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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

5. 4. 2012 - 16:26

Schimmelkrater und Verwesung

Der Fotograf Klaus Pichler fängt verdorbene Nahrungsmittel, auf denen Schimmelpilze wuchern, in schaurig-schöne Fotografien ein. Warnung: Das sind keine Bilder für schwache Mägen.

"Ohne Titel - Junge KünsterInnen in Nahaufnahme" wird sich an dieser Stelle nun regelmäßig jungen Positionen heimischer Kunstschaffender widmen.

Und vor allem den Dingen, denen man sicher nicht in großen Kunsttempeln begegnet.

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Man kennt den Moment: Nach Tagen öffnet man das Gemüsefach vom Kühlschrank und da fällt einem wieder ein, dass man ja vor gut zwei Wochen eine Gurke gekauft hat. Die saftelt nun fröhlich vor sich hin und eine pelzige Schimmelschicht bäumt sich auf dem nun schleimigen Gemüse auf. Auch das Vollkornbrot in der hintersten Ecke der Brotdose ist überzogen von weißen und grünen Schimmelkratern. Und die Zwiebeln unter der Abwasch haben sich in eine stinkende braune Brühe verwandelt.

Jedes Jahr wirft der Durchschnittsösterreicher rund 40 Kilo Lebensmittel in den Müll. Aus hochwertigen Nahrungsmitteln wird ekelhafter Abfall. Niemand außer der Müllverbrennungsanlage würde ernsthaft auf die Idee kommen, sich weiter mit den verwesenden Speisen auseinanderzusetzen.

Niemand außer dem Wiener Fotografen Klaus Pichler: Er hat in einem Selbstexperiment Lebensmittel in seinen vier Wänden absichtlich vergammeln lassen und die Ergebnisse vor der Kamera aufwendig in Szene gesetzt.

"One Third - A Project on Food Waste" nennt sich die Arbeit, die sich aus über 50 Fotografien zusammensetzt. Man erahnt es am Titel: Es handelt sich um eine Arbeit mit konsumkritischen Hintergrund.

Rice

Klaus Pichler

Der Fotograf Klaus Pichler, Wien im April 2011

Daniel Eberharter

Der Herr über die Schimmelpilze: Der Fotograf Klaus Pichler

Klaus Pichler lebt und arbeitet in Wien. Nachts schleicht er manchmal durchs Naturhistorische Museum um die toten, präparierte Tiere in ein neues Licht zu rücken. Oder er trifft sich jahrelang mit zwielichtigen Knastbrüdern, um sie und ihre selbst gestochenen Tattoos abzulichten. Klaus Pichler ist ein Suchender, der nicht nur an hübschen Oberflächen interessiert ist, sondern danach Ausschau hält, was dem Auge oft verborgen bleibt. Nicht selten nehmen seine Projekte Monate oder Jahre seiner Zeit in Anspruch und bringen ihn an seine körperlichen Grenzen, wie die aktuelle Fotoserie.

Neun Monate lang hat Klaus Pichler in seiner Wohnung Lebensmittel gehortet. Rohe Hühner, einen ganzen Oktopus, gekochte Nudeln, Brot, bunte Eiscreme, Eier. Das alles hat er vor sich hin faulen lassen - an dem Ort wo er sonst arbeitet, lebt, schläft. Am Höhepunkt des Verrottens und Verderbens hat er seine Kamera auf die Lebensmittel gehalten und das Grausen auf Bild gebannt. Aber so verführerisch wie ein Vanitas-Stilleben, so aufwendig inszeniert, wie auch die Werbefotografie die "Wegwerfware Lebensmittel" in Szene rückt. Ein Fotoprojekt, das zum Reflektieren über das eigene Konsumverhalten animieren soll, wie er im Interview erzählt:

Klaus, wie kommt man wie du auf die Idee, monatelang Lebensmittel in seiner Wohnung verrotten zu lassen, so wie du für dein aktuelles Fotoprojekt?

In meinem Projekt geht es um Lebensmittelverschwendung. Die Basis dafür war eine Studie der UNO vom März 2011 die besagt, dass 1/3 der Lebensmittel auf der Welt verschwendet und weggeworfen werden. Gleichzeitig hungern weltweit 925 Millionen Menschen. Diese Studie hat mich geschockt und zum Nachdenken gebracht. Deswegen habe ich dieses künstlerische Projekt gestartet. In den meisten Beiträgen die ich gelesen und gesehen habe, waren vor allem diese "Massenszenen", riesige Brotberge die verrotten, sehr präsent. Mir hat da immer der Bezug zum einzelnen Menschen gefehlt, der Kontakt zum Privathaushalt und eigenem Konsumverhalten. Deshalb habe ich den Fokus auf Haushaltsmengen und einzelne Nahrungsmittel gelegt.

Und wie hast du dein Projekt gestartet? Du bist ja einfach in den Supermarkt gegangen um dir Lebensmittel zu kaufen, die anschließend vergammeln sollten. Kannst du dich noch an deinen "ersten Einkauf" erinnern? Was ging da in dir vor?

