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Sammy Khamis

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3. 5. 2012 - 12:01

Unendlicher Spaß, unendliche Traurigkeit

Das Volkstheater München packt David Foster Wallaces Roman "Unendlicher Spaß" in zwei Bühnenstunden. Gewinn Karten für die morgige Vorstellung!

Das Münchner Volkstheater füllt sich zusehends. Die Vorstellung "Unendlicher Spaß" nach dem Roman von David Foster Wallace ist fast ausverkauft, kaum ein Sitz im Theater bleibt leer. Auf der Bühne warten bereits die Hauptdarsteller. Es gibt keinen Vorhang, so als gäbe es nichts zu verstecken in den kommenden 120 Minuten. Wozu auch etwas verbergen, liegen doch das Elend, der Abgrund, der Untergang so nahe? Käme doch jede Form der Vertuschung einer Lebenslüge gleich! Und so fällt nicht der Vorhand, sondern es fallen die Masken bereits vor der ersten Szene: Wir sehen die Enfield Tennis Academy, einige ihrer Schüler, sowie die "Herrscherfamilie" über dieses Reich: Die Incandenzas. Sie essen zu Abend. Am Tisch sitzen Dr. James Incandenza, seine Frau Avil, sowie die drei gemeinsamen Söhne Orin, Mario und Hal. Orins Freundin, die mysteriöse und bezaubernd schöne Joelle (gespielt von Kristina Pauls) stellte die Rund dem Publikum vor. Währenddessen trinken alle Alkohol. Aus Gläsern. Nur James säuft billigen Fusel aus einem Plastikkanister.

Joelle

Volkstheater München

Joelle, gespielt von Kristina Pauls

Eine Familiensaga als Tragödie: Die Incandenzas

James ist der Gründer der Academy. Sie wird von Avil geleitet. Orin hat die Academy absolviert, bevor er vom Tennis auf Football umstieg, um seiner Familie eins auszuwischen. Mario ist ein behinderter Krüppel. Er schlurft über die Bühne, filmt und ist allgegenwärtig. Er ist der Einzige, der zu Gefühlen fähig scheint. Der Einzige, der über Gott sprechen möchte und der nach dem Selbstmord seines Vaters James (er steckt seinen Kopf in die Mikrowelle) so etwas wie Trauer zu verspüren glaubt.
Mario begleitet seinen jüngeren Bruder Hal, den talentiertesten Tennisspieler und das begabte (Sprach-)Genie Tag und Nacht. Diese Zusammenkunft gebrochener Individuen nennt Joelle "die zweittraurigste Familie, die ich je gesehen habe". Aber was, fragt man sich, ist noch trauriger?

Trauriger als die Incandenzas? Unmöglich.

Vielleicht ist es die Realität, die noch viel trauriger ist, als die Familie Incandenza. Oder es ist die Tennisfamilie der Enfield Tennis Academy. Sie ist ein Kosmos, abgeschlossen und absurd. Als einer der zwei Hauptorte der Handlung ist sie ein Sinnbild für den Zustand der amerikanischen (und europäischen) Gesellschaft.
So sehen wir in einem weiteren Bild fünf junge Menschen. Vier Jungs, alle wie Hal um die 17 Jahre alt und ein Mädchen, 16 Jahre alt. Sie stehen in kurzen weißen Hosen, mit gestreiften Tennis-Poloshirts auf der Bühne und üben Aufschläge zum Takt von Trainer Schtitt. Eine urkomische Szene. Aber sie ist auch zum Zerreißen traurig. Denn zwischen Drill und Leistung, Training und Spielen, verkümmern die Schüler der Akademie zu Häftlingen der modernen Gesellschaft. Leistungen sollen abgerufen, nicht Persönlichkeit gebildet werden. Um das auszuhalten, nehmen sie Drogen. Alle. Wir sehen Hal, dessen Leid durch seine Genialität und seine kaputte Familie potenziert wird, wie er heimlich kifft. Permanent. Wie auch all die anderen Jungs andauernd kiffen. Sie ziehen sich vor den Trainings Aufputschmittel rein, danach Tranquilizer, um wieder runter zu kommen. Ganz nach Bedarf.

