Erstellt am: 16. 4. 2012 - 14:09 Uhr
Lichterflut
Etabliert und erfolgreich. Diesen Eindruck hat man nach dem ersten Wochenende des Sound:frame-Festivals, das mit seiner audiovisuellen Ausrichtung bereits zum sechsten Mal die Wiener Kunst- und Clublandschaft bereichert.
Die Sound:frame-Ausstellung ist noch bis 29. April im MAK zu sehen.
Insgesamt drei Wochen lang werden das Museum für angewandte Kunst und die subkulturellen Wiener Tanztheater wie Brut und Fluc ins richtige Licht gesetzt und mit abstrakten Bildern geflutet. 1800 (!) Gäste waren alleine bei der Vernissage am Donnerstag und auch die Partys im Morisson Club und im Brut waren trotz großer Konkurrenz sehr gut besucht.
Sound:frame
Ausstellung
Licht und Flut sind auch die zentralen Motive der eindrucksvollsten Arbeiten der Sound:frame-Ausstellung. Im Gegensatz zum vorjährigen Installationen-Park bleibt man heuer unter dem Motto "Substructions", zu Deutsch "Unterbau", puristisch und gibt erstmals einen konkreten Rahmen, eine 16x2 Meter große Leinwand, für die Arbeiten der fünf Visualisten vor. Ein Durchgang, in dem alle Arbeiten gezeigt werden, dauert 45 Minuten, danach ist man von der optischen Herausforderung mitunter etwas erschlagen.
Sound:frame
Licht
Die heftigsten visuellen Reize liefert Rainer Kohlberger mit seiner Arbeit "Humming, Fast and Slow". Das ist Kunst, die wehtut. Kohlberger schält aus der weißen Leinwand das ihr zugrunde liegende Farbspektrum heraus, d. h. er subtrahiert von der weißen Fläche die Farben Rot, Blau und Grün. Das Ergebnis ist ein optisches Kammerflimmern, zwischen gleißend blendendem Licht und ein- und zweidimensionalen Rauschsignalen, begleitet von einem ebenso kompromisslosen elektro- akustischen Frequenzritt. Aufregend anspruchsvoll, verwirrend und hell wie eine Super-Nova.
Flut
Die konkreteste und für meinen Geschmack schönste Arbeit kommt in diesem doch sehr abstrakten Video-Loop vom Wiener Duo Depart. Die Inspiration für "The Flood Panels" stammt von einer japanischen Wasserwippe namens Shishi-Odoshi und das visuelle Ergebnis zergeht auf der Netzhaut ebenso delikat wie der Name Shishi-Odoshi auf der Zunge: ein Meerespanorama zwischen Ebbe und Flut, Aufbau und Zerstörung. Die Leinwand wird in fünf einzelne Bilder geteilt, die eine über der Wasseroberfläche schwebende Pyramide aus verschiedenen Perspektiven zeigen und dabei sedierende Sogwirkung entfalten. Der Zuseher taucht in diesen anthrazit-farbenen, nautischen Kosmos ebenso ein, wie die Kamera, die immer wieder ins Wasser plumpst.
Sound:frame
Das Publikum war begeistert und Leo Lass und Gregor Ladenhauf, die beiden Künstler hinter Depart, konnten soviel Lob gar nicht fassen. Zweiteren kennt man übrigens als eine Hälfte von Ogris Debris oder unter seinem Solo-Alias Zanshin. Bei Depart ist Gregor Ladenhauf hauptsächlich für die passend pluckernde und rauschende Musik verantwortlich, während die Stärken von Leo Lass in der grafischen Umsetzung liegen.
Fundamental Forces
Die international arrivierten Visualisten Robert Henke und Tarek Bari, Herman Kolgen, Jan Jelinek und Karl Klien können mit ihren Sound:frame Beiträgen leider nicht so überzeugen, wie mit ihren älteren Arbeiten.
Tarek Bari und Robert Henke, der Mann hinter dem sperrigen Musik-Projekt Monolake und der Software "Ableton-Live", reisen in "Fundamental Forces" an den Beginn des Universums zurück. Ihre Version des Urknalls wird von bedrohlichen Lichtkegeln gesäumt, die sich wie Stangen im Lauf der Zeit verbiegen und beschleunigen. Das Video hat zwar nichts mit klassischen Sci-Fi zu tun, aber Henke verortet es selbst am ehesten zwischen Stanley Kubricks "2001" und "Stalker" von Andrei Tarkowski – wegen der veränderten Zeitwahrnehmung und den ungewöhnlichen Kamerafahrten.
