Erstellt am: 13. 4. 2012 - 10:32 Uhr
Der Vielfalt Tribut zollen
„Meine Highlights sind die Skaterfilme!", freut sich Christine Dollhofer. Die Vorfreude der Intendantin darf man teilen: Das Crossing Europe wird von 24. bis 29. April in Linz 146 europäische Spiel- und Dokumentarfilme zeigen.
Das Programm ist so vielfältig, dass es erst durch die Bündelung in Sektionen überblickt wird. Ein Trick und Tipp zugleich, den BesucherInnen dem Festival danken werden.
Florian Schneider
Mit 600 Dokumentarfilmen aus ganz Europa sah sich Christine Dollhofer konfrontiert. So umfangreich waren die Einreichungen für das Crossing Europe 2012. Und erstmals wird das Festival den Dokumentarfilm auch mit mehreren Preisen würdigen: Ausgezeichnet wird der beste Dokumentarfilm von einer oder einem Filmemacher/in unter 33 und der beste Dokumentarfilm eines Regisseurs/einer Regisseurin über 33 von der FEDEORA Jury.
Ja, Crossing Europe ist jung und zum Vergnügen auch unverfroren. Mit Debüt- und Zweitfilmen, die auch visuell frisch gemacht sind, war der Spielfilmwettbewerb von Anfang an das Herzstück des Festivals. „Und ich fand das immer ungerecht, dass vor allem der Spielfilmwettbewerb Preise hatte. Aber es lag an unserer Finanzierung“, sagt Christine Dollhofer im Gespräch mit FM4-Filmredakteurin Erika Koriska.
Zwar hat sich ein Hauptsponsor dieses Jahr verabschiedet, doch die Doku-Preise gehen sich aus.
Eins, zwei,.. vier Eröffnungsfilme!
Gleich mit vier Eröffnungsfilmen startet Crossing Europe in eine Kinowoche in Linz. Junges und unkonventionelles europäisches Filmschaffen wird das Festival auch in seinem neunten Jahr prägen.
Was unter unkonventionell zu verstehen und zu sehen sein wird, macht "Crulic – The Path to Beyond" von Anca Damian mit dem Trailer klar. Zeichnungen gehen in Animation über, eine Erzählerstimme im Off stellt sich als Claudiu Crulic vor und erklärt sich zugleich für tot. Das Genre nennt sich "Animated Documentary". Anca Damian erzählt die Geschichte des Rumänen Crulic, der 2007 schuldlos inhaftiert wurde und in Hungerstreik trat.
Aparte Film
Anca Damian hat sich in mehreren ihrer Arbeiten mit dem Schauplatz Gefängnis auseinandergesetzt. Crossing Europe zollt Damian dieses Jahr Tribut mit einem Special. Dabei wird deutlich, dass die gebürtige Rumänin als Regisseurin, Drehbuchautorin und Kamerafrau nicht einzig den Animationsfilm meistert.
Animationsfilm wäre schon längst ganz groß, wäre er bloß nicht derart aufwändig in der Produktion und deswegen meist kurz gehalten. "It's animated!" nennt sich ein Schwerpunkt bei Crossing Europe 2012, den man sich vormerken sollte. Neben drei langen Animationsfilmen wird sich in den zwei Programmen klären, was es mit "Animated Reality Shorts" und "Animated Documentary Shorts" auf sich hat. Und worin der Unterschied liegt.
Bereits am Eröffnungsabend ist eine weitere Doku zu sehen:
Erstmals in Österreich gezeigt wird David Fishers "Six Million and One". Gemeinsam mit seinen Geschwistern stellt sich der Regisseur seinem ganz persönlichen Stück Holocaust, den sein Vater durchlebte und überlebte. An den Orten einstiger Konzentrationslager brechen Erinnerungen und Differenzen unter den Geschwistern auf. Denn nicht alle von ihnen teilen David Fishers Interesse an der Vergangenheit.
Drama - und zwar mit einem gänzlich anderen Stoff - entwickelt Andrea Arnold in "Wuthering Heights". Die filmische Adaption des Romans von Emily Brontë hatte bei den Filmfestspielen in Venedig im Vorjahr Weltpremiere und wurde überwiegend mit Handkamera gedreht. Britische Kritiker nennen Andrea Arnolds Interpretation schlicht "bold". StammbesucherInnen des Crossing Europe Festivals erinnern sich vielleicht an "Red Road", das Spielfilmdebüt der Britin. Darin begann eine Mitarbeiterin einer Überwachungszentrale, ihre Tätigkeit für persönliche Zwecke zu nützen.
Nicht zuletzt setzt der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum mit seinem bereits mehrfach ausgezeichneten Spielfilmerstling "Hell" nach der Apokalypse an. Crossing Europe führt damit die Programmschiene "Nachtsicht" fort, die vor allem eines darf: ungeniert gruseln, in fünf Werken des Genres Horror/Thriller.
Mican Film
Gruselige Zeiten
In einer Zeit zwischen Krise und Selbstermächtigung will das Festival zwei Schwerpunkte gleich vorab festmachen: in Wartezonen und Arbeitswelten setzen sich die BesucherInnen Zuständen aus, die einen Kinobesuch lang Spannung versprechen.
An einem Tag am Mailänder Flughafen Malpensa erhöhen sich gesellschaftliche Spannungen in "Il Castello" (Regie: Massimo D’Anolfi , Martina Parenti) mit jeder Sicherheitskontrolle. Und in "Work Hard - Play Hard" von Carmen Losmann träumt eine Personalagentin offen davon, "den kulturellen Wandel" in die "DNA der Mitarbeiter" einzupflanzen.
Danach am Besten schnell in einen Plattenladen und Kopfhörer auf: "Sound it out" von Jeanie Finlay spielt genau in diesem eigenen kleinen Universum, das alles, was nicht Klangkörper ist, schnell vergessen macht.
Live musiziert wird bei Crossing Europe in der Nightline im OK Mediendeck. Freuen darf man sich u.a. auf die Electromuppets, Elektro Guzzi und Virgin Helena.
Musikalisch und filmisch unterwegs war Markus Binder. "Shakin my Brain – Attwenger“ ist ein Tour-Movie, das der Sänger und Schlagzeuger mit seinem Mobiltelefon während der „Attwenger Fluxgigs“ gedreht hat. Die heimischen Produktionen bei Crossing Europe sind in vier äußerst dichten "Local Artists"-Programmen gebündelt. Mit einem Spezial zu Gast sind Studierende der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.
Jeanie Finlay 2011
Crossing Europe, 24. - 29. April 2012, Linz.
Wie war das mit den Skaterfilmen?
"Pushed" porträtiert vier Skateboarder in Europa, die vielleicht schon ein bisschen zu alt sind, um sich einzig auf einem rollenden Brett fortzubewegen. Doch Skaten ist mehr als ein Sport. Die Lebensphilosophie offenbart sich im Alltag der vier Männer, von der Rampenkonstruktion über das eigene T-Shirtlabel zum Kunstobjekt.
Die Schiebermütze aus "Pushed" begegnet einem dann auch in "This Ain't California". DDR-Vergangenheitsbewältigung der bisher ungesehenen Art. "Wunderbares Material, ein toller Soundtrack, ein Must-See für alle Skater", schwärmt Intendantin Christine Dollhofer. Und SkaterInnen im Geiste sind danach noch viele mehr.