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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

3. 4. 2012 - 15:14

Das Beste, was wir immer tun können, ist Tanzen

Felix Denk und Sven von Thülen collagieren in ihrem Buch "Der Klang der Familie - Berlin, Techno und die Wende" gut 150 Interviews zu einer Geschichte von Rave in der deutschen Hauptstadt.

Es geht also um die Abbildung eines Gemeinschaftsgefühls, mitunter auch um die Selbstvorgaukelung eines solchen, um die Energie eine Bewegung, die in Wirklichkeit natürlich viele Bewegungen war. "Familie", das heißt eben auch Streiten und Sich-Auf-Die-Nerven-Gehen. "Der Klang der Familie", das war zunächst ein 1992 gemeinsam von Loveparade-Mitbegründer Dr. Motte und dem Produzenten 3Phase gebauter Techno-Überhit, DAS deutsche Rave-Anthem zur Zeit, das selbst den englischen Markt zu knacken in der Lage war und Techno-Gründervater Derrick May bei einem Deutschland-Besuch dazu verleitete, eine 12" des Tracks mitgehen zu lassen, das Stück zuhause in Detroit schlicht vom Vinyl weg zu rippen und ungefragt auf seinem eigenen Label neu zu veröffentlichen. Ohne einen Gedanken an Tantiemen zu verlieren natürlich.

Das ist eine der vielen Anekdoten, die die Autoren Felix Denk und Sven von Thülen - beide vor allem als Journalisten im Umfeld der De:Bug, Letzterer auch als Produzent, bekannt - für ihr Buch "Der Klang der Familie - Berlin, Techno und die Wende" zusammengetragen haben. Eine Geschichte, die - wie so oft - im Rückspiegel betrachtet ein gewisses Amüsement mit sich führt, zur Zeitpunkt des Geschehens jedoch einiges an Bitterkeit bewirkte. Dr. Motte und 3Phase zerkrachten sich schnell über der Autorenschaft des Tracks, über Starkult, gekränkter Eitelkeit und letztlich: Geld. Das leicht überzogen zur Schau gestellte Getue von "Familie" fanden auch damals schon nicht wenige ein bisschen peinlich: "Ich mochte den Track, aber dieses ganze Familiengelaber fand ich saubescheuert. Wenn es hieß, komm wir fahren alle nach Hamburg, machen ein Familientreffen, hatte ich schon keinen Bock mehr. Ich wäre ja gerne mitgefahren, aber nicht unter dem Namen. Vorher hat man dieses Familiending auch nicht groß erwähnt, da waren wir einfach eine." sagt Uwe Reineke, "Raver, zweiter Mitarbeiter der Dance-Abteilung des EFA-Vertriebs, arbeitet heute als Event-Manager" , wie das Personen-Register im Anhang des Buches verrät.

Felix Denk und Sven von Thülen

Willem Thomson/Suhrkamp

Die Autoren Felix Denk und Sven von Thülen

Gut 150 Interviews haben Denk und von Thülen geführt und die Ergebnisse zu eine Oral History des Ravens in Deutschland verschnitten. Türsteher, Barfrauen, Szenegänger und Partypeople kommen zu Wort. "Der Klang der Familie" beginnt im Berlin der frühen 80er-Jahre. Das Nachtleben wird von hängengebliebenen Punks, Goths, Post-Punks und abgefuckten Künstler-Persönlichkeiten vom Typus Blixa Bargeld oder Nick Cave dominiert. Kati Schwind, Loveparade-Organisatorin, erste Angestellte der Dance-Abteilung des EFA-Vertriebs, Radio-Redakteurin und Quartiersmanagerin in Detmold: "Alles in Westberlin war von vorne bis hinten subventioniert. Bis Ende der 70er gab es sogar ein Begrüßungsgeld für alle, die zuzogen, weil die Stadt so überaltert war. Diese Rundumversorgung hat deutlich auf die Bewohner abgefärbt. Die Lebenshaltungskosten waren gering, und die Sorgen, wie man die nächste Miete zusammmenkratzen kann, hielten sich sehr in Grenzen. So hatte man viel Zeit seine Macken und Schrullen auszuleben."

