Erstellt am: 5. 5. 2012 - 14:52 Uhr
Was die Welt von Lateinamerika lernen kann
Es wurde sehr ruhig um Lateinamerika. Aus einer Ansammlung von "failed states" hat sich eine Boom-Region entwickelt, die gefestigte Volkswirtschaften und standhafte Demokratien vorweisen kann. Die letzten zehn Jahre geschah all dies fernab medialen Interesses. Denn mit dem 11. September 2001 änderten sich schlagartig die Vorzeichen internationaler, vor allem US-amerikanischer Außenpolitik. Alles konzentriert sich auf den Nahen Osten und die Kriege gegen Irak, Afghanistan und "den Terror". Dies waren für Sebastian Schoepp Grund genug ein Buch über die nachhaltige Entwicklung des Kontinents zu verfassen: Eine Entwicklung aus der Einsamkeit heraus hin zu einem neuen Selbstverständnis:
"Lateinamerika musste aus sich selbst heraus wachsen, das hat dem Subkontinent gut getan. Nach der Unabhängigkeit [1810] fühlte man sich zunächst wie "die Vorstädter der Weltgeschichte, wie nicht eingeladene Tischgäste, die sich durch den Hintereingang des Westens" geschlichen hätten, schrieb Octavio Paz. […] Aber vielleicht war es genau diese Einsamkeit, dieser innere Zwang zur Eigentümlichkeit, dieser Hang zu Reflexion statt Aggression, zu Kontemplation statt Expansion, die Lateinamerika letztendlich auf den richtigen Weg gebracht haben."
Park15
Aus dem Hinterhof der USA wird ein Center Court des Weltgeschehens
La soledad. Die Einsamkeit. In diesem spanischen Wort stecken bereits all die Schwere, all der Unmut und all die Opfer, die Lateinamerika gezwungen war aufzubringen. La soledad. Mit einem tiefen Einatmen klingt das Wort bereits nach Tango, nach Buenos Aires, nach drückender Hitze und langen Nächten. Die Einsamkeit, so Schoepp, sei ein Teil des lateinamerikanischen Lebensgefühls. Individuell wie kollektiv.
Das Ende der Einsamkeit, wie Sebastian Schoepp zeigt, wäre nicht die Befreiung von der spanischen Krone um das Jahr 1810 (zehn Staaten feierten 2010 ihr bicentenario, also das 200. Jahr ihrer Unabhängigkeit), sondern die stille und nachhaltige Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte. Daraus ließe sich ableiten, was die Welt von Lateinamerika lernen kann. Das hört sich doch sehr nach Theorienapotheke, Schlachtplan oder Heilsbringer an. Aber Schoepp schreibt keine allgemeingültigen Leitlinien über Entwicklung und auch keine Definition menschlichen Glücks, sondern er kreiert einen empathischen, historisch analysierenden Blick auf die Staaten des Kontinents. Schoepp gelingt es die Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der einzelnen Länder zu einem Prozess zu vereinen. Aus diesem Prozess wird deutlich, dass sich eine Gesellschaft nur dann nachhaltig verändern kann, wenn sie die Zeit und die Möglichkeit hat sich mit den eigenen Zielen auseinanderzusetzen. So fand Lateinamerika zu sich selbst und zu einem modus vivendi zwischen Einsamkeit und Zufriedenheit, von dem die Welt lernen könne.
Keine Theorienapotheke, sondern empathische Einblicke
Westend Verlag
Sebstian Schoepp: Das Ende der Einsamkeit, Westend
So zum Beispiel von der Einsicht, dass "gut leben" besser sein kann als "besser leben". Westliche Kulturen, wie auch ab den 1960er Jahren die Regierungen der lateinamerikanischen Staaten, hätten sich von dem manischen Willen zu permanentem Fortschritt leiten lassen. So wurde das radikale Privatisierungsparadigma des "Washington consensus" in Lateinamerika implementiert. Den Extraktivismus, das Ausbeuten von Bodenschätzen übernahmen ausländische Firmen. Die Regierungschefs trugen allzu oft Uniform und, so Schoepp, fühlten sich ausländischen Investoren oft enger verbunden als dem eigenen Volk.
