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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 4. 2012 - 22:34

Fußball-Journal '12-12.

Ursachenforschung zur Niveau-Krise der Bundesliga: die große Schuld der Show-Trainer und ihrer Unterstützer.

Das ist ein weiterer Eintrag in das auch heuer wieder regelmäßig publizierte Fußball-Journal '12, das wie schon in den Vorjahren (das war das Fußball-Journal '11) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das Umfeld begleitet.

Heute mit Teil 2 zur Niveau- und Sinnkrise der heimischen Bewerbe.
Teil 1 von gestern: Sofortiges Verbot jeglicher Live-Übertragung.

Interessante Analyse von 90minuten.at, Derby-Nachlese von Marcel Ketelaer.

Zugegeben: die Forderung nach einem sofortigen Verbot jeglicher Live-Übertragung von nationalen Matches österreichischer Vereine ist, wiewohl eine solche Maßnahme tatsächlich therapeutische Wirkung zeitigen würde, natürlich unrealistisch; und deshalb war der gestrige Teil 1 der aktuellen Journal-Einträge zur Niveau- und Sinnkrise der heimischen Meisterschaft auch nur ein ironisches Gedankenspiel.

Die gestern angesprochene Lösungs-Möglichkeit auf der anderen, der sportlichen Ebene, ist ebenso wenig realisierbar; bedürfte sie doch eines durchaus radikalen Kurswechsels, was Liga-Format und Management, Coaching und Vorbereitung betrifft.
Und diese Veränderungen will ja keiner der zentralen Player wirklich: Liga, Verband, Vereine und die mit im Spiel befindlichen Medien haben ja keinerlei Interesse an einer Veränderung des Status Quo, in dem sie alle durchaus gut leben. Deshalb wird - wider besseres Wissen und entgegen des sportlichen Gewissens - nur die aktuelle Ausreden-Kultur transportiert; in der Hoffnung auf die Vergesslichkeit der Öffentlichkeit, sobald es ins Meisterschafts-Finish geht.

Allerdings können Fans, Freunde und vor allem die von Fans befüllten neuen Medien durchaus etwas tun, um sich nicht auf den Kopf scheißen lassen zu müssen: sie können die Offensichtlichkeiten ansprechen, die die Branche peinlich berührt unter der Tuchent hält.
Etwa die Sache mit den Show-Trainern.

Die Wahrnehmung der Verantwortlichen verändern

In Österreich sind nämlich eine viel zu hohe Anzahl der im Profi-Bereich tätigen Coaches nur Fakes, reine Show-Figuren ohne Essenz und Substanz. Sie werden von Vereins-Verantwortlichen nicht aufgrund ihres Könnens, ihrer in unteren Klassen oder im Jugendbereich erworbenen Meriten oder ihrer Fähigkeit als Chefchecker eines Teams eingesetzt, sondern ausschließlich auf Basis ihres Standings in den Medien und den aktiven Seilschaften der Ex-Internationalen und sogenannten Experten. St. Pölten-Coach Martin Scherb beschreibt das in diesem Interview perfekt. Seine Forderung an die Trainer: "... selbstkritisch zu sein und anzuerkennen, nach zehn Jahren Profifußball noch nicht alles zu wissen; andererseits muss sich die Wahrnehmung bei den Verantwortlichen in den Vereinen und bei den Medien, dass der Trainerberuf etwas gänzlich anderes ist, als der Spielerberuf, verändern."

Diesen Unterschied dercheckt aber weder eine auf ihre Unbelecktheit auch noch stolze Funktionärs-Kaste, noch eine Öffentlichkeit, die sich nach jahrzehntelange Übung im Sich-Einlullen-Lassen in einem selbstmitleidigen Hort der Weinerlichkeit ("Es kann ja eh nie was besser werden!") wohlig eingerichtet hat.
Die Handvoll wissender Medien-Vertreter, die aufklärerisch tätig sein könnten, schweigt, weil sie sich aus Geschäftsinteresse nicht traut große Ex-Spieler als winzige Trainer aufzublatteln.

