Erstellt am: 22. 4. 2012 - 10:00 Uhr
Nichtrauchertext
marc carnal
Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.
Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.
Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.
Termine findet man hier.
marc carnal
Diesen hier durchgestrichenen Begriff deute ich dahingehend, dass der Autor der Liste sich die Rauchentwöhnung durch Einnahme eines Nikotin-Präparats im letzten Moment doch anders überlegt hat.
Ich rauche seit zehn Jahren sehr viel, oft mehr als eine Schachtel am Tag. Diese Zeilen tippe ich in meine aschevergilbte Tastatur, nachdem ich vor wenigen Sekunden eine Zigarette ausgedämpft habe. Wie bei den tausenden anderen zuvor weiß ich nicht, warum ich sie geraucht habe. Ich fröne einer völlig sinnlosen, nicht berauschenden, ausgesprochen schädlichen und meine Umgebung oft störenden Sucht, in die ich schon sehr viel Geld investiert habe. Es gibt überhaupt kein Argument, das meinen Tabakkonsum rechtfertigen könnte. Nachdem ich davon überzeugt bin, überdurchschnittlich intelligent und reflektiert zu sein, bleibt mir nur schierer Zorn, dass es Teile meines Gehirns trotzdem schaffen, mir stetig einzuflüstern, dass ich weiterhin rauchen solle. Zuweilen lasse ich mich sogar zur Aussage hinreißen, dass so manche Zigarette durchaus schön und genussvoll sei, etwa jene, die Bier- und Kaffeegenuss atmosphärisch untermalt. Beides schmeckt und wirkt jedoch nicht besser durch zusätzliches Qualmen.
Die dümmste und häufigste Reaktion von Rauchern auf Kritik an ihren Gewohnheiten ist ein Abwehrreflex, den man mit
„Das lasse ich mir sicher nicht verbieten“
apostrophieren könnte. Überzeugte Raucher haben stets das unergründliche Gefühl, eine höhere Instanz wolle ihnen etwas untersagen. Das Gegenteil ist der Fall: Dass ein bizarres Ritual wie das Rauchen gesellschaftlich derartig toleriert wird, ist wirklich seltsam. Man darf es nach wie vor beinahe überall ausüben, in Österreich sogar in fast jedem Restaurant. An jeder zweiten Straßenecke in Wien gibt es eine Trafik. Ich habe hier noch nie in einer Wohnung gewohnt, die mehr als zweihundert Meter von einem Trafik entfernt lag.
Es wird also flächendeckend zu erschwinglichen Preisen Gift feilgeboten, auf dessen Verpackung geschrieben steht, dass es gefährlich ist, ein Gift, das ich ohne bewusstseinsbefruchtende Wirkung und zusätzlich zum Schaden anderer fast überall konsumieren darf, und trotzdem erregen sich seine Jünger und meinen, man wolle es ihnen wegnehmen, um dann allerorts stolz zu verkünden, sie würden sich wehren und sich weiterhin eisern selbst kontaminieren. Eine bemerkenswerte Fehlleistung auf dem Gebiet der Logik.
“Ist aber trotzdem immer noch meine Sache!“,
krähen da schon die Raucher den zweiten Evergreen ihres Argumentations-Repertoires daher. Das ist grundsätzlich richtig. Was man alleine in seiner Wohnung treibt, sollte nicht Gegenstand von Urteilen anderer sein, solange man dabei nicht übermäßig laut ist, keine Leichenteile spachtelt und kein Falschgeld druckt.
Doch da sind auch jene, die sich mit Zigarette im Maul in den Kinderwagen zum Dutzi-Dutzi-Machen beugen; Konzertbesucher, die sich in überfüllten Sälen beim Pogo vier Zentimeter vor den Gesichtern ihrer unbekannten Tanzpartner eine anzünden und auch die vielen Stunden, die Nichtrauchern geraubt werden, wenn sie wieder einmal warten müssen, weil jemand noch „schnell ausrauchen“ oder „kurz fünf Minuten raus“ muss. (Glücklicherweise muss ich mich nur beim dritten Beispiel schuldig bekennen.)
Nachdem Raucher also immerfort andere schädigen, aufhalten und stören, nehmen sie sich bei ihrer „Privatsache“-Rechtfertigung selbst den Wind aus den Segeln, weil sie es nicht schaffen, andere damit unbehelligt zu lassen. Man sollte Zigaretten ausnahmslos verbieten und damit mir und allen anderen Rauchern den Gefallen tun, dass sie einfach keine andere Wahl mehr haben, als damit aufzuhören und sich daher nicht länger für ihre schamlose Angewohnheit schämen müssen.