Erstellt am: 21. 4. 2012 - 12:52 Uhr
Von Marilyns und Malcolms
Eve Arnold, eine der wegweisenden Fotografinnen in der Geschichte der Fotografie, verstarb im Januar im Alter von 99 Jahren in London. Ob Ihrer Mode- und Celebrity-Aufnahmen wird sie bis heute gefeiert, ihre Arbeiten in Hörsälen analysiert und ihr Stil vielfach kopiert. In Ihrem Archiv aber finden sich weitaus mehr Themen als nur die Darstellungen der berühmten Schauspielerinnen des vergangenen Jahrhunderts. Ein Blick in die Ausstellung "Eve Arnold - Hommage" in der Versicherungskammer in München zeigt weshalb Eve Arnold eine große Fotografin, eine große Fotojournalistin und eine große Humanistin war.
Stars, Politiker oder sozial Geschwächte: immer sind es die Menschen
Eve Arnolds bekannteste Arbeiten, sind ihre Portraits von Marilyn Monroe. Über zehn Jahre (1950-1960) hat Arnold Marilyn Monroe begleitet. Über zehn Jahre haben beide von der Professionalität der jeweils anderen profitiert. Die 14 Jahre ältere Eve Arnold hat sich durch Monroe an die Spitze der Portraitfotografie außerhalb der Studiofotografie gearbeitet. Ihre persönlichen, intimen und ikonografischen Aufnahmen waren eine Neuheit in den 1950er Jahren. Sie zeigten nicht die Hochglanz-Abzüge der Stars, sondern oftmals die Persönlichkeiten in den Zwischenstadien von Arbeit und Freizeit, Konzentration und Entspannung, Professionalität und Individualität. So hat sie beispielsweise Marlene Dietrich 1952 in den stillen Augenblicken ihrer damaligen Tonaufnahmen abgelichtet. Monroe, die diese Arbeit kannte meinte bei der ersten Begegnung der beiden: "If you could do that well with Marlene, can you imagine what you can do with me?" Monroe, eine Meisterin der Inszenierung, war sich bewusst, wozu Arnold in der Lage war. Das Bild der zerbrechlichen, unbedarften und natürlichen Schönheit war ein bewusstes Kalkül ihrer Darstellungskunst. Arnold benutze dies, um Monroe und sich selbst zu etablieren.
Aus Harlem zu Magnum, von Monroe zu Malcolm X
Eve Arnold, Magnum
Neben den anhaltenden Arbeiten mit den Hollywoodgrößen der Zeit hat Arnold immer wieder die sozialen Problemfälle als Themen für sich entdeckt. Darin haben sie vor allem Menschen als Subjekte dieser Themen interessiert. Ihre erste große Fotoreportage machte sie 1950 in Harlem: "Ein Jahr lang trieb ich mich in Harlem herum und verbrachte so gut wie jedes Wochenende in einer Bar, Kirche oder einem Restaurant, in denen schwarze Frauen ihre selbstgefertigte Kleidung zur Schau trugen." Dieser dichte Einblick in die USA vor dem Civil Rights Act (1964) ist die Story, die Arnold einen Springer-Job für Magnum einbrachte. Die Story stand ganz im Einfluss der immer populärer werdenden fotojournalistischen Arbeiten. Doch der Text, der mit Arnolds Fotos veröffentlicht wurde (von einer Südafrikanerin mit ausgeprägter Abneigung gegen Harlem und deren Bewohner) stand inhaltlich im Gegensatz zu Arnolds Aufnahmen. Vereinfachende und diskriminierende Sätze wie: "The richer they are, the whiter they want to be" unterminierten Arnolds einfühlsame Arbeit. Daraus zog sie ihre Lehren. Im Begleitband zu "Hommage" in München stammen alle Bildunterschriften und Begleittexte von Arnold selbst.
Diese Art von Selbstbestimmung, mit dem Fotograph als Autor seines Werkes, war die Grundidee der legendären Agentur Magnum. In die Männerrunde von Robert Capa, Henri Catier-Bresson, David Seymour und George Rodger (die Gründer von Magnum) wurde sie 1957 als Vollmitglied aufgenommen, als erste Frau. Das berühmte Capa Zitat: "If your picture is not good enough, you´re not close enough" hat Arnold auf sich angewandt. Aber nicht der Krieg, wie noch für Capa, war das Sujet Arnolds. Sie war immer nah an den Menschen und ihren Geschichten.
Die Versicherungskammer Bayern zeigt noch bis 3. Juni in der Maximilianstr. 53 die Ausstellung "Hommage". Der Eintritt ist frei
Sammy Khamis, Park 15
You don´t shoot, you catch, capture or seize a subject
So kommt es auch, dass Arnold ein Foto nicht schießt, sondern nimmt, einen Moment einfängt oder das Subjekt seinem Charakter nach erfasst. Isabella Rossellini sagt über Arnolds Arbeitsweise am Set: "She was always the first to take off her shoes and tiptoe over the set. She raised her camera, when everyone else lowered theirs." So entstanden auch die zahlreichen Bilder der unbekannten Frauen oder Kinder, die Arnold über die Jahre genommen hat. Von Reisen nach Indien, Ägypten, Afghanistan oder China brachte sie Portraits der Bewohner mit, die zu den weniger privilegierten gehörten: "She raised her camera, when everyone else lowered theirs."
Arnold experimentierte mit Kameras, Farben, Ausschnitten und Materialien. Aber immer blieb das Individuum im Zentrum ihrer Arbeit. Die Aufnahmen von Malcolm X zeigen ihre Hingabe, ihre Anerkennung und ihren Respekt gegenüber X, aber sie zeigen auch die Distanz, die unüberbrückbaren Differenzen und eine abstoßende Faszination für die Person und das Politikum Malcolm X.
Sammy Khamis, Park 15
Geht man durch die Ausstellung im großen Kunstfoyer der Versicherungskammer wirken viele Motive inhaltlich "abgegriffen". Bereits gesehen, bekannt. Been there done that. Aber die Geschichte hinter den Aufnahmen, die Anstrengungen ihrer Entstehungsgeschichte und die Ehrlichkeit ihrer Autorin machen die Hommage zu einer Retrospektive in den empathischen Humanismus der Fotografie des 20. Jahrhunderts.
Eve Arnold wäre am 21. April 2012 100 Jahre alt geworden. Geboren als eines von neun Kindern russischer Migranten in den USA verstarb sie am 4. Jänner 2012 in London. Auch dort wird ihr eine Ausstellung gewidmet: All about Eve