Das Resultat in den 1990er Jahren wäre ein ökonomischer und gesellschaftlicher Scherbenhaufen. Staatsverschuldung und ungeklärte Menschenrechtsverletzungen aus Junta- Zeiten erhöhten die Probleme der jungen Demokratien. Den derzeitigen, in der Regel linksdemokratischen Regierungen, gelang es, wie Schoepp zeigt, weite Teile des Wirtschaftens den Bürgern des Staates zu Gute kommen zu lassen. So wies Lula in Brasilien 32 Millionen Menschen den Weg aus der Armut und so wies Venezuela ausländischen Firmen den Weg außer Landes.
Europa dürfte mit seinen Immobilien- und Finanzkrisen ebenso einen Blick auf Lateinamerika wagen. Schoepp meint, dass die Sparprogramme, die heute Griechenland oder Spanien auferlegt werden, eine Analogie mit Lateinamerika aufweisen:
"Damals [Mitte der neunziger Jahre] diktierten IWF und Weltbank vielen Ländern ein striktes Sparprogramm, um ihre Schulden abzubauen und wettbewerbsfähig zu werden. In Argentinien schlug das spektakulär fehl. Europa könnte von Lateinamerika lernen, welche Fehler man vermeiden sollte, sagt der leitende Redakteur von Argentiniens größter Zeitung Clarín, Ricardo Kirschbaum."
Krisen- Analogien und neues Selbstbewusstsein
"Die Welt muss Lateinamerika als die dynamische und wachsende Region zur Kenntnis nehmen, die sie längst ist", sagt Barack Obama. Die Region könne damit auch als Beispiel für die arabischen Staaten dienen. Die Prozesse gegen die Haupttäter der Menschenrechtsverletzungen der Diktaturen, aber auch die Stabilität der demokratischen Systeme seien Resultat der bewussten Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen. Dass diese nicht sofort erreicht werden können, sondern Geduld benötigen sei dabei nur logisch, so Schoepp. Nachhaltigkeit braucht zumindest Zeit und vielleicht auch etwas Einsamkeit.
Park15
"Das Ende der Einsamkeit", ein sehr sehr gutes Buch
Die negativen Seiten Lateinamerikas hat Eduardo Galeano bereits 1977 in seinem Buch "Die offenen Adern Lateinamerikas" niedergeschrieben. Bis heute hat sich daran wenig geändert
Bei allem Positiven schreibt Sebastian Schoepp nicht an den negativen Seiten des Kontinents vorbei. Er bindet Drogenkonflikte, Korruption und Extraktivismus als Tatsachen, nicht als Endgültigkeiten in seine Analyse mit ein. "Das Ende der Einsamkeit" eröffnet einen journalistischen Blick auf das derzeitige Südamerika und wird sowohl zu einem perfekten Reisebegleiter, wie auch zur passenden Lektüre für all jene, die lieber bessere als nur gute Bücher lesen; Denn vielleicht macht das einen Teil des "gut Lebens" aus: sehr sehr gute Bücher. Schoepp hat eines der besten deutschsprachigen über Lateinamerika verfasst.
Bücher zu gewinnen!
Wir verlosen drei Exemplare von Sebastian Schoepps "Das Ende der Einsamkeit" an diejenigen von Euch, die folgende Frage richtig beantworten:
Frage: Welcher lateinamerikanische Autor hat ein Buch mit "Einsamkeit" im Titel geschrieben?
UPDATE: Der Einsendeschluss ist vorbei, die richtige Antwort war: Gabriel García Márquez. Márquez schrieb den berühmten Roman "Cien años de soledad" - auf Deutsch "Hundert Jahre Einsamkeit". Die GewinnerInnen wurden bereits per Mail verständigt.