Erstellt am: 11. 4. 2012 - 14:45 Uhr
CO2-Zertifikate: Handeln mit heißer Luft
Vor genau einer Woche hat ÖVP-Umweltminister Nikolaus Berlakovich verkündet, die Kyoto-Frage sei gelöst. Österreich werde um 160 Millionen Euro CO2-Zertifikate von anderen Ländern kaufen und auf diese Weise seine Klimaziele doch noch erreichen. Zu einem Dumpingpreis von etwa fünf Euro pro Tonne Kohlendioxidäquivalente erscheint der Kauf budgetpolitisch als guter Deal. Dass jedoch etliche Millionen Tonnen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre geblasen worden sind, als im Kyoto-Protokoll vereinbart war, spielt dabei offenbar keine Rolle.
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Ein Zertifikat berechtigt zum Ausstoß von 1 Tonne CO2 oder einer vergleichbaren Menge Treibhausgase mit klimaschädlichen Effekten.
Der Handel mit den Verschmutzungsrechten geht auch gleich weiter. Von 12. bis 16. April veranstaltet das Umweltministerium eine Versteigerung, bei der österreichische Unternehmen Angebote für insgesamt 400.000 Emissionszertifikate abgeben können. Wer einen Zuschlag erhält, darf soviel Treibhausgase ausstoßen, wie er sich leisten kann, oder die Zertifikate weiterverkaufen.
Ausgehend von diesen Geschäften werfen wir einen näheren Blick auf das Handelssystem.
Wie funktioniert der Emissionshandel?
Das "Emissions Trading System" der EU (EU ETS) ist seit 2005 in Kraft, und funktioniert nach dem "Cap-and-Trade-Prinzip" (deckeln und handeln).
Das ETS ist das weltweit größte Handelssystem für Treibhausgase. Im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll, das den Emissionshandel zwischen Staaten regelt, ist es anlagenbasiert. Das heißt, die Zertifikate gehen direkt an Energie- und Industrieanlagen. Teilnehmerländer sind die EU-27 plus Island, Liechtenstein und Norwegen.
Die Idee ist einfach: Die Höhe der Treibhausgase, die ausgestoßen werden darf, wird beschränkt. Auf Basis dieser Obergrenze werden Emissionsrechte in Form von CO2-Zertifikaten an einzelne Kraftwerke und Fabriken verteilt. Wer weniger als das ihm zugeteilte CO2 ausstößt, und damit nicht alle Zertifikate verbraucht, kann die übrig gebliebenen weiterverkaufen. Wer mehr ausstößt, muss Zertifikate nachkaufen, oder in Klimaschutzprojekte in Drittländern investieren. ("Joint Implementation" und "Clean Development Mechanism").
Auf diese Weise sollen Wirtschaft und Industrie motiviert werden, langfristig aus Öl, Kohle und Gas auszusteigen, und die Entwicklung von umweltfreundlichen Technologien zu fördern. Nach marktwirtschaftlicher Logik funktioniert das immer gerade dort, wo es am billigsten ist.
Probleme und Chancen
Der Vorteil dieses Systems ist, dass es theoretisch egal ist, wer wo wieviele Treibhausgase emittiert oder reduziert, solange nicht die festgelegte Obergenze überschritten wird. Ein Argument, mit dem auch Berlakovich den geplanten Zertifikatskauf rechtfertigt.
Die große Schwierigkeit dabei ist die Umsetzung. Das System hat Lücken.
Österreich darf im Jahr 2012 knapp 69 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Davon wurden rund 31 Millionen Tonnen unter 220 heimischen Betrieben verteilt. Sie sind im Emissionshandelsregister aufgelistet.