Das war seltsam. Ich hatte das Gefühl, ich gehe nun ganz "schizophren" einkaufen. Das eine, das ich essen mag und das andere, das ich absichtlich für die Fotografien verderben lasse. Ich habe die Lebensmittel absichtlich nicht gedumpstert oder zufällig verdorbene Lebensmittel verwendet. Es ging darum, den Verfall aktiv zu begleiten, auch wenn das natürlich ein provokanter Akt ist. Im Laufe der Zeit habe ich dann begonnen, zwei Mal einkaufen zu gehen. Einmal für mich selber und einmal für das Projekt. Ich habe gemerkt, dass sich diese beiden Blicke, die ich im Supermarkt auf die Lebensmittel bekommen habe, nicht vertragen.

Im Projekt sind auch Lebensmittel zu sehen, die von ganz weit herkommen, die vollkommen absurd industriell hergestellt worden sind. Die würde ich mir selber nie kaufen. Zwiebeln aus Neuseeland, Kirschen aus Chile, Lebensmittel mit absurden Transportwegen. Oder Luxusprodukte wie Babykarotten aus Tansania aus einem Feinkostgeschäft. Und von denen haben 125 Gramm 7, 99 Euro gekostet. Das sind, finde ich, ganz absurde Auswüchse der Konsumgesellschaft.

Hier geht's zur Website von Klaus Pichler.

Klaus Pichler porträitiert auch immer wieder MusikerInnen und Bands, manchmal auch Staub der am Boden liegt und viele seiner Fotografien zieren auch die Geschichten in vielen Magazinen, z.B. im äußerst lesenswerten Magazin Rokko's Adventures findet.

Es war mir wichtig die ganze Bandbreite an Lebensmitteln im Projekt drinnen zu haben. Angefangen von Grundnahrungsmitteln, Obst und Gemüse, dann auch hochspezialisierte "Lifestyle-Lebensmittel", wie indische Süßigkeiten, die man zunehmend in unseren Supermärkten bekommt, weil diese Ethnofood-Welle auch bei uns immer mehr einschlägt.

Was war das für ein Blick, den du dann auf die Lebensmittel hattest? Dinge kaufen, nur um sie verderben zu lassen ist ja auch ein spannendes Unterfangen, weil man gar nicht weiß, wie sich die Lebensmittel entwickeln...

Ich habe mit der Zeit einen Blick dafür entwickelt, wie was verrottet. Dann habe ich schon gewusst, diese Erdbeeren sind aus bestimmten Gründen spannend.

Einfach war das Einkaufen und Lebensmittel verderben lassen übrigens nicht. Zum Beispiel wenn ich teure, leckere Kekse gekauft habe, von denen ich wusste, dass ich mir keines gönnen werde, weil sie fürs Projekt sind. Aber meistens konnte ich die Lebensmittel, die gerade am Verderben waren zu dieser Zeit eh nicht essen, da verging mir die Lust drauf. Es hat nach dem Projekt etwa sehr lange gedauert, bis ich wieder Eier essen konnte.

Das besondere an deinem Projekt ist ja, dass du nicht irgendein Labor aufgesucht hast oder dir extra ein Atelier für die Arbeit gemietet hast, sondern dass du die ganzen Lebensmittel bei dir zu Hause verrotten lassen hast. Ganz nahe an dir dran, wo du isst, arbeitest, schläfst, lebst. Wieso hast du dich deinem Experiment absichtlich so direkt ausgesetzt?

Ich habe mich vorher zum Glück mit ExpertInnen von der Boku vernetzt, die mich über die gesundheitlichen Risiken von Schimmel und Verwesung aufgeklärt haben. Aber mir war es wichtig, dass ich mit dem Schimmel ko-existiere. Nur so konnte ich den Prozess des Verrottens wirklich nachvollziehbar machen.

Die Schimmelzucht habe ich auf meinem Klo in Plastikcontainern gehortet, unter normalen Bedingungen, bei normaler Zimmertemperatur, mit etwas erhöhter Luftfeuchtigkeit. Das war immer wieder faszinierend, wenn ich davor gestanden bin und den Prozess beobachten konnte. Man entwickelt mit der Zeit ein Gefühl dafür, wie lange es noch dauert bis der Schimmel sein maximales Wachstum erreicht hat und bis das Ganze fotogen genug ist. Oder wann der Punkt erreicht ist, wo das Lebensmittel nicht mehr identifizierbar ist. Das ganze war wie ein Chemiebaukasten für erwachsene Kinder.

Jetzt hast du dich zwar mit Experten abgesprochen, aber trotzdem bleibt da doch ein "Restrisiko" über, oder? Hattest du nicht auch ein wenig Angst vor unkontrollierbaren Situationen oder davor, krank zu werden?

Doch doch, natürlich! Ich habe schon großen Respekt vor Schimmel. Ich hab' während der Zeit auch meine Wohnung viel öfter geputzt. Das war schon ständig in mir präsent. So ein ungutes Gefühl, so ein "was züchte ich mir da eigentlich heran am Klo?". Das ist nie ganz weg gegangen.

