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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

7. 4. 2012 - 12:30

Kreuzberg bleibt unhöflich

In den letzten Wochen hatte sich mal wieder ganz Berlin, ach was, ganz Deutschland über unser liebes Kreuzberg aufgeregt. Was war geschehen?

Der Problembezirk hatte das wandernde Kulturprojekt „BMW - Guggenheim Lab“ vergrault. Auf einer Brachfläche unweit der Oberbaumbrücke an der Spree sollte ein „Thinklab“ eröffnet werden, in dem ab dem 24. Mai neun Wochen lang Künstler, Architekten und Aktivisten über „urbanes Leben der Zukunft“ diskutieren sollten. Das Thinklab stand vorher in New York, auch dort gab es Proteste, von Berlin aus soll es nach Mumbai weiter ziehen.

leere Fläche in Berlin (mit Hund)

Christiane Rösinger

„Risiko gewalttätiger Übergriffe“

Aber Kreuzberg war dann doch ein bisschen zu wild: Vor zwei Wochen erklärte die New Yorker Guggenheim-Stiftung den Rückzug ihres „Labs“ aus Kreuzberg – „in Folge von Drohungen gegen das Projekt“. Man könne das „Risiko gewalttätiger Übergriffe nicht eingehen, wie sie von einer kleinen Minderheit angedroht wurden“, begründet die Stiftung ihre Flucht.

Der Bürgermeister und der Tourismusverband schlugen die Hände über dem Kopf zusammen: Ein ganz schlechtes Signal für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt sei das! Linke Chaoten als Standortrisiko, Kreuzberg als Hort der Intoleranz! So was irritiert doch die Investoren!

Die Polizei konkretisierte die Gefahrenlage: Aufgrund von Aufrufen im Internet sei mit Sachbeschädigungen, „in erster Linie Farbschmierereien“ und Steinwürfen zu rechnen, so ein Sprecher. Auch könnten Veranstaltungen „lautstark“ gestört werden. Angriffe auf Personen seien aber nicht zu erwarten.

Kreuzberger Aktivismus

Seit Wochen hatten Aktivisten aus dem Anti-Mediaspree-Umfeld gegen das „Lab“ gewettert. Das Projekt sei ohne Mitsprache der Anwohner entstanden, eine „Imageveranstaltung des BMW-Konzerns“ und über zukünftiges Leben in Berlin diskutiere man gerne ohne BMW. Auch die normalen Kreuzberger Bürger können sehr gut ohne das Think Lab leben. Kreuzberger erleben die Gentrifizierung gerade am eigenen Leibe und wollen sie nicht unter der Flagge von BMW erklärt bekommen. Der zurzeit überall sichtbare Graffiti-Spruch „Kreuzberg bleibt unhöflich“ hat sich da wieder einmal bewahrheitet.

Graffiti Tag "Kreuzberg bleibt unhöflich"

Christiane Rösinger

Imageschaden für BMW

Hätte das Lab wirklich zur weiteren Gentrifizierung Kreuzbergs beigetragen? Schwer zu sagen. Aber durch die Bockigkeit der Kreuzberger bleibt uns über den Sommer die Brache als öffentlicher Raum erhalten und der Anblick des BMW-Werbebanners erspart. BMW ist daran gescheitert ein bisschen vom Rebellen-Image Kreuzbergs für die eigene Marke abzugreifen. Im Gegenteil: Es ist jetzt schon ein Imageschaden entstanden. Aus Kunstkreisen hieß es, eine so renommierte Institution wie Guggenheim sollte bei der Wahl ihrer Sponsoren vorsichtiger sein. Und die Lab-Gegner haben die unschöneren Seiten des Automobilkonzerns ans Licht gebracht.

Die BMW-Eigentümerfamilie Quandt hat erwiesenermaßen ihr Vermögen und ihren darauf begründeten wirtschaftlichen Aufstieg in der Bundesrepublik nicht zuletzt der massenhaften Ausbeutung von Zwangsarbeitern während des Dritten Reiches sowie der sogenannten „Arisierung“ jüdischer Konkurrenten verdankt.

Außerdem beschäftigt das BMW Werk in Leipzig sehr viele Leiharbeiter, die – weil kostengünstig und unter zum Teil prekären Verhältnissen arbeitend – dem Automobilhersteller satte Extragewinne bescheren. BMW hat sich zudem mit seinem Sponsoring wenig sensibel verhalten. Andere Konzerne machen es klüger und treten dezenter auf.

Graffiti

Christiane Rösinger

Klügeres Sponsoring

Der Zigaretten-Konzern Philipp Morris unterstützte das Stipendiatenprogramm des Künstlerhauses Bethanien. „StreetUniversity“, ein Projekt für Jugendliche, das auch Musik- und Straßenkunstprojekte anbietet, wird von Daimler Benz, O2 und Microsoft unterstützt. Nur wenige Berliner Festivals werden nicht von Modelabels, Musikkonzernen oder Getränkeherstellern gesponsert. Inzwischen haben sich auch am neuen Lab-Standort Prenzlauer Berg Initiativen gebildet und ihre Abneigung gegen das Projekt formuliert.