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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

7. 4. 2012 - 19:00

Die FM4 Charts vom 7.April

„Opa kifft – sperren wir ihn ein?“ Zwei in eins: ein Kommentar und die FM4 Charts.

In Zeiten von Eurokrise, Kriegsgefahr und durchgeknallten Nobelpreisträgern tut es ganz gut, auch noch die etwas anderen Nachrichten zu hören. So wurden wir diese Woche Zeugen einer britischen Studie, die davon spricht, dass ein mehr als nur signifikanter Anstieg älterer Cannabis-Konsumenten festzustellen ist. Und obwohl schnell ein paar lustige Stimmen zur Hand waren, die eine Kausalität zur gereiften 68er-Generation konstruierten, spricht mehr dafür, dass es andere Gründe sind, die diesen Trend induzieren.

Vor allem, so ist etwa im besten aktuellen Buch zum Thema – P.M. Lingens „Drogenkrieg ohne Ausweg“ – nachzulesen, hat die Konsumkultur von Cannabis einen ziemlich weiten Weg hinter sich, bis sie aktuell fast vorbehaltlos als „Volksdroge“, ähnlich dem Alkohol, zu sehen ist.

Abgesehen vom nachweislichen, medizinischen Nutzen bei einer Vielzahl von Therapien und Anwendungsgebieten kommen jetzt eben auch Generationen ins Rentenalter, die auch schon über die alte Lady in „Grasgeflüster“ gelacht haben und erstmals verstehen, dass die Subsummierung von Cannabis unter dem Überbegriff „Drogen“ problematisch ist.

Die Zeit, wo „die Alten“ meinten, die „Haschisch-Spritzer“ gehören eingesperrt, scheint vorbei. Noch nicht ganz erkannt hat das allerdings ein Großteil der medialen Berichterstattung, so war es auch wieder einmal kein Wunder, dass in der Berichterstattung zu dieser Studie Kraut und Rüben vermischt wurden.

Es grenzt tatsächlich fast schon an vorsätzlichen Realitäts- und Relationsverlust, im gleichen Atemzug über kiffende 60+ Menschen und ein holländisches Pilotprojekt für schwerst Opiatsüchtige zu sprechen, die in einer Art „Wohnheim für Senioren-Junkies“ unter Aufsicht weiter konsumieren dürfen Wenn jemand so lange drauf ist wirkt die Vorstellung von Abstinenz eher wie ein Märchen, im Vordergrund steht ausschließlich die Schadensminimierung.

Der letzte Schritt zur Volksdroge

Ganz abgesehen davon, dass „Alter“ immer weniger aussagt, bildet nämlich dieser Trend einfach nur eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung ab. Eine Entwicklung hin zur „Volksdroge“, deren vorletzten (und überfälligen) Schritt eben die Entkriminalisierung darstellt, und deren letzter Schritt schließlich die Legalisierung ist. Teilweise scheint es fast, als dass so gut wie kein ernstzunehmender Fachmann noch behauptet, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Es scheint fast, als wären die Einzigen, die von Verbot und Kriminalisierung profitieren, die Player der globalen, organisierten Kriminalität.

Selbst bürgerlich und tendenziell pro Abstinenz orientierte Forscher, Wissenschaftler und auch Fach-Journalisten und Autoren, wie eben Lingens, bekennen sich seit einigen Jahren zu diesem scheinbar letztmöglichen Schritt, in einem „Krieg“, der verloren scheint. Denn auch in den USA versteht man zunehmend, dass Knaste voller kleiner Cannabis-Konsumenten sowohl sozial wie auch volkswirtschaftlich schädlich sind.

