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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 4. 2012 - 17:44

Action und Anarchie

Das Filmmuseum feiert noch bis zum 10. Mai das Schaffen des visionären japanischen B-Movie-Meisters Suzuki Seijun.

Es gab einmal eine nicht so ferne Zeit, ich erinnere mich gut, da teilten Menschen da draußen die Filmemacher noch in strenge Kategorien ein. Ernsthafte Künstler wurden auf einem imaginären Elfenbeinthron gewuchtet, während man auf das triviale Unterhaltungskino verächtlich herabschaute.

Noch bis zum 10. Mai erweist das Filmmuseum einem der ganz großen Meister des japanischen B-Movies die Ehre. Der 1923 geborene Suzuki Seijin beeinflusste nicht nur das Kino in seinem Heimatland maßgeblich. Auch Regisseure wie Jim Jarmusch, Takeshi Kitano oder Quentin Tarantino ließen sich von seinem Schaffen inspirieren.

Okay, Regisseure wie Michael Haneke und Michael Bay verkörpern tatsächlich noch jetzt unvereinbare Gegensätze. Aber die wichtigsten Kinovisionäre der Gegenwart wollen schon längst nicht mehr in hermetische Schubladen eingeteilt werden. Dass sich heute auch innerhalb des Entertainmentkinos delirierende Außerseiterfantasien verwirklichen lassen, verdankt sich einer Handvoll Pioniere. Echten Exzentrikern, die Popart, Anarchie und Action bravourös vereinten, Typen wie Suzuki Seijun.

Seijun Suzuki

Filmmuseum

Zum Film kommt Suzuki ganz zufällig, im Jahr 1946. Als er die Aufnahmeprüfung an der Tōkyō-Universität nicht besteht, probiert er einfach einen Job als Regieassistent aus. Suzuki ist damals Mitte Zwanzig, eine Dekade später kommt sein erster eigener Streifen ins Kino. Die wiedereröffneten Nikkatsu-Studios geben zu dieser Zeit vielen Regietalenten eine Chance. Die Bedingungen sind die selben wie bei allen B-Movie-Fließbandfabriken: die extrem billig produzierten Filme müssen mit dem Sensationalismus kottieren, um die Kinogänger anzuziehen. Hallo Sex, Crime und niedrige Instinkte.

Suzuki Seijun akzeptiert die Regeln und unterwandert sie gleichzeitig auf subversive Weise. Von Film zu Film werden seine Genrestreifen immer ambitionierter und durchgeknallter. Mit seinen betörend stilisierten Gradwanderungen zwischen Kunst und Kommerz können die Produzenten irgendwann nichts mehr anfangen. Der einstige Hausregisseur der Nikkatsu-Studios wird gefeuert und kann erst nach zehn Jahren wieder für das Kino arbeiten.

Seijun Suzuki

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Die Wertschätzung in seinem Heimatland Japan für Suzuki Seijun ist ohnehin viele Dekaden lang äußerst gering. Neben Cineastenikonen wie Ozu oder Kurosawa gilt er bloß als unseriöses Enfant Terrible und plakativer Schundregisseur. Erst als ihn Mitte der achtziger Jahre westliche Kritiker und Regisseure langsam entdecken, wendet sich das Blatt für Suzuki.

Der Kult um Suzuki Seijun verdankt sich im Grunde einer Handvoll Filme, die zum Faszinierendsten gehören, was je an der Grenze von Edeltrash, Sozialstudien und Surrealismus gedreht wurde. Im Yakuza-Reißer „Youth Of The Beast“ (Yajū no seishun, 1963) und im Prostituiertendrama „Gate of Flesh“ (Nikutai no mon, 1964) dominiert noch ein rauer Realismus, der von irritierender Künstlichkeit gebrochen wird. Suzuki verarbeitet in diesen Streifen die gnadenlose Gier, die in den Nachkriegsjahren in Tokyo herrscht.

Seijun Suzuki

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In anderen Filmen bricht sein Experimentiergeist aber gänzlich durch. Grelle Ironie, Comiczitate und Referenzen an die importierte US-Popkultur verdrängen jeden Ansatz von konventioneller Filmlogik. „Tokyo Drifter“, anno 1965, erzählt von einem Yakuza-Aussteiger, der von seinen Ex-Kumpanen durch das Land gejagt wird. Ein Film, zu Gänze gedreht in knallbunten Studiokulissen, mit einem überzogenen Soundtrack, eine Art romantisches Gangstermusical als Blaupause für zukünftige Styleregisseure wie Quentin Tarantino oder Wong Kar-Wai.

Und dann ist da „Branded To Kill“, 1967, wohl der Suzuki-Film schlechthin. Ein hochgradig halluzinatorisches Gangsterepos in Schwarzweiß, ein wahnwitziges B-Movie- Meisterwerk, das viele sogenannte A-Movies locker schlägt. Ein zentraler Film auch in der umfassenden Retrospektive im Filmmuseum, die noch bis zum 10. Mai läuft. An dieser Stelle eine ganz große Empfehlung.

Seijun Suzuki

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