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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

13. 4. 2012 - 14:45

ACTA mit schwerer Schlagseite

EU-Unternehmen müssen befürchten, von übermächtigen Rechteinhabern aus den USA mit den im Abkommen vorgesehenen Sanktionen aus dem Markt gedrängt zu werden. Immer mehr EU-Parlamentarier springen ab.

Mit der Ankündigung der Sozialdemokraten im EU-Parlament am Donnerstag, in der kommenden Plenarabstimmung gegen ACTA zu stimmen, hat das unter heftigen Beschuss geratene Anti-Piraterieabkommen nun schwere Schlagseite bekommen.

Besonders interessant dabei ist, dass der sozialdemokratische ACTA-Berichterstatter des Parlaments, der Schotte David Martin, am Ende einer Anhörung seiner Fraktion verkünden musste, er werde eine Ablehnung empfehlen. Als Berichterstatter hatte Martin der mehrheitlich negativen Ansicht im Handelssaussschuss (INTA) Rechnung zu tragen. Bis jetzt hatten Großbritanniens Sozialdemokraten wie auch die Spanier in Parlament, Kommission und Ministerrat allerdings stets die Positionen der Medien- und Unterhaltungsindustrie vertreten.

Noch an Bord

Nur noch die konservative Fraktion PPE ist also mehrheitlich an Bord von ACTA, denn Grüne, große Teile der liberalen Fraktion sowie Linke sprechen sich bereits seit längerem gegen eine Unterzeichnung aus. Doch auch bei vielen Konservativen greift die Erkenntnis langsam Platz, dass ein solches Abkommen gegen die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen geht, die für weite Teile Europas typisch sind.

ACTA wurde ja dezidiert dafür entworfen, die Position der Inhaber von Copyrights und Nutzungsrechten gegenüber dem Rest der Welt zu stärken. Diese Rechteinhaber sind weder Erfinder, noch Forscher, Autoren, Musiker, Programmierer, Regisseure oder sonstige Urheber, sondern in erster Linie Software-, Medien- oder Pharmakonzerne, an welche die genannten Urheber ihre Rechte abgetreten hatten.

Festschreibung des Status Quo

Der "Rest der Welt" sind wiederum keineswegs nur illegale Nachahmer oder Produktfälscher, denn durch ACTA werden Lizenznehmer aller Art, Importeure, Einzelhändler, Speditionen und Hersteller von Generika, um nur einige zu nennen, benachteiligt. Letzlich sind auch die Konsumenten betroffen, denn ACTA wurde ja dazu entworfen, den Status Quo festzuschreiben, der eine ziemlich einseitige Sache ist.

Bei den Lizenzen, Tantiemen und anderen Entgelten für Nutzungsrechte aller Art liegen mit den USA und Japan jene zwei Staaten einsam voran, die ACTA ins Leben gerufen hatten. Laut einer aktuellen, im Auftrag des Europäischen Parlaments von der Universität Maastricht (et al.) erstellten Studie, erzielten die USA und Japan 2010 73 bzw. 68 Milliarden Euro Überschuss in der globalen Handelsbilanz für "geistige Eigentumsrechte".

"Während wir hier nett und ordentlich diskutieren, sind wir Europäer dabei, ordentlich über den Tisch gezogen werden", sagte Jörg Leichtfried, Vorsitzender der österreichischen SPE-Delegation im Parlament bereits im März. Das Abkommen schütze nicht innovative, europäische KMUs vor Imitationen, sondern komme nur ein paar Großkonzernen aus Übersee zu Gute.

EU-Bilanz tiefrot

Während Frankreich, Großbritannien, Schweden, Holland und Dänemark - in dieser Reihenfolge absteigend- noch ein Plus zwischen fünf Milliarden und einer Mrd. lukrieren, bilanziert die Gesamt-EU tiefrot. Im Schnitt werden für Software, Tantiemen, Film- und Pharmalizenzen usw. pro Land um 2,5 Milliarden Euro mehr ausgegegeben als eingenommen werden, in Österreich sind es 700 Millionen Miese im Jahr.

Damit drängt sich die Frage auf, warum das Gros der EU-Staaten eigentlich ein Abkommen unterzeichnen sollte, das die Position jener eingesessenen Konzerne - vor allem aus den USA und Japan - gegenüber europäischen KMUs und Verbrauchern stärkt?