Die hier angewandte Technik der Interview-Collage hat sich vor allem erfolgreich in "Please Kill Me", Legs McNeils und Gillian McCains Geschichte des Punk, und Jürgen Teipels modernem Klassiker "Verschwende Deine Jugend" über deutschen Postpunk und New Wave an dem Rändern der Neuen Deutschen Welle bewährt. Man fragt sich, warum sie nicht wesentlich öfter Verwendung findet, bildet sie doch ein vielstimmiges, subjetkives Panorama ab, das in seinen sich aus den unterschiedlichen Erzählern zwangsläufig ergebenden Widersprüchlickeiten der Wahrheit vermutlich genauer auf die Schliche kommt, als der vermeintlich amtlich verbriefte geschichtliche Abriss einer einzelnen Autoren-Autorität. "Der Klang der Familie" handelt so auch vom guten, alten Aufbruch, und wie ihn unterschiedliche Menschen unterschiedlich erlebt haben und unterschiedlich vorantreiben wollten. Musiker, frühe Schallplattenunterhalter, Clubbetreiberinnen und Produzenten erzählen davon, wie sich langsam ein Interesse für diese merkwürdige, repetitive, elektronische Tanzmusik namens Techno entwickelte:

Klang der Familie

Suhrkamp

"Der Klang der Familie -Berlin, Techno und die Wende" von Felix Denk und Sven von Thülen ist im Suhrkamp Verlag erschienen

"Damals gab es es keine Platten, auf denen ewig ein Beat lief. Deshalb nahm man zweimal die gleiche Platte und verlängerte den kurzen Teil, in dem nur der Beat lief, in dem man nur hin und her cuttete. Im HipHop wurde das gemacht, um darüber zu rappen. Aber ich wollte das, um einen neuen minimalistischen Dance-Style zu schaffen. Das war damals das, was der späteren Techno-Kultur am nächsten kam. Das lief natürlich nicht die ganze Nacht. Das waren Facetten. Mal kam "I Feel Love", dann gab's wieder so eine Mix-Nummer mit zweimal der gleichen Platte. Natürlich war das noch nicht Techno, aber die Ansätze waren da. Diese Idee - eigentlich brauche ich nur einen Beat, ein Strobo und Leute, die schreien - konnte man schon in einigen Momenten hören."
sagt Westbam, wohl einer der ersten "richtigen" DJs Deutschlands - und einer der wenigen, die sich in finanzieller und was den Promi-Status anbelangt in die Gegewart hinüberretten konnten. Viele sind auf der Strecke geblieben. In "Der Klang der Familie" erfahren wir von Menschen wie Dr. Motte, Marusha, Tanith, Alec Empire und vielen, vielen anderen, die die Geschichte vergessen hat, wie Techno vom rebellischen - da und dort dann doch durchaus politisch motivierten - Movement in den mittleren 90ern zur Massenkultur wurde. Hinter dem Regenbogen.

Aus dem Betonbunker hinauf zur millionenschweren Loveparade, Underground Resistance und Titelstorys in der Bravo. Euphorie, Kommerzalisierung, Drogen, Aids und Tod. "Der Klang der Familie" ist ein Buch, das, ja, die Kraft der Musik und den Glauben an ein Zusammengehörigkeitsgefühl unnachgiebig feiert, humorvoll, detailreich, aufrührend, dabei aber Ernüchterung, Enttäuschung, Intimgifteleien und den Kater Jahre danach ständig überdeutlich mitformuliert. "Imagemäßig war die Loveparade das Beste, was Berlin nach dem Krieg passiert ist." sagt Werner Vollert, Betreiber des Bunkers, "Deshalb habe ich nie verstanden, wie die Stadt Berlin so eine Veranstaltung ziehen lassen konnte. Wenn André Heller zur Berliner 750-Jahr-Feier ein Feuerwerk veranstaltet. ist es ja auch selbstverständlich, dass die Stadt den Müll nachher wegräumt."