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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

10. 4. 2012 - 11:07

Bernd Schilcher: "Bildung nervt"

Bernd Schilcher, Bildungsrebell der ÖVP, verfasst sein politisches Vermächtnis. Heraus kommt eine Einführung ins österreichische Bildungssystem. Was daran nervt? Fast alles.

Ja, Bernd Schilchers Buch kann einen schon nerven. Vor allem, wenn man Lehrergewerkschafter ist, Landeshauptmann oder Vorsitzender einer österreichischen Regierungspartei. Denen unterstellt er nämlich bereits auf der Titelseite, am Wohl der Schülerinnen rein gar nicht interessiert zu sein. Und das ist für Bernd Schilcher auch eine Hauptursache dafür, dass Österreichs Schulsystem alle, die damit zu tun haben, nur noch nervt: die Schülerinnen sowieso, die Lehrerinnen nicht weniger, die Eltern, die Expertinnen und die wenigen Politikerinnen, die sich ernsthaft um eine Verbesserung der verfahrenen Lage bemühen.

Plan 4 From Outer Space

Bernd Schilcher

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Bernd Schilcher

Dass Bernd Schilcher kein gewöhnlicher ÖVP-Politiker ist, verrät schon die erste Fußnote seines Buches: "Um der leichteren Lesbarkeit willen verwende ich in diesem Buch vorrangig weibliche Pluralendungen statt der Doppelformen… Die männlichen Vertreter sind hier selbstverständlich immer mitgemeint." Bernd Schilcher, Jurist und Universitätsprofessor, hat bereits in den Siebziger Jahren ein bildungspolitisches Positionspapier der ÖVP ("Plan 4") verfasst, übrigens gemeinsam mit einem gewissen Wolfgang Schüssel. Dafür musste er sich von damaligen Parteigranden gehörig den Kopf waschen lassen, vertrat er doch darin so ungehörige Thesen wie ein Ja zur Ganztags- und zur Gesamtschule. Von diesen Jas ist er auch heute noch nicht abgerückt – ganz im Gegenteil.

Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger Jahre war Bernd Schilcher Präsident des steirischen Landesschulrats, vor wenigen Jahren leitete er die internationale Expertenkommission der aktuellen Bildungsministerin Schmied (die er übrigens, wie auch Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, von der Politikerschelte explizit ausnimmt). Letztes Jahr hat er gemeinsam mit Hannes Androsch das Bildungsvolksbegehren initiiert.

Bernd Schilchers bildungspolitisches Vermächtnis

Hat man die Forderungen des Volksbegehrens noch im Kopf, dann weiß man im Groben auch, worauf Bernd Schilcher hinaus will. Auf den 200 Seiten seines Buches erläutert er noch einmal, welche Erfahrungen und Einsichten ihn dazu gebracht haben. Schilcher führt aus, welche negativen Auswirkungen das aktuelle österreichische Bildungssystem hat. Von der fehlenden Frühförderung, dem falschen Umgang mit Schülerinnen, der unzureichenden Vorbereitung auf die Anforderungen der heutigen Zeit, bis zu den finanziellen Auswirkungen auf die Gesellschaft. All das belegt er mit Zahlen und internationalen Vergleichen.

Input statt Output

Buchcover zu "Bildung nervt" mit Rufezeichen

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"Bildung nervt" von Bernd Schilcher hat 206 Seiten und ist bei Ueberreuter erschienen.

Bei der Frage nach den Ursachen belässt er es aber nicht bei Politikerschelte. Bernd Schilcher taucht tief in die Geschichte des österreichischen Schulsystems ein und zeigt, wie sehr seine Entstehung vor fast 250 Jahren immer noch seine wesentlichen Merkmale bestimmt. Damals waren es vor allem Militärs, die die Einführung der allgemeinen Schulpflicht gefordert haben, und militärische Anforderungen sind es heute noch, die die Schule im Wesentlichen bestimmen: Immer noch wird meist frontal unterrichtet, immer noch wird den Schülerinnen vor allem abstrakte Theorie eingetrichtert, immer noch ist Gehorsam in den meisten Schulen wichtiger als Mitbestimmung, immer noch ist der Unterricht auf das Ausmerzen von Fehlern fixiert statt darauf, die Talente der Schüler individuell zu fördern.

