Erstellt am: 9. 4. 2012 - 12:41 Uhr
Schaukeln und Schmuggeln
„Ich glaubte und glaube immer noch, dass Gewalt keine Nationalität kennt. Auch keine Grenzen. Dass sie überall gleich vernichtend und überall die größte menschliche Tragödie ist“, schreibt die 1979 geborene Tamta Melaschwili im Nachwort zu ihrem Debütroman „Abzählen“.
Agentur Rachel Gratzfeld
Es ist eine Aussage, fast ein Gemeinplatz, dem man nur zustimmen kann, der aber nicht notwendigerweise ein Gefühl auslöst. Doch diese Überzeugung gerinnt in Tamta Melaschwilis Text zum Leben, zu einer universellen Parabel auf den alltäglichen Schrecken des Krieges, auf ein Leid, das sich in Georgien genauso wie im Kongo und in Guatemala abspielen kann. Dass Melaschwili dabei auch noch witzig ist, kann man ihr gar nicht hoch genug anrechnen.
„Abzählen“ ist ein schmales Büchlein über zwei Dreizehnjährige, die um die zerbombten Häuser ziehen, spielen, träumen, erwachsen werden. Ketewan wird von allen nur Zknapa oder Zknapi genannt. Sie ist klein und dünn, und daher nennt man sie zärtlich Knirps, und als solcher kann sie durch eine schmale Luke in ein verlassenes Haus kriechen, in dem sich angeblich Babynahrung befindet. Denn die Milch ihrer Mutter ist versiegt und der kleine Bruder am Sterben. Ihre Freundin Ninzo hat den Plan ausgeheckt.
Laut schreien, dann werden sie nicht auf uns schießen
"Abzählen" von Tamta Melaschwili ist in der
Übersetzung von Natia Mikeladse-Bachsoliani im
Unionsverlag erschienen
Sagt Ninzo: Ich bin dann ganz in deiner Nähe und warte, dass du rauskommst. Sie könnten auf uns schießen, verstehst du? Wir müssen laut schreien, dass wir Kinder sind. Dann werden sie nicht auf uns schießen. Kapierst du?
Sag ich: Woher weißt du, dass sie nicht auf uns schießen? Es ist Krieg.
Sagt Ninzo: Sie werden nicht schießen, glaub mir.
Sag ich: Gib mir mal ne Zigarette.
Wozu? Du musst bloß wieder kotzen, lass das lieber.
Sag ich: Und wenn sie doch schießen? Weißt du noch, der Mann in der Schlucht?
Ninzo schreit laut: Komm mir nicht wieder mit dem Kopf und dem Gehirn von dieser Leiche, ich muss gleich kotzen!
Unionsverlag
In „Abzählen“ ist allen ständig schlecht. Vor Hunger, wegen der Leiche in der Schlucht, vom Schaukeln und aus Angst vor den Soldaten, an denen Zknapi und ihre Freundin Ninzo irgendeinen Stoff vorbeischmuggeln sollen. Für eine Stange Zigaretten. Und weil es Zknapis Freundin Ninzo irgendwie auch gefällt, wie ihre die Soldaten auf den großen Busen starren.
Den Widrigkeiten mit Humor trotzen
Frauen und Kinder sind die wahren Leidtragenden in einem Krieg, heißt es immer. Tamta Melaschwili macht dieses Gräuel körperlich erfahrbar. Es mag an ihrem charakteristischen Schreibstil liegen, an einer Sprache, die genauso derb wie zärtlich ist, an einer Haltung, aus der sie ihre Sätze abfeuert wie Gewehrsalven. Vor allem aber am verspielten Humor, mit dem Zknapi und Ninzo den Widrigkeiten ihres Jungmädchenlebens trotzen. Und so ist eines sicher: mit 13 ist nichts so ernst, dass es nicht auch noch lustig sein könnte.