Erstellt am: 16. 4. 2012 - 15:22 Uhr
Loser mit exzellentem Selbstwertgefühl
Das Leben ist ein hartes Brot, vor allem wenn man jung ist und alle Gefühlsregungen, nach oben wie nach unten, meint mit zehnfacher Intensität im eigenen Körper zu spüren. Es ist alles ein Teenage Wasteland.
Christian Frascella
Sehr oft schon haben wir davon gehört, in Büchern, Filmen und Fernsehserien, wie unwunderbar die wunderbaren Jahre des Erwachsenwerdens auch sein können, das Thema wird nie alt. So ist der Debüt-Roman des italienischen Autors Christian Frascella unvermeidbar wieder einmal mit Salingers "Der Fänger im Roggen" verglichen worden, ein Gespenst, das immer herhalten muss, wenn es darum gehen soll, einen jugendlichen Helden mit großer Klappe zu katalogisieren.
Der 1973 in Turin gebornene Frascella war von seinem Leben als Schriftsteller in diversen Jobs als Telefonist, Fabriksarbeiter oder Militäringeneur tätig, bevor ihm 2009 mit seinem Erstling "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" gleich ein Publikums- und Kritiker-Erfolg gelungen ist. "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" ist in Frascellas Heimat ein Bestseller gworden und hat diverse Preise eingeheimst.
"Ich wohnte in einem zweistöckigen Häuschen, das den Eltern meines Vaters gehört hatte. Es war das hässlichste Haus in der Umgebung, vielleicht das hässlichste im ganzen Ort. Alte Außenmauern in einem abgeblätterten Gelb, durchlöcherte Fliegengitter vor den Fenstern und die Brüstung des Balkons im ersten Stock völlig verrostet. Wer sich darauf stützte, konnte seine Kleider hinterher in einen Karton schmeißen und ans rote Kreuz schicken. Wenn sie die überhaupt nahmen. Auf der Wiese rings um unsere Residenz wucherte das Unkraut meterhoch, ein undurchdringliches Gestrüpp, bis auf die Stelle, wo mein Vater seine Hängematte hatte."
Das Leben zeigt sich dem namenlosen, 17-jährigen Ich-Erzähler nicht von der besten Seite: Die Mutter ist vor zwei Jahren mit einem dreizehn Jahre jüngeren Tankwart durchgebrannt, der Vater ist Alkoholiker, die Schwester hat sich der Religion zugewandt und ist ihm fremd geworden. Seine bemerkenswerteste Charaktereigenschaft ist seine Arroganz: Er lügt und stapelt hoch wo es nur geht, hat keinen Bock jemals den zu Mund halten und gerät ständig in Prügeleien. Seinen Vater nennt er "Chef", seine Schwester - ohne weiter erklärten Grund - "Mönchsrobbe" und so gut wie allen anderen, die ihm über den Weg laufen, "Dreckskerle" oder dergleichen.
Dabei ist der Held von "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" nicht unbedingt bösartig: Er begegnet den Schmähungen des Lebens bloß mit maßlos übersteigertem Selbstbewusstsein und mit Selbsttäuschung und schießt dabei weit übers Ziel hinaus. Er ist ein Typ, der kaum eine seiner Aktionen zu Ende denkt, einer, der dem beliebtesten Sportler-Typen der Stadt gekränkt und feige das Motorrad umschmeißt, ein Typ, der Sachen sagt wie "Hosenschlitz." Dabei ist er selbst natürlich ein relativer Tagedieb: Er fliegt von der Schule und driftet motivationslos durch den Tag. Als er irgendwann Arbeit am Fließband Metall-Fabrik findet, werden die Dinge auch nicht besser.
Frankfurter Verlagsanstalt
"Das alles war sehr ernst und offiziell, und ernste, offizielle Dinge sind nicht nur todlangweilig, sondern auch nützlich, um gewisse dümmliche Gesichtsausdrücke zu lernen, die ideal zu allen erdenklichen Situationen im Leben passen - es ist nämlich genau die Miene, die die Leute von dir erwarten."
Viel geschieht nicht in "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe". Das Buch erzählt vom trostlosen Leben eines Teenagers, vom Erwachsenwerden und Sich-Dagegen-Wehren. Die unvermeidlichen Probleme mit der Familie türmen sich und es entspinnt sich die gute, alte Sache mit der Liebe, die sich etwas mehr als bloß "kompliziert" gestaltet. Eine Geschichte, die man oft schon gesehen hat. Dennoch gelingt Christian Frascella ein eigener Tonfall, der da und dort zwar vielleicht einen Tick zu angestrengt um Jugendjargon bemüht ist, insgesamt aber eine prickelnde Balance zwischen Resignation und Humor findet. "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" ist ein Roman, der das Kunststück vollbringt, einen unerträglichen Typen in freundlichem Licht zu zeichnen. Es ist ein gewitztes Kerlchen, der sich sicher ist, dass alles schlecht ist, gleichzeitig aber ohne Zweifel davon überzeugt, dass er natürlich ein ganz ein Besonderer ist. Man weiß sowas als junger Mensch ja immer ganz genau.
"Diesmal musste ich sie umarmen, und wieder kam mir der Gedanke, wie viel Zeit vergangen war, seit wir uns zum letzten Mal umarmt hatten. Und sie war gar nicht so schmuddelig, wie ich gedacht hatte, sie war nur klein und nicht besonders klug in einer Welt, in der man so stark und schlau sein musste wie ich, um sich erfolgreich durchzuschlagen."