Europäische KMUs

Bei einem Hearing der niederländischen EU-Abgeordneten Marietje Schaake (Liberale) und MEP Ivailo Kalfin (Sozialdemokraten) am Mittwoch kam dieses für Europa enorm wichtige, doch im Zusammenhang mit ACTA bis dato kaum diskutierte Thema dann aufs Tapet.

Ein Repräsentat der Assoziation kleiner und mittlerer Unternehmens aus der IT- und Telekombranche PIN-SME, die neben 13 anderen europäischen Organisationen auch die Sektion UBIT (IT-Consultants) der österreichischen Wirtschaftskammer vertritt, brachte die Befürchtungen der durch PIN-SME repräsentierten etwa 50.000 KMUs auf den Punkt.

Copyrights, Drohungen und Wettbewerb

Gerade in der von US-Firmen weitgehend dominierten Internetbranche hätten es europäische KMUs ohnehin schwer genug, innovative Services und Produkte auf den Markt zu bringen, sagte Sebastiano Toffaletti, Generalsekretaär der PIN-SME.

Allein die Androhung eines großen Rechteinhabers aus den USA mit den in ACTA vorgesehenen Sanktionen könnte dazu führen, dass europäische Provider es nicht mehr riskieren können, innovative Inhalte zu hosten. Und zwar egal, ob es sich um eine tatsächliche oder nur behauptete Verletzung eines "geistigen Eigentumsrechts" handelt.

In der EU-Kommission trieben Handelskommissar Karel de Gucht und Michel Barnier (Binnenmarkt) das umstrittene Abkommen bis zuletzt voran. Die für "geistiges Eigentum" zuständige, oberste Juristin der Kommission war bis 2004 Toplobbyistin der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI).

Die Haftungspflichten

ACTA sieht bekanntlich eine erhebliche Ausweitung der Haftungspflichten vor. Kann man des Rechteverletzers aus welchen Gründen immer nicht habhaft werden, dann darf sich der Rechteinhaber am nächsten in der Kette schadlos halten. Diese "Intermediaries" können zum Beispiel europäische Internet-Provider sein, die wiederum Produkte und Services mittelständischer IT-Unternehmen aus dem EU-Raum hosten, oder auch Spediteure, über die europäische Webshops zum Beispiel Produkte aus Asien beziehen.

"So können große Rechteinhaber für innovative KMUs den Zugang zum Internetmarkt de facto blockieren" warnte Toffaletti. Die "großen Rechteinhaber" sind in der Regel Amerikaner oder stammen aus Japan, die KMUs aber sind Europäer.

ACTA-Komitees statt Gerichten

Ebenso wird der Schutz europäischer Unternehmen und damit auch die EU-weiten Rechtssysteme in weiten Teilen aufgehoben, denn zur Beschlagnahme und nachfolgender Vernichtung von Gütern bedarf es keines Gerichtsbeschlusses.

Statt eines ordentlichen Gerichts werden dann ominöse ACTA-Komitees entscheiden, in denen die Rechteinhaber das Sagen haben, parallel dazu sollen Zöllner in Sachen "geistige Eigentumsrechte" ausgebildet werden und Internet-Provider zu Copyright-Hilfspolizisten.

Wie es mit ACTA weitergeht

Nachdem der ACTA-Berichterstatter die Ablehnung des Abkommens durch den - federführenden - Parlamentsausschuss für internationalen Handel (INTA) verkünden musste, geben noch vier weitere Ausschüsse ihre Meinung zu ACTA ab. Im Industrieausschuss zeichnet sich ebenfalls eine Mehrheit dafür ab, ACTA nicht zuzustimmen, Berichterstatterin ist Amelia Andersdotter von der Piratenpartei, die zur Fraktion der Grünen gehört.

Besonders interessant wird, welche Position die Berichterstatterin des Rechtsausschusses letztlich vertreten muss. Das ist nämlich Marielle Gallo (EPP), die als Berichterstatterin für das Telekompaket, diese Novellierung dreier veralteter EU-Richtlinien monatelang blockiert hatte.

Das disruptive Wirken von MEP Marielle Gallo (EPP) kann mittels dieser kleinen Chronik einfach rekonstruiert werden

MEP Gallo und einige andere Abgeordnete wollten partout, dass zum Kampf gegen die Verletzung "geistiger Eigentumsrechte" eine Haftungspflicht für Netzbetreiber bezüglich der Inhalte ihrer Kunden in diesen Richtlinien festgeschrieben wird.

Der vierte Ausschuss, der eine Meinung zum Thema ACTA abgeben wird, ist der Innenausschuss (LIBE), Berichterstatter ist der Sozialdemokrat Dimitrios Droutsas.