Erstellt am: 14. 4. 2012 - 14:21 Uhr
Über das Autofahren
Zumindest in Berlins bohemistisch-ökologischen Kreisen ist die Autofahrerin eine kritisch beäugte Ausnahmeerscheinung. Wer etwas auf sich hält, fährt Rad, pflegt dabei ein gewisses Understatement, nicht ohne darauf zu achten, die mühelos- selbstverständliche Sportlichkeit durchscheinen zu lassen.
Wer in Berlin aufgewachsen ist hat oft gar keinen Führerschein, und wozu auch - schließlich braucht man in Berlin auch kein Auto um vorwärts zu kommen. Die Zugezogenen schätzen ebenfalls den öffentlichen Nahverkehr, sind oft ökologisch orientiert oder Grünen-Wähler und so gilt das Autofahren in diesen Kreisen als schlechte Angewohnheit bornierter Bleifußcharaktere mit Silberhaar oder als zweifelhaftes Vergnügen der uneinsichtigen Unterschicht.
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Kommt bei diesen überzeugten Radfahrern noch ein gesteigertes Geltungs- und Umweltbewusstsein und eine unglückliche persönliche Veranlagung dazu, trifft man den Typus des aggressiven Kampfradler an. Diese Spezies nimmt sich was sie glaubt, dass es ihr zu steht. Da werden Fußgänger vom Bürgersteig geklingelt, andere Radfahrer ausgebremst, Autofahrer geschnitten und sämtliche Verkehrsregeln ignoriert. Aber auch der sanftmütige Berliner Radler wähnt sich grundsätzlich dem Autofahrer moralisch überlegen, weil er das ökologisch korrektere Verkehrsmittel benutzt. Natürlich gibt es in Berlin jede Menge schlimmer Autofahrer-Drängler, Raser, Blinkmuffel, Psychopathen. Sie werden mit den friedlichen Autofahrern über einen Kamm geschert.
Da gibt es dann keine rücksichtsvollen und rücksichtslosen Verkehrsteilnehmer mehr, es gibt nur noch den radelnden Umweltengel und die Gas gebende Ökosau. Vornehmer ausgedrückt: Der "homo oecologicus" fährt nicht Auto - denn wer Auto fährt ist unsozial, hinterlässt einen riesigen Klima-Fußabdruck, ist faul und undiszipliniert.
Dann gibt es noch Berliner, die fahren Auto, tun es aber total ungern. Meistens handelt es sich dabei um Frauen über 35, die noch von Fahrlehrern der alten Schule dermaßen getriezt und gedemütigt wurden, dass ihnen jedes Vertrauen in die eigenen Fahrkünste fehlt, jede Fahrt zur nervlichen Belastung wird.
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Und es gibt die leidenschaftlichen Autofahrer, zu denen ich mich zähle. Wir passionierten Autofahrer fahren wirklich gerne Auto, nicht nur weil das U-Bahnfahren in Berlin zu sehr deprimiert. Das Autofahren beruhigt uns, die Stadt-Landschaft zieht gemächlich vorüber, die übliche Grundtraurigkeit lässt nach, fahrend hat alles plötzlich ein bisschen Sinn. Wer vom Land kommt und eine Jugend mit einmal täglichen Busverbindungen und schauerlichen Tramper-Erlebnissen durch gemacht hat, für den war der Führerschein mit 18 der Weg in die Freiheit. Dieses Gefühl zum Fahren bleibt wohl ein Leben lang.
Nachts kann man Berlin besonders gut Auto fahren, die Straßen sind leer und man kommt schnell voran. Auch die Überlandfahrt ist etwas Herrliches. Die Fernreise mit dem Auto ist inzwischen schon etwas ganz Exotisches. Warum den langen Landweg nehmen, wenn man nach zwei Stunden Flugzeit schon die europäischen Traumstrände und Hauptstädte erreichen kann, denkt sich der autophobe Berliner.
Dabei ist die tagelange, wochenlange Autoreise über Länder- und Zeitgrenzen, die Königsdisziplin der Autofahrer. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auch bald von einer langen Autoreise von Berlin nach Baku zu lesen sein.