Aufrechterhaltung sozialer Rechte. Von der Occupy-Bewegung bis hin zu den Indignados in Spanien, den Revolutionären in den Arabischen Ländern oder der Landlosen-Bewegung in Südamerika sind in den letzten Jahren zahlreiche Protestformen entstanden, die ihre Empörung über die Missstände zum Ausdruck gebracht haben. Fischer-Lescano und Möller wollen diese Empörten nun dabei unterstützen, sich auch das rechtspolitische Terrain anzueignen. Denn hier liege ein geeigneter Hebel, an dem man ansetzen könne, um soziale Rechte zu stärken.
"Der Kampf um globale soziale Rechte" verzichtet zum Großteil auf Zahlen und Statistiken. Es ist ein recht trocken geschriebenes Buch, wird aber von klaren, lebendigen und recht bekannten Beispielen immer wieder aufgelockert, etwa dem Kampf Brasiliens für AIDS-Generika oder der Bevölkerung des bolivianischen Cochabamba gegen die Privatisierung der Wasserversorgung. Die Autoren zeigen die Entwicklung des transnationalen Rechts auf, das maßgeblich von Gerichten und nicht nur von Gesetzgebern geprägt worden ist.
Fischer-Lescano und Möller bieten keine Großentwürfe für eine bessere Weltordnung. Sie fordern auch keinen radikalen Umbruch. Sie zeigen aber auf, wie man den Widerspruch im globalen Recht ermöglichen kann. In kleinen Schritten wollen sie Emanzipation.