Genau diese bewusste Verzerrung der Realität, das So-Tun-als-Ob, dieses mafiös anmutende Gesetz des Schweigens, die Fußball-Omerta, hält die Show-Trainer am Leben. Und verhindert das Fortkommen tatsächlicher Coaches.

Beispiel 1: Sturm Graz traut sich nicht über Gerhard Schweitzer.

Schweitzer ist seit Jahren als Assistent von Paul Gludovatz Teil eines der innovativsten Coaching-Konzepte des Landes. Er hat die SV Ried als Chefcoach volley übernommen und sich sofort etabliert. Als Gludovatz ihn für den nächstjährigen Job in Graz vorschlug, dauerte es keine 14 Tage, bis die Experten-Seilschaften Schweitzer beim Präsidenten madig machten. Der wird jetzt wohl einen Show-Trainer engagieren. Im allerbesten Fall wird das Markus Schopp sein, ein ausgesprochenes Talent, vielleicht das größte Österreichs, aber ein Mann bar jeglicher seriöser Coaching-Erfahrung.
Schweitzer hingegen wird weiter Co-Trainer in einem offiziellen Halbtags-Job bleiben.

Beispiel 2: Adi Hütter versackt in Grödig.

Adi Hütter ist Ex-Internationaler, aber einer abseits der üblichen Seillschaften. Vor allem ist Adi Hütter (wie etwa auch Walter Kogler) jemand, der sein Team mit einem echten Matchplan auf den Platz schickt und seine (teilweise durchaus gewagten) Systeme klug an die (nicht allzu großen) Möglichkeiten seines Personals anpasst. Also eine seltene Blüte im österreichischen Trainersumpf.
Als Hütter bei Altach gefeuert wurde, weil ein absolutistisch herrschender Politiker ein Menschenopfer brauchte, trat kein Spitzenteam an ihn heran: Hütter ist zwar exzellent, aber eben kein Show-Trainer.
Absurderweise engagierte ihn die verhaltensoriginelle Vater/Sohn-Haas-Kombi in Grödig; aber auch nicht aus sportlichen Gründen, sondern weil er in der sogenannten 1. Liga eine große Nummer ist und für Grödig als guter Fang gilt; letztlich dient somit auch ein echter Trainer nur als Show-Einlage. Bislang war übrigens der fantasielose Heimo Pfeifenberger (einer der vielen, die außer einem flachen 4-4-2, demAlibi der heimischen Ausbildungslehre, noch nichts ausgestellt haben) Grödig-Coach.

Beispiel 3: Ivica Vastic bombt die Austria zurück in die Steinzeit.

Ehrlich, ich hatte gehofft, dass das Engagement des von einem Sponsor zugeführten Vastic tatsächlich als Show-Maßnahme durchgeführt würde; dass Manfred Schmid als Assistent die Taktik, das System, den Matchplan macht und Vastic quasi nur den Grüß-August für die Medien. Das wäre eine originelle Variante gewesen, die der Medienlage Rechnung trägt und trotzdem an die Entwicklung einer Mannschaft denkt.

Allerdings ist tatsächlich Vastic taktikverantwortlich. Und das rächt sich. Denn er setzt bloss seinen planlosen "Hinten-dicht-und-vorn-Liebem-Gott-vertrauen"-Kurs aus der Regionalliga fort. Sein Vorgänger Karl Daxbacher, hatte eine spielerisch durchaus brauchbare Austria zur spielerisch besten Mannschaft des Landes entwickelt - mit Systemen, die das beförderten. Daxbacher hatte den 4-3-2-1-Tannenbaum entwickelt, sein offensiv hochflexibles 4-2-4 aus dem Herbst war brillant und Garant für interessante Spiele. Daxbacher war ein Zauderer, was sein Personal betraf, aber ein risikobereiter Vordenker (und Handler), was Systeme angeht. Für die Austria-Vernatwortlichen sind derartige Überlegungen aber tendenziell drittrangig.

Der Parits-Putsch gegen den alten Mitspieler zerstörte innerhalb von wenigen Wochen jahrelange Fortschritte. Vastic ersetzte Junuzovic durch Leovac, brachte über ein Freunderl den aufbauunfähigen Holland ins Team und verbietet seiner Mannschaft jeden konstruktiven Spielaufbau.