Justin Mühlenhardt als kiffender Hal Incandenza

Volkstheater München

Ein kiffender Hal Incandenza gespielt von Justin Mühlenhart

Von der Tennis Akademie direkt in die Entzugsklinik

Drogen führen uns direkt in den zweiten Teil Aufführung. Dort finden sich die Jungs der Akademie in einer Entzugsanstalt wieder. Das Koks hat noch den letzten kümmerlichen Rest der Nasenscheidewand weggeätzt, die weißen Tennis-Klamotten haben sie gegen abgewetzte Trainingsanzüge tauschen müssen. Auf der Bühne versammelt sich das Elend westlicher Gesellschaft. Trauriger als die Incandenzas? Trauriger als die Tennis-Kids? Auf alle Fälle tragischer als vieles, was auf deutschsprachigen Bühnen inszeniert wird.

Volkstheater München

Training an der Grenze des Zumutbaren

Im zweiten Teil der Aufführung wird auch eine Schwäche des Stücks, das von Bettina Bruinier inszeniert wird, offensichtlich. Denn es werden neue, essentiell wichtige Personen wie Don Gatley in die Handlung eingeführt, ohne dass erklärt wird, wo die auf einmal herkommen oder was sie so wichtig macht. Es entsteht das Gefühl, als liefen gegen Ende der Aufführung viele Stränge zusammen. Gerade die kryptische Verbindung zwischen Hal und seinem Vater James erhellt sich. Denn James hat in seinen letzten Monaten versucht, eine Art der Kommunikation zu erschaffen, die es ihm ermöglicht, mit seinem Sohn zu reden. Das Resultat: Der Film "Unendlicher Spaß", in dem auch Joelle eine wichtige Rolle spielt. Im Buch ist dieser Film der Grund für zahllose Todesfälle, er ist der heilige Gral der mysteriösen Rollstuhlfahrer aus Quebec und er ist die Chiffre der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie. Aus diesen Strängen aber wird auf der Bühne ein Knoten. Genauer: Ein Kloß.

Foster Wallace als Abendunterhaltung?

David Foster Wallaces "Unendlicher Spaß" ist als Taschenbuch bei Rowohlt erhältlich

Dem Volkstheater München gelingt es, die komplexe Geschichte von "Unendlicher Spaß" zu komprimieren, die überbordende Erzähl- und Sprachgewalt des Autors in spritzige Dialoge zu verpacken und die gut 1500 Romanseiten auch für Foster-Wallace-Neulinge konsumierbar zu machen. Aber ein Werk dieser Fülle in zwei Stunden abzuarbeiten, heißt immer auch zu vereinfachen, zu kürzen und zu banalisieren. Denn so konsumierbar die Bühneninszenierung auch sein mag, der Roman in all seinem Umfang ist ein Stück Literatur, das den Leser konsumiert, ihn zum unmündigen Nichts degradiert und wildwechselnd zwischen Fachtermini, Erzählstilen und metaphysischer Daseinskritik atemlos zurücklässt. Dennoch bleibt der Theaterabend wie ein Kloß im Halse stecken. Ein Kloß aus Lachen und Betroffenheit. Denn zwei Stunden Foster Wallace sind keine Abendunterhaltung. Sie bleiben Gesellschaftskritik.

Wir verlosen einmal zwei Karten für die Aufführung von "Unendlicher Spaß" am 4. Mai am Münchener Volkstheater an denjenigen, der folgende Frage richtig beantwortet.

Wie viele Jahre saß der Übersetzer des Romans, Ulrich Blumenbach, an der deutschen Version von "Unendlicher Spaß"?

Das Gewinnspiel ist vorbei, der Gewinner wurde benachrichtigt. Die richtige Antwort lautet "sechs Jahre".