Erstellt am: 18. 4. 2012 - 12:48 Uhr
Romantik pur
Die Stille im Kinosaal wurde nur durch ein regelmäßiges Schluchzen unterbrochen. Der große Affe in Disneys Zeichentrickversion von Tarzan war gerade gestorben. Die Tränen flossen aus meinen Augen wie Donau und Sava, die sich in der serbischen Hauptstadt Belgrad treffen. Ich war allerdings der einzige, der weinte. Dem mehrheitlich aus 10-Jährigen bestehenden Publikum war der Tod des Affen egal. Nur ich, damals 16 Jahre alt, konnte es nicht akzeptieren und weinte wie entfesselt.
Die Geschichte ist zurück in meine Erinnerung gekommen, als ich neulich wartend in einer Arztpraxis die Senioren-Zeitschrift "50plus" durchblätterte. Eine Anzeige zog meine Aufmerksamkeit auf sich: "73-jährige Dame, Nichtraucherin, sportlich, gut gepflegt, sucht einen romantischen Partner für gemeinsame Erlebnisse". Dann fragte ich mich, ob man mit 73 romantisch sein kann. Könnte ich da, nachdem ich alle Enttäuschungen des Lebens schon geschluckt habe, immer noch mit voller Kraft weinen, wenn der große Affe im Tarzan stirbt?
The Wedding Traveller / flickr.com/eugeniowilman
Während ich bei der Romantik nicht sicher bin, kann ich bestätigen, dass man im Alter seine Eitelkeit nicht verliert. Meine Oma, die 82 Jahre alt ist und immer noch sehr aktiv, trifft sich regelmäßig mit anderen Omas in einem Sofioter Park, um die Einsamkeit zu vertreiben. Eine ihrer Freundinnen sagt ihr immer, wenn man sie trifft: "Du siehst aus wie Meryl Streep!" Meine Oma fühlt sich immer geschmeichelt. Sie hat zwar keine Ahnung, wer Meryl Streep ist, aber schon das Erwähnen eines ausländischen Namens im Zusammenhang mit ihrer Person erfüllt sie mit Stolz. Eines Tages fragte sie meinen Vater, wer Meryl Streep denn ist und ob man sie ihr zeigen kann. Mein Vater googelte den Namen der mehrfachen Oscarpreisträgerin und zeigte meiner Oma Fotos von ihr. Die Enttäuschung meiner Großmutter war groß: "Diese Meryl Streep schaut aber ganz gewöhnlich aus", sagte sie.
Außerdem schreibt meine Oma Gedichte. Sie schickt sie an eine bulgarische Zeitschrift, die der österreichischen "50plus" ähnlich ist. In diesen Gedichten klagt die romantische Seele meiner Großmutter über ihre Einsamkeit. Vielleicht sehnt sie sich auch nach einem Partner für "gemeinsame romantische Erlebnisse". Bisher wurde kein einziges von ihren Gedichten veröffentlicht. Und kein Partner hat sich bis jetzt gemeldet.
Sie schickt aber weiter eifrig Gedichte an die Zeitung und liest sie mir immer vor, wenn sie die Möglichkeit hat. Manchmal glaube ich, dass ich nicht in der Lage bin, so eine Beständigkeit auf der Suche nach "romantischen Erlebnissen" zu zeigen. Meine Generation empfindet Romantik als ein Überbleibsel einer alten Zeit. Als etwas nur für alte Leute.
Ich sollte eine Anzeige in eine Zeitung setzen. "Suche Partnerin, die gemeinsam mit mir auf Tarzan weint." Vielleicht werde ich dann Glück mit der Romantik haben.