Erstellt am: 29. 3. 2012 - 16:22 Uhr
Forum Hochschule
Seit Jahren prangern Studierendenvertreter und Professoren Missstände im Hochschulwesen an. Kritisiert werden vor allem überfüllte Hörsäle, schlechte Betreuungsverhältnisse und die chronische Unterfinanzierung der Unis. Aufgerüttelt durch die Studierendenproteste in den Jahren 2009 und 2010 wurde schließlich auch das Wissenschaftsministerium aktiv: Seit damals gibt es die Idee eines „Hochschulplans“. An dem haben Experten während der Amtszeiten der Minister/innen Hahn, Karl und Töchterle gearbeitet. Dabei ignorierte das Ministerium das Expertenwissen an den Hochschulen und arbeitete ohne Studierende und Lehrende – „im stillen Kämmerlein“, wie die Österreichische Hochschülerschaft resümiert. Deshalb beschloss die ÖH im Herbst 2011, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Seitdem wurde in fünf Arbeitsgruppen an einem alternativen Hochschulplan gearbeitet. Dieser ist jetzt fertig und mit 168 Seiten sehr umfangreich.
- Infos zum "Forum Hochschule" auf der Website der ÖH
- fm4.orf.at/unipolitik
Die fünf Arbeitsgruppen des „Forums Hochschule“ haben ihren Hochschulplan mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitet. Herausgekommen ist eine präzise Analyse des Hochschulwesens, aufgegliedert in fünf Themen: Hochschulorganisation und Governance, Wissenschaft und Forschung, Lehre, Soziale Situation der Studierenden und Finanzierung der Hochschulen. Zu jedem der fünf Kapitel gibt es einen Forderungskatalog.
So fordern die Autoren hinsichtlich der Organisation der Hochschulen eine Zusammenführung der verschiedenen Hochschulsektoren in einen einzigen. Die derzeitige Aufteilung in private Universitäten, öffentliche Universitäten, Fachhochschulen, öffentliche pädagogische Hochschulen und private pädagogische Hochschulen sei nicht zu argumentieren. Sie erschwere den Wechsel von Studientypen und schränke Studierende, Lehrende und Forschende in ihren Möglichkeiten ein. Die unterschiedlichen Stärken der drei Hochschultypen seien die aktuelle Forschung, die Zugänglichkeit für Menschen aus bildungsfernen Schichten und der Praxisbezug – sie sollten in einem gemeinsamen neuen Sektor gebündelt werden. Nadine Hauptfeld von der ÖH: „Es gibt keine sachliche Rechtfertigung, warum die Hochschulen so getrennt sein sollten.“ Im neu gebildeten gemeinsamen Sektor müsse weiterhin die ganze Breite und Vielfalt an Studienangeboten enthalten sein. Das darin entstehende „Spannungsfeld zwischen klarer Anleitung und individueller Freiheit“ solle die Kernkompetenz der neuen Hochschule werden.
In weiteren Unterkapiteln des Kapitels „Organisation und Governance“ beschäftigt sich die ÖH mit der Autonomie der Hochschulen, die nur dann wirklich gewährleistet sei, wenn die Hochschulen mit demokratisch und gleichberechtigt besetzten Gremien ausgestattet würden. Zur Autonomie gehört für die Autoren auch die finanzielle Unabhängigkeit der Hochschulen: Dazu müsse man sie aus der Position als Bittstellerinnen gegenüber dem Wissenschaftsministerium befreien. Ein ausgebautes Klagerecht der Hochschulen gegenüber dem Bund wird gefordert, ebenso wie eine Neudefinition von Rechten und Pflichten.
Im Bereich „Wissenschaft und Forschung“ fordert die ÖH, dass sich junge Wissenschafter schon während der Promotion weiterentwickeln können – über standardisierte Qualifizierungsschritte. Viele ForscherInnen stünden – besonders in jungen Jahren – in einem prekären Anstellungsverhältnis ohne langfristige Perspektive.