Es gibt zum Beispiel ein Foto von einem Huhn, das im Verwesungsprozess schon weit fortgeschritten war. Und da habe ich gewusst, wenn ich irgendwie in Kontakt mit den Salmonellen komme, dann wars das für mehrere Wochen mit der Gesundheit. Ein ungutes Gefühl war immer dabei. Aber eben auch Faszination. Wenn neue Schimmelpilze entstanden sind. Flauschige, oder ganz grüne, gelbe oder rosarote Schimmelpilze. Auch sehr schön waren die Zitronen! Die sind gelb und der Schimmel hat genau die Komplementärfarbe, also blaugrün. Und dann gab es auch Überraschungen, wie eine Tiefkühl-Geburtstagstorte: Da hat der Verderb-Prozess sechs Wochen gedauert. Am Anfang hat sich gar nicht viel getan, weil die Konservierungsmittel im Teig die Torte vor der Verwesung bewahrt haben. Und dann ging es radikal schnell.

Innerhalb einer Woche war der Schimmel da, die Torte wurde ranzig und war dann quasi "verschwunden". Die war am Ende nur mehr 1cm hoch.

...was vielleicht auch erklärt, wieso solche Sachen nie satt machen. Nichts drinnen außer Luft und Chemie. Lebensmittel die vor sich hin rotten riechen aber auch bestialisch. Gerade ein Huhn oder ein Oktopus. Wie hast du das ausgehalten?

Ja, absolut. Ich habe mich bemüht, dass ich diesen Ekel ausschalte. Aber bei den Fleischteilen und Milchprodukten war es wirklich schlimm. Vor allem das Huhn war richtig schlimm und das hat mich sogar in der Früh richtig "aufgeweckt". Ich hab' es dann nicht mehr ausgehalten und musste es schnell fotografieren. Ich habe mich dann auch beim fotografieren verhüllt, mit Mund- und Augenschutz und Ganzkörperanzug.

Was bei denen Fotos auffällt ist eben der starke Gegensatz zwischen dem als "ekelhaft" besetzten Schimmel und der sehr ansprechenden Ästhetik, in der du deine verwesenden Objekte inszeniert hast. Wie kam es dazu?

Wenn man sich so umschaut in diversen Blogs und Magazinen im Lifestylesegment, dann sieht man dass das "drumherum", die Inszenierung für das Essen immer wichtiger wird. Ganz teures Porzellan wird verwendet, die Esskultur wird mitverkauft. Aber parallel dazu sinkt die Wertschätzung für die Nahrungsmittel selbst. Deshalb wollte ich das Lebensmittel als Luxusprodukt präsentieren. Damit diese Diskrepanz spürbar wird. Und natürlich habe ich auch mit allen Tricks der Werbefotografie gearbeitet, um das verdorbene Essen ansprechend zu inszenieren und den Widerspruch sichtbar zu machen.

Wie reagieren die Menschen bis jetzt auf dein Projekt? Du triffst ja einen Nerv, denn Lebensmittel verrotten zu lassen, das war bis vor ein paar Jahren ja noch ein absolutes "No Go". Man denke nur an die Oma, die vom schimmeligen Kompott noch den Schimmel abgekratzt hat...

Merkwürdigerweise habe ich das Gefühl, dass es so eine Art "Protest" dagegen nicht gibt. Vielleicht, weil es jedem bewusst ist, dass uns genau dieser "Ansatz von der Oma" verloren gegangen ist. Lebensmittel sind ständig verfügbar, es gibt saisonale Produkte das ganze Jahr über zu Dumping-Preisen zu kaufen. Ich habe den Eindruck, die Leute fühlen sich "erwischt" und sind sich sehr wohl bewusst, dass da einiges im Argen liegt.

Ist es ein Ziel von dir und deinem Projekt, dass Menschen in Zukunft bewusster mit Lebensmitteln umgehen? Einen Denkanstoß zu geben?

Das ist auf jeden Fall ein Ziel. Und ich glaube auch, dass die Bewusstseinsbildung für solche Problematiken im Moment sehr stark ist. Die Nahrungmittelverschwendung ist ein Thema, das immer breiter diskutiert wird. Und auch die Nahrungsmittelindustrie selbst. Dass in südlichen Anbaugebieten wie Almería unsere Lebensmittel produziert werden und das unter grauenhaften ökologischen und humanitären Bedingungen: Die Ursachen für die Nahrungsmittelverschwendung und das eigentliche Problem sind ja viel größer. Aber man kann auch im Kleinen sehr viel bewirken, weil es letztlich um das eigene Konsumverhalten geht, für das man selber verantwortlich ist.

Wo kommt was alles her? Kann ich das alles überhaupt aufessen? Muss ich das wirklich kaufen? Will ich diese Nahrungsmittelpolitik unterstützen? Es gibt viele Organisationen und NGOs, die genau in diesem Bereich aktiv sind. Wenn man weiß was los ist, ist es bis zum Aktiv werden kein weiter Weg mehr.