Die Austria (und ich habe mir ihre letzten drei Spiele genau unter diesem Aspekt angeschaut) baut ihr Spiel ausschließlich über die Seiten und mit langen Bällen aus der Innenverteidigung auf - das Zentrum ist tabu, es wird überflogen. Was wie schiere Unfähigkeit aussieht, ist (so wird es auch über Infos, die Fanforen von Spielern haben bestätigt) Vorschrift. Um hinten nix reinzulassen. Vorne vertraut man auf den Zufall.

Dort, wo im Herbst gute Spiele mit nicht ganz so zufriedenstellenden Ergebnissen eingefahren wurden, sind jetzt Spielweise und Resultate gleichermaßen schwachmatisch.

Vastic vertraut auf die heimische Ausreden-Kultur (Schiedsrichter, Platz, Glück) und verlässt sich dabei auf sein Image als Spieler und einziger österreichischer Torschütze bei einer EM. Dass er mit seiner halbgaren Spielanlage und einem gänzlich fehlenden Matchplan eine ganze Wiener Spielkultur zurück ins letzte Jahrhundert schiebt, wird wegen der erwähnten Omerta maximal indirekt kommentiert, als freche Majestätsbeleidung undankbarer Fans. Eigenständige Analysen finden in Mainstream-Media nicht statt - schließlich sind die meisten dieser Medien gleichzeitig auch Geschäftspartner oder gar Trikotsponsor in der Bundesliga.

Kritik an der Spielanlage ist keine Majestätsbeleidigung

Wirklich spannendes Coaching findet nicht bei den Groß-Klubs statt, wo Übervorsicht, Ausreden und der berühmte Strich in der Hose dominieren.

Wirklich tolle Arbeit leistet, wer aus wenigen Mitteln etwas Konstruktives macht. Etwa Damir Canadi, der beim Eigentlich-Absteiger FC Lustenau mit einem gut eingestellten 3-3-3-1 zunehmend Land gewinnt. Oder Thomas Weissenböck und Martin Scherb, die mit systematischem Aufbau Mannschaften weit jenseits ihres Potentials etablieren.

Das gilt auch für die Metropolregion Leitha, wo zum einen Peter Stöger sein bisheriges Meisterstück abliefert (aber immer noch deutlich zu wenig aus seinem Potential macht, wie so oft schon am nächsten Job bastelt und deshalb zu wenig investiert) und zum anderen Franz Lederer in seiner hundertsten Saison endlich den Wert von Philosophie und Taktik inhaliert hat und nach Jahren der Streinzeit eines der modernsten Spielsysteme Österreichs ins Pappelstadion stellt.

Manchmal reichte ein einziges 4-1-4-1-Spiel unter Thomas Kristl, um die Schwächen des über die Jahre zunehmend ausrechenbaren Systems von Schreihals Foda aufzuzeigen. Ähnliches hat Thomas von Heesen zuvor schon in Punkto Gregoritsch erreicht, und auch der zögerliche Schöttel verhält sich zu Pacult genau so.

Es gibt also durchaus mehr als nur eine Handvoll Coaches, die tatsächliche Fußball-Lehrer sind und sich nicht als Kolumnisten, TV-Experten und Strippenzieher, die von vergangenem Ruhm leben, der noch dazu hauptsächlich als Spieler eingefahren wurde, genügen.

Die Leistungen dieser echten Trainer hervorzuheben, den Expertisen der falschen Experten zu entgegnen, die Flachheiten der Mainstream-Analysen der Medien zu enttarnen und die Substanzlosigkeit der Show-Trainer anzuprangern, ist also kein Selbstzweck, sondern muss als aktive Bewusstseinsarbeit für die Öffentlichkeit und auch die Verantwortlichen dienen; jene Funktionäre, denen es wichtiger ist sich im platten Glanz eines prominenten Ex-Spielers zu sonnen, dessen Interessen eh nicht über Machtgewinn und Seitenblickerei hinausgehen, als für ihre Mannschaft den wirklich Besten, den heimischen Mourinho oder Klopp auszusuchen, sich also um Coaches zu kümmern, die es als ihre Hauptaufgabe ansehen den heimischen Fußball weiterzuentwickeln.