So sind zum Beispiel verschiedene sehr abgasintensive Sektoren aus dem Emissionshandel ausgenommen. Dabei handelt es sich um das gesamte Transportwesen, die Landwirtschaft, Privathaushalte - hier geht es vor allem ums Heizen - und einige andere Branchen, die laut der europäischen Umweltagentur zusammengenommen immerhin 48,2 Prozent aller CO2-Emissionen in der EU ausmachen. Der Flugverkehr ist erst seit Anfang 2012 Teil des Handelssystems.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Verschmutzungsrechte bisher gratis und viel zu großzügig verteilt worden sind, sagt Jurrien Westerhof, Energiesprecher von Greenpeace Österreich. Wirtschaftslobbyismus habe dazu geführt, dass die Unternehmen einen Überschuss an Verschmutzungsrechten bekommen hätten. Der sei jetzt auf dem CO2-Markt gelandet, und drücke die Preise. Dazu komme, so Westerhof, dass der Emissionshandel nicht gut mit Wirtschaftsschwankungen umgehen könne:
Das ETS umfasst mit einem Emissionsvolumen von etwa 2 Milliarden Tonnen CO2 rund 8 Prozent der globalen CO2-Emissionen.
"Bei Hochkonjunktur, das heißt, wenn die Fabriken viel produzieren und dadurch viel Energie verbrauchen und viel CO2 ausstoßen, sind die Zertifikate teuer. Wenn aber die Wirtschaft zusammenbricht, fallen auch die Preise in den Keller, und genau das ist in den letzten Jahren passiert."
Aktuell kostet eine Tonne CO2 zwischen 5 und 12 Euro. Wenn die Verschmutzungsrechte so billig sind, besteht für die Industrie natürlich kein Druck, ihre Produktion umweltfreundlich zu gestalten. Den könnte man allerdings durch einen CO2-Mindestpreis aufbauen. Selbst Verfechter des Systems wie Günter Liebel, Leiter der Sektion für allgemeine Umweltpolitik im Lebensministerium, fänden das wünschenswert:
"Nachdem aber dieses System ein Wirtschaftssystem ist", sagt er, "bestimmt die Wirtschaft natürlich massiv mit, und ein hoher CO2-Preis wird von der Wirtschaft nicht gern gesehen."
Europäische Umweltagentur
Ab 2013 soll im Emissionshandel alles besser werden. Das Emissionszertifikategesetz 2011 bringt einige Änderungen:
- Künftig legt die EU-Kommission die Obergrenze für den CO2-Ausstoß fest und nicht wie bisher die einzelnen Länder. Die Menge wird 2013 1,97 Milliarden Tonnen CO2 betragen. Danach wird sie jährlich um 1,74 Prozent gesenkt.
- Weitere klimaschädliche Tätigkeiten und Substanzen werden in den Emissionshandel aufgenommen, zum Beispiel Lachgas (N2O), das vor allem durch intensive Landwirtschaft entsteht.
- Durch ein Benchmark-System soll es mehr Anreize für grüne Produktionsweisen geben. Die Unternehmen mit den umweltfreundlichsten Technologien werden belohnt.
- Eine der wesentlichen Neuerungen betrifft die Zuteilung der Zertifikate. Stromproduzenten sollen diese nicht mehr kostenlos erhalten, sondern müssen sie ersteigern.
Auf der Online-Plattform TheCompensators* können Privatpersonen den Emissionshandel beeinflussen. CO2-Emissionen werden gekauft, um sie aus dem System zu löschen.
Die Industrie bekommt ihre Verschmutzungsrechte zwar weiterhin geschenkt, trotzdem sieht selbst Greenpeace-Energiesprecher Westerhof in diesen Maßnahmen Verbesserungen:
"Ich denke schon, dass diese Änderungen dazu führen werden, dass sich Staaten wie Österreich, die in puncto Klimaschutz lange nichts getan haben, mehr anstrengen müssen - und zwar zuhause, wo die Emissionen entstehen, ohne sich einfach freizukaufen, wie es gerade passiert ist."
International gilt die EU mit ihrem Emissionshandelssystem jedenfalls als Vorreiter in der Klimapolitik. In Kalifornien und Australien ist man dabei, ähnliche Modelle umzusetzen. Österreich hat inzwischen begonnen, die Neuerungen umzusetzen und versteigert schon jetzt 1,3 Prozent seiner CO2-Zertifikate. Wozu allerdings der Erlös aus den Verschmutzungsrechten verwendet werden wird, bleibt unklar. Das EU-Parlament hatte gefordert, dass wenigstens die Hälfte davon dem Klimaschutz zu Gute kommen soll. Durchgesetzt hat es sich damit nicht.