Individuelle Förderung ist das Hauptargument Schilchers für die Gesamtschule. Denn das gegliederte Schulsystem mit seinem Halbtagsunterricht und dem Bestreben, möglichst homogene Lerngruppen herzustellen (weil da das abstrakte Eintrichtern von Stoff leichter fällt), hinterlässt immer mehr Ausgesonderte und Verliererinnen. Angefangen bei Behinderten über Migrantinnen und Schülerinnen aus den sogenannten bildungsfernen Schichten bis hin zu denen, die im Laufe ihrer Schulkarriere Schicksalsschläge, seelische oder psychische Probleme zu verarbeiten haben und deswegen in den Bildungsvermittlungsanstalten auf der Strecke bleiben. Das Bildungssystem, so wie es in Deutschland und Österreich besteht, diente und dient laut Schilcher vor allem dazu, die Klassen und Stände der Gesellschaft voneinander abzuschotten.

Von Immanuel Kant zu HC Strache

Dass Bernd Schilcher vom Einfluss des preußischen Militarismus und vom Rassismus des Immanuel Kant schreibt, braucht einen nicht abzuschrecken, denn er tut das weder akademisch abgehoben noch um seine eigene Bildung herauszustellen, sondern einzig und allein, um deren Auswirkung auf die heutige Zeit anschaulich zu machen. Er schreibt aber auch von seinen Erfahrungen auf Auslandsreisen, an amerikanischen High Schools und Gesamtschulen in Kanada, Skandinavien oder Singapur. Zwischendurch erzählt er von Erfahrungen aus seiner eigenen Laufbahn in der Schulverwaltung.

Vor allem seine Erfahrungen mit der Integration oder besser: der Inklusion von Behinderten in Regelschulen führt Schilcher als Beispiel an. Zum Einen, weil es hier auch in Österreich ein paar Beispiele gibt (in anderen Ländern ist es längst die Regel), zum Anderen, weil diese zeigen, wie sehr alle Schülerinnen, auch die besten, von heterogen zusammengesetzten Klassen bzw. Lerngruppen profitieren. Hier könnte man den Umgang mit gesellschaftlicher Diversität lernen, anstatt krampfhaft Schülerinnen nach Rassen und Klassen getrennt zu halten.

Ja zu Studiengebühren, ja zur Gesamtschule

Dass Bernd Schilcher kein getarnter Sozialdemokrat in der ÖVP ist, merkt man unter anderem an seinem vehementen Eintreten für Studiengebühren sowie daran, dass er sehr oft aus den Anforderungen der Wirtschaft sowie aus seinem katholischen Background argumentiert. Schilcher gibt sich, wie so mancher Ehemalige, als von parteipolitischen Zwängen befreiter Sachpolitiker – mit dem Unterschied, dass er aus seinen Positionen nie ein Hehl gemacht hat.

Siehe auch:
Zentralmatura, Modulare Oberstufe, Gesamtschule / Neue Mittelschule und Ganztagsschule: Was ist geblieben von den großen Ideen? Irmi Wutscher gibt einen Überblick über die Schulreformen der letzten Zeit.

"Bildung nervt" ist ein gut lesbares, kurzweiliges Buch, gegliedert in Abschnitte von selten mehr als einer Seite. Dass Bernd Schilcher auf einer Mission ist, merkt man am flüssigen Schreibstil genauso wie an den Flüchtigkeitsfehlern, die sich hier und da eingeschlichen haben. Er beleuchtet das österreichische Bildungswesen und die, die daran herumdoktern, von allen Seiten und spart auch nicht an Komplimenten für die, die er seine Mitstreiter nennt. Sieht man allerdings die geballte Fakten- und Expertinnenmacht auf seiner Seite und wie wenig sich davon bisher im österreichischen Bildungssystem niedergeschlagen hat, dann kann einem schon angst und bange werden. Kein Wunder, dass Bernd Schilcher am Ende seiner Karriere genervt ist.