Erstellt am: 7. 4. 2012 - 11:40 Uhr
„Weiße Stunde“ von Florian Scheibe
Die flirrende Hitze Siziliens, im bröckelnden Barock der Stadt Noto nimmt der Aufenthalt eines jungen Paares eine dramatische Wendung. Sie verschwindet, er, ein Schriftsteller mir Schreibblockade, verstrickt sich in Lügengeschichten auf der Suche nach seiner Wahrheit und gerät unter Mordverdacht.
Florian Scheibe (privat)
Svenja ist eine große, blond gelockte Deutsche mit einem Forschungsauftrag in Noto, Sizilien. Sie spricht perfekt Italienisch und ist wohl eine Frau, die mit jedem leicht ins Gespräch kommt. Ihr Freund, der Ich-Erzähler ist ein eher unscheinbarer Schriftsteller mit Inspirationsmangel und so gut wie keinen Italienisch-Kenntnissen. „Weiße Stunde“ beginnt als Svenja schon verschwunden ist. In Rückblenden erzählt der Ich-Erzähler was seiner Ansicht nach geschehen ist.
Mit dem Auto gondeln sie durch die karge Landschaft Siziliens und halten an einem alten Landhaus. Gemeinsam verschaffen sie sich Zutritt, aus Neugier. Svenja ist die treibende Kraft und kümmert sich nicht um Verbotsschilder. Ihr Freund zögert, was für sie nur aufs Neue ein Beweis ist, dass sie mit einem spießigen Deutschen zusammen ist. Doch er kommt mit.
„Und noch ehe ich etwas erwidern konnte, war sie verschwunden, und ich sah nur noch ihre Schulter, für eine Sekunde von einem Lichtstrahl aus dem Schwarz herausgeschält. Unzählige Male habe ich diesen Moment inzwischen vor meinem inneren Auge abgespielt, in vor und zurückgespult, angehalten und vergrößert, … denn dieses Stück Schulter war das letzte was ich von Svenja gesehen habe.“
luftschacht verlag
Er wartet im Auto auf sie. Das Gefühl, dass sie nicht mehr kommt wird immer stärker. Zur Polizei zu gehen erscheint ihm nicht der richtige Weg, da er hat keinen Ausweis dabei hat. Der Kontakt mit der Staatsgewalt ist ihm grundsätzlich unangenehm und sein Italienisch ist zu schlecht, um die Situation darzustellen. Er fährt also nach Noto in ihre gemeinsame Wohnung zurück und wartet ab. Denn wahrscheinlich – so spinnt er sich die Geschichte zusammen – will Svenja ihm nur eins auswischen und ist zurück nach Noto getrampt. Das wäre nicht das erste Mal gewesen. Trotz der Umstände, und gerade ob ihrer, fühlt sich der junge Mann erleichtert, ist quasi beflügelt von Svenjas Verschwinden und beginnt – zum ersten Mal seit Monaten – manisch an seinem Roman zu schreiben. Svenjas Freunden erzählt er von ihrer fiktiven Reise nach Palermo und verstrickt sich damit in ein immer komplexer werdendes Lügenkonstrukt.
„Je intensiver man versucht sich an was zu erinnern, das eigentlich nur als eine unscharfe Randnotiz des Bewusstseins existiert, desto weiter entfernt man sich davon.“
Der Berliner Florian Scheibe forscht in seinem spannungsgeladenen Debütroman nach allgemeiner Wahrheit und subjektiver Realität. In dicht gepackten Erzählsträngen werden die Leser in eine Welt der Wahrnehmung hineingezogen, die keinen Gesetzmäßigkeiten mehr zu folgen scheint. Florian Scheibe stellt Fragen nach der Legitimität der eigenen Wahrnehmung und dem Begriff von Schuld.
Der 1971 geborene Autor hat u.a. Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studiert, wo er heute als freier Autor und Lektor lebt.
Meine eigentliche Zeit für das Schreiben ist der Mittag, die weiße Stunde, wenn alles menschenleer und stumm in der Mittagshitze liegt.
Der Ich-Erzähler ist nach Sizilien zurückgekehrt, die Schreibblockade ist passé. Was es wirklich mit Svenjas Verschwinden auf sich hat, deckt Florian Scheibe in einem spannenden zweiten Teil auf, mit einer Wendung zum Schluss.