Erstellt am: 15. 4. 2012 - 13:13 Uhr
Olympische Chuzpe
Ich hab mir bisher ja größte Mühe gegeben, meine Korrespondentenpflicht zu ignorieren, die Olympischen Spielereien links liegen zu lassen und schon gar nicht in die übliche Meckerei über Kommerz und Coca-Cola zu verfallen.
Wie vorauszusehen türmen sich jenseits des Sports jene absurden Schwachsinnigkeiten, die Ereignisse dieser Art zu begleiten pflegen, wie zum Beispiel die Zubetonierung grüner Wildnis im Nordostlondoner Schwemmland zwecks Errichtung temporärer Gebäude, die sogenannte Revitalisierung einer völlig verarmten Nachbarschaft durch den Hohn eines Luxus-Einkaufszentrums (wie lang das wohl überleben wird), die mehr als dubiose Organisation des Kartenverkaufs (zuerst online an der Kartenverlosung teilnehmen, dann herausfinden, ob man seine Karten oder das dafür per Kreditkarte deponierte Geld zurück kriegt - was logischerweise dazu führen musste, dass manche letztendlich mehr Karten kauften, als sie sich eigentlich leisten konnten, während andere leer ausgingen) oder die noch dubiosere massenhafte Vergabe von Karten an Sponsoren...
Hab ich alles an diesem Blog vorübergehen lassen.
Aber dann kam das Unrecht, das meinen innersten Nerv trifft, und schon blogge ich hier voll der Empörung:
Vor ein paar Tagen nämlich meldete die Musician's Union (jene gut organisierte britische MusikerInnengewerkschaft, der - das Problem von Gewerkschaften überall - ohnehin nur diejenigen Musizierenden angehören, die auf die eine oder andere Art vom Musikmachen leben können), dass einigen ihrer Mitglieder Gigs im begleitenden Schauprogramm angeboten wurden - für null Gage.
In der Organisation der Spiele und auch rund um das Krönungsjubiläum der Königin, so die Gewerkschaft, herrsche offenbar die Mentalität, dass MusikerInnen sich über die Öffentlichkeit (das schöne Wort "exposure") freuen sollten, die man ihnen biete, anstatt Geld zu verlangen.
Das, so die Musicians Union, sei ein klarer Fall von "cheek" - wörtlich übersetzt "Backe", sinngemäß: Chuzpe.

Robert Rotifer
Am Donnerstag berichtete das Londoner Gratisblatt Evening Standard über den Protest der Gewerkschaft, konnte sich aber nicht verkneifen, in der Kommentarspalte ihre Verwunderung zu äußern: "Viele würden dafür zahlen, eingeladen zu werden, ihr Talent zur Schau zu stellen."
Da schwingt so einiges mit:
Die künstlerfeindliche Spießer aller Altersgruppen und Coolness-Klassen vereinende Vorstellung, dass Musikmachen für die Ausübenden zu erfreulich ist, um als Arbeit durchzugehen.
Die im Zuge des generellen Geschwafels der letzten Jahre von der "neuen Ökonomie" hängen gebliebene diffuse Gleichsetzung von Musik und gratis auf allen Ebenen.
Und schließlich noch eine grundsätzliche Ignoranz der Funktion von Live-Musik.
Denn wie jedeR weiß, der/die schon bei einer Sportveranstaltung, auf Dorffesten etc. den musikalischen Pausenclown gegeben hat, dient rhythmisch organisierter Lärm dort höchstens der Ablenkung von der Tristesse der Lage, in irgendeinem trostlosen olympischen Park an seinem lauwarmen Cola zu süffeln.
Eine weitere Meldung aus dem Bereich der Realsatire, die so schön dazu passt, dass man es gar nicht besser erfinden könnte:

IMDb
Bill Curbishley, seines Zeichens Manager des überlebenden Rests von The Who, hat der Sunday Times gegenüber (aus Paywall-Gründen hier die Guardian-Version) enthüllt, die Organisatoren der Olympischen Spiele hätten bei ihm um einen Auftritt von Keith Moon angefragt.
Zu Gagenverhandlungen kam es nicht, nachdem Curbishley sie freundlich wissen ließ, dass Moon seit dem Jahre 1978 auf dem Friedhof zu Golders Green residiert.
Eigentlich aber keine schlechte Idee. Wenn man den MusikerInnen schon nichts bezahlt, scheint es durchaus sinnvoll, Tote zu engagieren. Die beschweren sich wenigstens nicht.