Erstellt am: 17. 4. 2012 - 17:38 Uhr
Mit Harke und Sichel
Jedlersdorf ist ein beschaulich-verschlafener Vorort Wiens. Es reiht sich Einfamilienhaus an Einfamilienhaus, akkurat getrimmter Garten an akkurat getrimmten Garten. Die fünfzig bis sechzig AktivistInnen, die sich hier um elf Uhr vormittags versammeln, fallen auf mit ihren Lasten-Fahrrädern, bunten Gewändern und langen Dreadlocks.
Radio FM4 / Irmi Wutscher
Das zu besetzende Landstück ist ein ehemaliger Versuchsacker der BOKU. Umzäunt und von zwei Securities bewacht. Die LandbesetzerInnen in Spe werden von der Polizei erwartet. Auch ein Sprecher der BOKU ist dabei, er klärt die Anwesenden auf, dass sie mit einer Klage wegen Besitzstörung rechnen müssen, wenn sie das Gelände betreten.
Radio FM4 / Irmi Wutscher
In einem schnell abgehaltenen Plenum wird beschlossen, die Besetzung dennoch durchzuführen. Die Menge setzt sich in Bewegung und klettert über einen niedrigen Teil des Zauns. Auf dem Gelände gibt es leerstehende Gewächshäuser, Geräteschuppen, vereinzelt blühen ein paar Tulpen. Üppige grüne Wiesenflächen wechseln sich ab mit überwucherten Beeten.
Es werden Gartengeräte herausgeholt und damit begonnen, den Boden umzugraben. Andere bringen Gemüsesetzlinge, die sie schon vorbereitete haben: Salatpflanzen, Kürbissetzlinge, Zucchinipflanzen.
Stadt-Landwirtschaft
Globaler Zusammenhang
Irmi Salzer will die Landbesetzung aber auch in einem größeren, globalen Zusammenhang sehen: Den seitdem 1996 bei einem Massaker bei einer Landbesetzung in Brasilien LandarbeiterInnen und Landlose ermordet wurden, gilt der 17. April als Aktionstag des kleinbäuerlichen Widerstands, an dem auch in Europa, wo das Phänomen der Landbesetzung weitgehend unbekannt ist, Aktionen gesetzt werden, wie eben diese Landbesetzung heute.
In der EU ist zum Beispiel derzeit eine Revision der Saatgutgesetze in Planung. Diese neuen Gesetze würden die Rechte der Bauern verschlechtern, Saatgut selbst anzubauen, zu vermehren und zu tauschen.
Beweggründe für diese Besetzung gibt es mehrere. Der erste ist, das Gelände in Jedlersdorf vor der Verbauung zu bewahren. „Das ist ein Land, das viele Jahre lang von der BOKU bewirtschaftet worden ist, die will es jetzt der Bundesimmobiliengesellschaft zurückgeben, damit es der Bauspekulation unterworfen wird und hier etwas erreichtet werden kann, um Profit damit zu machen.“ sagt Irmi Salzer, sie ist Sprecherin von Via Campesina, einer internationalen KleinbäuerInnen-Vereinigung. Sie sagt, landwirtschaftliche Flächen in der Stadt sind ohnehin rar, sie sind aber nötig, um die Stadtbevölkerung mit nachhaltig produzierten Nahrungsmitteln versorgen zu können.
Radio FM4 / Irmi Wutscher
Geht es nach den AktivistInnen, soll in Jedlersdorf nicht nur eine landwirtschaftliche Kooperative entstehen, sondern auch ein soziales und kulturelles Zentrum für die Menschen in der Nachbarschaft.
Kompostklo und Kürbisbeet
Heute wurde erst einmal der Acker umgegraben und die ersten Pflänzchen gesetzt. Laut Ticker sind am Nachmittag schon bis zu 100 Menschen auf dem Acker gewesen. Auch ein Kompostklo wurde eingerichtet. Allerdings ist gegen 14 Uhr auch schon wieder ein BOKU-Vertreter aufgetaucht, um mit Polizeischutz das Wasser abzudrehen.
Irmi Salzer
Die LandbesetzInnen haben sich jedenfalls auf längeres Bleiben eingestellt: "Wir werden auf alle Fälle versuchen dazubleiben, wir haben Schlafsäcke und Isomatten dabei", meint Aktivist Max. "Wir hoffen, dass die BOKU einsichtig ist, anerkennt, dass es ihre Aufgabe ist Wissen für Landwirtschaft an jungen Menschen weiter zu geben. Jetzt gibt es hier junge Menschen, die auf dieser Fläche Landwirtschaft betreiben wollen."