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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

15. 4. 2012 - 10:55

Es findet dich

Die Zeit totzuschlagen und nichts Bestimmtes zu suchen waren die idealen Voraussetzungen für das beste Buch der Filmemacherin und Künstlerin Miranda July.

miranda july Foto: Copyright © Todd Cole

Todd Cole

(Foto: Copyright © Todd Cole)

Miranda July ist Filmemacherin ("Me and You And Everyone We Know", "The Future"), Schriftstellerin ("Zehn Wahrheiten") und Künstlerin.

Schreibblockaden können auch ihre guten Seiten haben. Im Sommer 2009 kommt Miranda July mit ihrem Drehbuch für den Film "The Future" nicht weiter. Um sich abzulenken, und nicht stundenlang sinnlos zu surfen oder ihren Namen zu googeln, liest sie eifrig die Kleinanzeigen im "Penny-Saver", einem Gratisheftchen aus L.A, in dem Leute inserieren, die keinen Zugang zum Internet haben oder zu alt für Computer sind.
Miranda July ist nicht an den Gegenständen interessiert, sondern fragt sich, wer wohl hinter den Anzeigen steckt.

Etwa: "Große Schwarze Lederjacke, 10$". Sie ruft die Telefonnummer an und besucht wenig später gemeinsam mit der Fotografin Brigitte Sire den Inserenten Michael.

"Die Tür ging auf, und da stand Michael, ein Mann Ende sechzig, bullig, breitschultrig, knubbelige Nase, brombeer-farbene Bluse, Busen, lachsrosa Lippenstift. Noch ehe er die Tür ganz geöffnet hatte, erklärte er mit leiser Stimme, dass er sich gerade einer Geschlechtsumwandlung unterziehe."

Die Lederjacke ist schnell Nebensache. Miranda unterhält sich mit Michael über seine Geschlechtsumwandlung, sein Leben vor und nach dem Outing und seine Träume und fühlt sich nach dem Besuch "unbeschwert und munter". Denn "Das war kein Mensch, der am Ende seiner Reise müde wurde; im Gegenteil, nach allem was er erlebt hatte, stand für ihn fest, worauf es nun ankam."

buchcover miranda july - es findet dich

Diogenes Verlag

Miranda July: "Es findet dich." Mit Fotografien von Brigitte Sire. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Diogenes 2012

Miranda July trifft auf unterschiedlichste Menschen: Andrew, ein introvertierter Teenager, der Kaulquappen verkauft, Beverly, die mit unzähligen Tieren lebt und Katzen loswerden will oder Ron, der mit einer Fußfessel und einer dubiosen Vergangenheit in seiner Wohnung sitzt und ein 67-teiliges Hobbymalset zu Geld machen will.

Die meisten sind irgendwie schräg oder schrullig, aber ebenso liebenswert und auf rührende Weise auf der Suche nach dem Glück. Allesamt leben sie in ihren Welten, die sich nur zu selten für Außenstehende öffnen.

Parallel zu diesen Interviews schreibt Miranda July am Drehbuch für "The Future".

Interviews mit Joe, Dina, Ron und Andrew findet man auf mirandajuly.com

"Die PennySaver-Inserenten hatten mich so berührt, waren so lebensecht und realistisch, dass mein Drehbuch - absolut alles, was ich mir ausgedacht hatte, Paw Paw und sprechender Mond eingeschlossen - daneben schnarchlangweilig wirkte."

Joe, ein alter Mann, der in dem Film "The Future" mitspielt.

miranda july

Bei ihrem letzten Interview trifft sie auf Joe, einen reizenden hilfsbereiten alten Mann, der das Inserat "Fünfzig Wiederverwertbare Weihnachtskarten 1$" im Penny-Saver aufgegeben hat. Joe schreibt seiner Frau jedes Jahr neun selbstgemachte Karten mit kleinen Gedichten - und das seit 62 Jahren. Von ihm ist Miranda July so begeistert, dass er eine Rolle im Film bekommt. Joe spielt den alten Mann, der Jason einen Föhn verkauft und ihm dann alte Karten zeigt. Und der auch den Mond spricht.

Leseprobe von
"Es findet dich"

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Es ist erstaunlich, was die Leute alles erzählen, es ist aber auch erstaunlich, was Miranda July alles von sich preisgibt. So erzählt sie von ihren Selbstzweifeln, Ängsten und Macken, aber auch von ihrem Ex-Freund mit dem Riesen-Penis, mit dem sie schmerzhaften Sex hatte oder von ihrer verdreckten Wohnungshöhle. So viel Offenheit verblüfft. So viel Offenheit macht aber auch sympathisch. Und so viel Offenheit gepaart mit einer natürlichen Neugierde ist wohl das, was Miranda July ausmacht. Der genaue Blick für besondere Kleinigkeiten eröffnen geradezu Parallelwelten.

Während mir Miranda July als Schauspielerin in ihren Filmen oft zu verhuscht und anstrengend verträumt ist, entwickelt sie in diesen sensiblen Porträts eine wahre Größe. Ich wünschte, ich hätte das Buch gelesen, bevor ich den Film "The Future" gesehen habe, der mich mit einem sonderbaren unangenehmen Gefühl zurück ließ. Und ich wünschte, Miranda July würde sich vermehrt um derartige Porträts kümmern.