Sound:frame
Schwebend, Stürmend, Laues Lüfterl
Herman Kolgen wickelt den Zuseher in die Fäden seiner subtilen Netzwerke ein, die er immer wieder in "Windfields" aufspannt. Diese Muster entstehen durch Windbewegungen und Luftströme, die Kollegen empirisch ermittelt hat. Als laues Lüfterl entpuppt sich hingegen die Arbeit von Jan Jelinek und Karl Kliem, "Neonlicht" wirkt ungewöhnlich uninspiriert.
Überraschend ist auch, dass die Videos der Ausstellung nur von Männern stammen, denn zumindest aus der Wiener Club-Szene ist man gewohnt, dass die Hälfte der Visualistinnen weiblich ist.
Sound:frame
Morisson-Club
Nach so vielen optischen Reizen werden bei der After-Show-Party im Morisson die Augen geschont, denn hier gibt’s nur was auf die Ohren, ordentlich! Hat man es endlich geschafft, in den berstenden Morisson-Club hineinzukommen, bombardieren die DJs vom Berliner Leisure System den Dancefloor mit brachialen Beats und Beasts. Sie reagieren auf dem zunehmenden Tänzer-Schwund mit einem HipHop-All-Stars-Medley: Busta Rhymes, Missy Elliot, Snoop Dogg, Vanilla Ice, Salt´n´Pepa, MC Hammer und viele mehr. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Einlage ebenso ironisch gemeint war wie die Krankenkassen-Brillen einiger Gäste, die nun aber wieder im Takt auf den glänzenden Nasen hopsen. Gefolgt wird dieses Hit-Feuerwerk von einem noch grottigeren Eurotrash-Debakel – Dunes "Hardcore Vibes" fasst den musikalischen Verlauf und den dramatischen Männer-Überschuss des Abends wohl am Besten zusammen.
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Brut
Das Wichtigste vorweg: die große Bühne im Brut verfügt über eine großartige Anlage. Da macht es gleich noch mehr Freude, die nicht minder großartigen Acts zu hören. Elektro Guzzi zum Beispiel. Der Boden und die Luft vibrieren, und das auf der Bühne eher in-sich-gekehrte, wie ein Uhrwerk-funktionierendes Trio geht strahlend aus sich heraus und auf wie ein Germknödel. Nom Nom! Mmmm, Tsching! Das Publikum ist begeistert, es suhlt sich in der dickflüssigen, klebrig-süßen Soundmasse, die wie Mohn in den Zähnen, in den Ohren hängen bleibt. Wahrscheinlich einer der besten Guzzi-Gigs ever!
Sound:frame
Sound:frame
Frau Ikonika vom Londoner Hyperdub-Label pumpt danach mit 150 Bpm Ghetto-Tech in den Saal, während oben die DJs Roman Rauch und Majestic Mood mit poppigen House die Bar in einen Brut-Kasten verwandeln.
Samstag
Die Samstag-Nacht stand ganz im Zeichen des beseelten Samplings, der gepflegt neben der Spur gesetzten Beats und dem State-of-the-Art-Sound der experimentellen HipHop Disco. Die Stars des Abends, die Post-Dubstep-Produzenten Taylor McFerrin und Kelpe habe ich leider versäumt. Mitleidige Blicke, Hinweise auf tellergroße Schweißflecken, nasse Haare und Gänsehaut haben unmissverständlich klargemacht, dass ich etwas Bedeutendes verpasst habe. Da kann ich das Duo 1000Names, die mit ihren Labelkollegen den Svetlana Industries Showcase bestreiten, nur noch eingeschränkt gut finden, denn "Du weißt ja gar nicht, was da vorher abgegangen ist".
Sound:frame
Aber wer später kommt, kann auch länger bleiben. Oben in der Bar zum Beispiel, wo Sam Irl und Prcls den Holzfloor geschreddert und mit den entstandenen Hackschnitzel gleich weiter geheizt haben.
Dabei hat Sam Irl seinem Wu-Tang-T-Shirt ebenso Tribut gezollt wie der anwesenden Affine-Crew und wahrscheinlich wurde gegen Ende auch eine Nummer rückwärts abgespielt, in dem entstandenen Craze könnte das durchaus passiert sein. Die Besucher wurden widerwillig mit den Nightcrawlers nach Hause geschickt – aber im Sinne von "Push that Feeling On" freuen sich alle auf den Boiler Room am Donnerstag im MAK, wo man sich vor Ort und via Internet-Stream ein Bild vom Sound:frame Festival machen kann und soll.