Erstellt am: 1. 4. 2012 - 13:07 Uhr
Generation Arsch
Jugendromane gibt es wie Sand am Meer. Die meisten kommen allerdings nicht einmal in die Nähe davon, ein zeitgenössisches Bild davon zu liefern, wie es sich als Jugendlicher heute lebt. Das Problem hat Ben Brooks nicht: der britische Autor ist nämlich gerade einmal neunzehn Jahre alt und seine Geschichten demnach am eigenen Leben und Leiden geschult. Vier Romane hat das Wunderkind bereits veröffentlicht. Mit „Nachts werden wir erwachsen“ ist jetzt der erste Brooks in deutscher Übersetzung erschienen.
„Jasper“, sagt er, „was für eine Generation sind wir?“
Ich zucke mit den Achseln.
„Ich weiß nicht. Z, schätze ich.“
„Nein, eher Y“, sagt Ping.
„Ich dachte, WIR seien Generation X.“
„Nein, du Spast“, sage ich. „Generation X, das waren Van Halen und der ganze Scheiß.“
„Ich finde, wir sollten Generation Arsch sein.“
Berlin Verlag
Auf den ersten Seiten dieses Romans kommt Nostalgie auf. Man erinnert sich an die Slacker der Neunziger-Jahre: sie haben sich treiben lassen, haben sich aus der Leistungsgesellschaft ausgeklinkt. Liest man weiter in Ben Brooks‘ „Nachts werden wir erwachsen“ droht die Ernüchterung. Jasper und seine Freunde sind nicht weltabgewandt, sondern betäubt. Mephedron und Marihuana bestimmen den Takt ihres Lebens.
Ideologien, Ideale, Moralvorstellungen, all das gehört der analogen Vergangenheit an. Auch Jaspers Gefühle nimmt man wie durch Dämmstoff wahr: der 17-jährige Junge aus einer Londoner Vorstadt vermisst seinen Vater. Den neuen Freund seiner Mutter hält er für einen Mörder. Seiner Therapeutin erzählt er, er sei schwul. Mit seiner besten Freundin Tenaya trinkt er Tee. Ab und an hat er Sex.
"Nachts werden wir erwachsen"
von Ben Brooks ist im Berlin Verlag erschienen. Übersetzt aus dem Englischen von Jörg Albrecht
Du bist meine Prinzessin. Ich bin dein Wolf. Wir sind auf dem Badezimmerboden. Lass uns durch Felder aus Fleisch laufen. Was? Oh, kein Problem. Ich bin der Wolf, ich kann damit umgehen, ein bisschen Blut zu tragen. Lass uns ins Bett gehen. Ins Elternbett. Super Super KingQueenSize. Ja, das ist Samt unter uns. Vereinigung. Duett. Die Flöte und das Waldhorn. Deine Schenkel sind Wasserrutschen. Ein haariger Vergnügungspark. Ich bin in deiner Nackenwölbung. Sonnenschein. Wir sind am Leben. Hallo, Abby Hall.
Abby Hall heißt das dickliche Mädchen, mit dem Jasper im Ketamin-Rausch schläft. Das erinnert nicht zufällig an Woody Allens Film „Annie Hall“. Wie der New Yorker Neurotiker hat auch der junge Ben Brooks ein gutes Gespür für Dialogflüsse und die kleinen, wertvollen Momente dazwischen. „Nachts werden wir erwachsen“ ist kein erzählender, sondern ein beschreibender und darin durchaus befreiender Roman. Keine Wertung, keine Psychologisierung verstellt den Blick: Brooks ist ein angstfreier Autor. Facebook- und Twitter-Jargons stehen neben Partygesprächen, surrealistischen Drogen-Kapiteln und inneren Monologen.
Ein Pickel sitzt in meiner linken Augenbraue. Er schmiegt sich an die Haare wie ein kleines Kind, das sich im Wald versteckt. Ich drücke den Eiter aus und trage die Trophäe in mein Zimmer, auf der Spitze meines rechten Zeigefingers. Ich schmiere ihn auf den kleinen, sternförmigen Spiegel in meinem Zimmer. Wann immer es ging, habe ich solche Trophäen auf diesem Spiegel ausgestellt, seit ich fünfzehn war. In langen schmierigen Streifen fliegen sie auseinander, wie ein langweiliges Feuerwerk, das sich in einem metallenen See spiegelt. Ein Stück zeitgenössischer Kunst.
Es wird welche geben, die Ben Brooks Zynismus vorwerfen, die wieder einmal an der scheinbaren Leere dieser scheinlosen Generation verzweifeln. Aber man muss nur genau hinsehen, zwischen den Zeilen lesen: „Nachts werden wir erwachsen“ ist kein Roman der Resignation, sondern ein Buch voller Hoffnung. Für die Generation Arsch.