Fünf vernünftige Gründe

Hier auf FM4 war es vor etlichen Jahren im Bonustrack Thema „fünf vernünftige Gründe“ für die Legalisierung (mir gefällt der Ausdruck Entkriminalisierung besser) von Cannabis Produkten zu nennen – was meiner Erinnerung nach meistens scheiterte. Nun, auch wenn man so böswillig sein mag den eben genannten Kriminalitätsgrund und den gescheiterten Weg der Kriminalisierung nicht als ausreichend zu betrachten, findet man im genannten Buch weitere – so dass es kein Problem darstellt, auf fünf zu kommen:

  • Cannabis ist allen seriösen Forschungsergebnissen nach ein relativ harmloses Sucht- und Genussmittel, so gibt es in sämtlichen Langzeitstudien keine Anzeichen für die Entwicklung einer körperlichen Abhängigkeit (wie beim Alkohol oder beim Nikotin), selbst nicht bei den (zunehmend problematischen) überzüchteten Sorten.
  • Cannabis hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einem „Volks-Genussmittel“ oder von mir aus auch einer „Volksdroge“ entwickelt, der nicht mehr mit dem Strafgesetzbuch begegnet werden kann.
  • Durch die Kriminalisierung (deren negative Aspekte ja schon oben angeführt sind) entsteht ein zusätzliches Problem: Für Transport und Logistik muss viel Inhaltstoff in kleinen Volumina transportiert werden um mehr Profit zu machen, das Ergebnis sind Marihuana Sorten mit dem zig-fachen THC-Gehalt früherer Sorten.
  • Noch nie ist jemand an körperlichen Auswirkungen von Cannabis-Konsum gestorben, auch die psychischen Schäden konzentrieren sich vor allem auf die Auslösung einer Psychose, das gilt allerdings für den Konsum jeder psychoaktiven Substanz.
  • Gefängnisaufenthalte, nicht nur in den USA, werden deutlich reduziert, und niemand wird wohl behaupten, dass solche Aufenthalte psychisch „förderlich“ oder sichtlich der Drogenproblematik hilfreich wären, vor allem im Gefängnis passiert der Wechsel zu tatsächlich harten Drogen schnell.
  • Die These von der „Einstiegsdroge Cannabis“ entpuppt sich bei empirischer Analyse über die letzten Jahrzehnte und in verschiedenen Kulturkreisen als Propaganda-Märchen. Wenn es aber tatsächlich eine Gefährdung gibt, dann eben durch die Illegalität, denn dort wo der Kunde Kontakt zu einem Dealer sucht, gibt es oft auch andere Waren zu erwerben
  • Und schließlich besteht die vage Hoffnung durch eine Legalisierung von Cannabis den Tabak-Konsum ein wenig zu reduzieren, während ein reiner Tabakraucher bis zu 40 Zigaretten mit der tatsächlich sehr schädlichen Droge Nikotin konsumiert, raucht man in der Regel sehr viel weniger Joints. Da ist zwar auch Tabak und damit Nikotin drin, die Menge reduziert sich aber, da wohl niemand 40 Joints am Tag raucht – die orale Befriedigung aber die gleiche bleibt.

(Quelle: P.M. Lingens „Drogenkrieg ohne Ausweg“, K&S Verlag 2011)

Fazit

Auch wenn die Cannabis-Folklore diverser Hanf-Websites, Rasta-Shirts mit Cannabis-Motiven und generell der Versuch aus einem Genussmittel eine Lebenseinstellung zu machen natürlich lachhaft sind, scheint das Modell der weitgehenden Legalisierung nach dem Vorbild mittlerweile doch einiger europäischer Staaten am tauglichsten.

Und wenn dann erst einmal der Stammtisch und Boulevard, also die weinselige „Volksseele“, von Wissenschaft und Ratio ausgetrickst sind und Cannabis entkriminalisiert wird, dann kann und muss man natürlich auch über die anderen Substanzen nachdenken, die man seit über 30 Jahren vernichten will und die doch nur immer mehr Gewinn für Kriminelle abwerfen.

Denn eine drogenfreie Gesellschaft bleibt wohl eine Illusion.

Zu den gänzlich legalen Charts

Da landet unser Artist der Woche, das Künstler-Kollektiv von Breton mit „Interference“ erstmals auf Platz 3.

Platz 2 geht diesmal an die Österreicher Giantree mit ihrer Nummer „Life Was Young“, damit haben sie es leider nur eine Woche ganz oben ausgehalten.

Und die neue Nummer 1 kommt diese Woche von Santigold – ihre aktuelle Single „Disparate Youth“

Santigold

Santigold

Santigold

Ein schönes Osterwochenende mit vielen Gras-Nesterln und bunten Eiern drin!