Weniger frontale Vorlesungen
Hinsichtlich der Lehre sieht die ÖH „großen Handlungsbedarf“ und fordert einen Paradigmenwechsel - hin zu „studierendenzentrierter Lehre und Didaktik“: Frontale Vorlesungen, so Iris Schwarzenbacher, sollen reduziert werden: „Nicht mit 300 Hörerinnen und Hörern, wo die Studierenden sehr passive Wissensempfängerinnen und –empfänger sind. Sondern Studierende sollen aktive Akteurinnen und Akteuren in der Lehre sein und wirklich im Mittelpunkt der Lehre stehen.“
APA
Der Lehre müsse auch finanziell ein höherer Stellenwert eingeräumt werden: Qualitativ hochwertige Lehre könne es nur geben, wenn die finanzielle Absicherung der Lehrenden besser als derzeit gewährleistet sei. Lehrende sollen aber auch zu regelmäßiger Weiterbildung verpflichtet werden. Und anstatt der jetzigen Knockout-Prüfungen der StEOP solle es eine echte Orientierungsphase geben, in der Studierende die Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens kennenlernen.
Grundstipendium
Hinsichtlich der sozialen Absicherung Studierender fordern die Autoren die Einführung eines Grundstipendiums. Anspruchsregelungen und Höhen der Beihilfen sollen flexibel gestaltet sein. Christian Rechberger: „Wir haben da nicht vom Schlaraffenland geträumt. Sondern es geht darum, ein Beihilfensystem auf die Beine zu stellen, das Studierende ungeachtet des Alters und ungeachtet des familiären Backgrounds in einer Höhe absichert, die schlicht und einfach Armut vermeidet.“ Gefordert wird auch die Einführung des Status „TeilzeitstudierendeR“, sowie der Ausbau von Sachleistungen in den Bereichen Wohnheime, Ernährung, Studienmaterialien oder Kinderbetreuungseinrichtungen.
Auch zur Finanzierung der Hochschulen gibt es im alternativen Hochschulplan der ÖH ein umfangreiches Kapitel: Die Autoren fordern eine Erhöhung der Mittel auf 3% des Gesamtbudgets. Interessant an diesem Kapitel ist vor allem der Weg, der zu der wenig überraschenden Forderung nach mehr Geld geführt hat. Auf 35 Seiten erarbeiten die Autoren komplexe Formeln, die der Errechnung des Finanzbedarfs der Hochschulen dienen.
ÖH
ÖH
Die Methodik wurde anhand von Daten der WU Wien und mit Unterstützung von MitarbeiterInnen des IHS entwickelt. Die dann angeführten Berechnungen beruhen allerdings auf vielen Schätzwerten und Annahmen, die infolge von fehlenden Daten getroffen werden mussten. Der tatsächliche zusätzliche Finanzbedarf der Hochschulen wird vielleicht später mit den entsprechenden Daten errechnet werden - aber schon die Simulation zeigt, wie mit Hilfe des mathematischen Modells der ÖH die Berechnung in Zukunft funktionieren könnte.
ÖH
Das mit 168 Seiten sehr umfangreiche Papier des „Forum Hochschule“ zählt zu den bisherigen Höhepunkten der Arbeit der Österreichischen Hochschülerschaft. Das würdigte gestern auch Heinrich Schmidinger, Präsident der Universitätenkonferenz. Als einer der Schöpfer des derzeit gültigen und oft kritisieren UG2002 zählt Schmidinger eigentlich zum politischen Gegenpol des "Forum Hochschule". In seiner Rede anlässlich der gestrigen Präsentation zeigt er sich aber interessiert am Diskussionsprozess.
Er sähe Gutes und Schlechtes an dem detaillierten Konzept. So hält er etwa das Finanzmodell der ÖH mit seinen Formeln für gut erarbeitet, die tatsächliche Finanzierung der Unis in dieser Höhe aber für unrealistisch. Und bevor man das UG2002 kippt, solle man es richtig umsetzen: „Ich glaube, die Güte eines Gesetzes hängt davon ab, wie es gelebt wird. Ich würde empfehlen, auch das UG2002 daraufhin anzuschauen, ob es nicht auch positiv gelebt werden kann. Die Spielräume dafür, was die Universitäten tun können, sind viel größer als man glaubt. Nicht nur von oben geschehen Dinge oft nicht, auch wir selbst tun oft Dinge nicht.“
Viele der Forderungen bezüglich der Organisation des Hochschulwesens hält Schmidinger für einen Rückschritt "zum UG75“. Einig ist sich der Uniko-Präsident mit den Studierenden, dass für Universitäten und Fachhochschulen die gleichen Bedingungen gelten sollten, und dass die soziale Situation der Studierenden verbessert werden muss.