Erstellt am: 17. 4. 2012 - 18:43 Uhr
Putting Mensch Back into the Maschine
Das in L.A. ansässige Label 100% SILK hat sich, wie schon nach einigen wenigen Releases abzusehen war, als eines der vier, fünf interessantesten, gehyptesten und schlicht besten Labels des vergangenen Jahres erwiesen. Zwar agiert das von Amanda und Britt Brown betriebene Tochterlabel des ebenso famosen Imprints NOT NOT FUN noch vergleichsweise im Underground für Spezial-Auskenner, ist da aber schon von Schubkarren-Ladungen Blog-Love zugeschüttet worden und hat mit abenteuerlichen Platten von solch guten Menschen wie Maria Minerva, Ital und Magic Touch die Grenzen dessen ausgelotet, was elektronische Tanzmusik bedeuten kann. Vor allem jüngere Releases von nahezu bis eigentlich komplett unbekannten Produzenten wie Polonaise, Bobby Browser oder Body Double haben da wieder mal ein wenig an der Latte gerüttelt, wenn es darum geht, die Unterscheidung zwischen experimenteller Listening-Musik und eher tool-haft gehaltener Musik für den Dancefloor für - manchmal immerhin - obsolet zu erklären.
Chicago Calling
Mit "Kingdoms", dem kürzlich erschienenen Album von Fort Romeau, sollte sich nun doch einiges an Beinahe-Mainstream-Aufmerksamkeit für 100% SILK ergeben: Der englische Mitzwanziger Mike Norris nämlich hat den ersten Longplayer seines Projekts Fort Romeau im Vergleich mit dem sonstigen Label-Programm nachgerade – im besten Sinne - glatt gestriegelt gestaltet. Während große Teile des Artist-Rosters von 100% SILK eher vom Noise kommende Weirdo-Bastler sind, die ihre relativ frische Liebe für House und Techno erproben, ist Fort Romeau die Herz-Geburt eines englischen Club-Kids. Ein Herz, das für House Music glüht. Die Tatsache, dass der ursprünglich aus Oxford stammende und mittlerweile in London angekommene Norris im Brotberuf geheuerter Tour-Keyboarder ohne Mitspracherecht für die schrillen Synth-Popper von La Roux ist, dürfte nicht allzu viel mit den Produktionen zu tun haben, die er so unter dem Namen Fort Romeau zusammenschraubt - außer, dass eine deutliche Pop-Sensibilität in seine Solo-Arbeiten hinüberzuwirken scheint.

Fort Romeau
Das erste Stück von Fort Romeau, das durch die Welt geisterte, war ein mit dem sprechenden Namen "Jack Rollin'" ausgestatteter Track. "Jack", das meint hier eine Vorbeugung vor "Jackin'", dem mit Chicago House untrennbar verbundenen Tanzstil, dessen Name als allmächtiges, gleißendes Logo und Symbol für House längst weit mehr ist als die bloße Bezeichnung für spezielle rhythmische Bewegungsabläufe: "Jack Your Body!" Fort Romeau eröffnet nun sein Album "Kingdoms" mit ebenjenem Stück "Jack Rollin'" und legt so den Einfluss von Chicago House auf seine Arbeit überdeutlich als Fundament aus.
Eine neue Weichheit
Arrangiert und gebaut hat Norris seine Tracks jedoch nicht, wie im House weitverbreitet zum guten Ton gehörend, an irgendwelchen Analog-Synthesizern und Drum-Machines der Firma Roland, sondern einzig an einem Yamaha DX7 - einem digitalen Synthesizer – und Laptop samt Musik-Software Ableton. Hat es etwas zu bedeuten heutzutage? "Kingdoms" klingt im Sinne der Soundqualität nämlich eben nicht irgendwie so nach Lo-Fi- oder Heimwerker-House wie er 100% SILK oder artverwandten Acts wie beispielweise dem New Yorker Duo Blondes oder den großartigen Teengirl Fantasy (eventuell schwer zu googlen) gerne als vorrauseilendes General-Urteil – also oft auch einfach fälschlicherweise – zugeschrieben wird: Das Debüt-Album von Fort Romeau ist die sich am geschmeidigsten, weichsten und, klar, deepsten gebende Veröffentlichung auf 100% SILK bislang.

Fort Romeau
Fort Romeau sucht die Seele und den Menschen in der Maschinenmusik. Nahezu alle der acht auf "Kingdoms" versammelten Tracks hat er mit kleinen Sprachsamples durchsetzt – gezogen hauptsächlich von 90er-Jahre-A-Capellas. Vielfach sind es kurze, wieder und wieder wiederholte Phrasen, wie in dem – insgesamt am hitverdächtigsten – Stück "Say Something", das French Touch der Schule Daft Punk und schwülstigen 80er-Pomp im lachsfarbenen Jackett zusammmendenkt, oder im großartigen Abschluss-Track "Theo", in dem es heißt: "Every time I wake up to go out...There's always music." Oftmals bleibt aber nicht vielmehr als die Aura der Original-Vocals zurück: Ein Stöhnen, ein Hauchen, ein Atmen.
Mit einer Spieldauer von rund 4 Minuten sind die einzelnen Stücke auf „Kingdoms“ für ein im Clubkontext stehendes Album vergleichsweise kurz geraten - eine schöne 12" für den Dancefloor dauert ja schon auch gerne einmal sechs, sieben, acht Minuten. Fort Romeau verzichtet auf lange Takte Intro und Outro und geht meistens gleich an das Gerüst des Tracks. Seine Stücke stellen sich eher als entschlackte Radio-Edits denn als Werkzeuge für den Danceloor dar. "Kingdoms" ist ein konzentriertes, knappes Album geworden, das nicht groß mit funkelnden Hits protzt, sondern eines, das auf einem wohlig pulsierenden, einem eleganten und, ja, einem sexy Vibe durch eine mit samtroten Polsterecken und den feinsten Menschen ausstaffierte Nacht gleitet.