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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

1. 4. 2012 - 09:42

Freaks

Eier, Butter, Bier - Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz (15)

marc carnal

Was genau ist denn nun eigentlich ein Freak?
Im deutschen Privatfernsehen gibt es eine Reihe namens „Das Model und der Freak“. Die Definition von Model ist in der Sendung noch ganz schlüssig: Überhygienisierte Kosmetik-Dummies, die zwar keinen vollständigen Satz bilden können, sich aber als Expertinnen in der Kunst der Verführung ausgeben.

marc carnal

Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.

Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.

Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.

Termine findet man hier.

Die Freaks sind dagegen junge Männer, die ich eher als Nerds bezeichnen würde: Leicht verschrobene Junggesellen, die sich Steckenpferden wie Computerspielen, Literatur oder Heavy Metal widmen und bei der Partnersuche bisher von Fortuna ungeküsst blieben. Sich nach Zweisamkeit zu sehnen, die Gänze der Freizeit einem gängigen Hobby zu widmen und auf das eigene Aussehen nicht allzu großen Wert zu legen, ist jedenfalls alles andere als freaky, sondern beschreibt eher eine Mehrheit als einen exklusiven Zirkel.

All die anderen Schießbudenfiguren, die sich öffentlich gerne als besonders crazy oder schlicht anders darstellen wollen, sind stets das Gegenteil davon. Eine Andersartigkeit oder Verrücktheit, die von der Bevölkerung toleriert oder gutgeheißen wird, bedient stets ihre Normen und Werte. Da fällt mir Nina Hagen ein. Abgesehen von ihrer facettenreichen Singstimme und einer Handvoll annehmbarer Songs gilt Hagen seit Jahrzehnten als Innbegriff des Schrillen und Irren. Bei ihren Auftritten und Interviews gebärdet sie sich verlässlich wie eine biedere Hausfrau, die am Fasching zu tief in den Schminknapf greift und besonders ausgeflippt wirken möchte. Dabei spricht sie von Außerirdischen oder Gott und meint damit wohl dasselbe.

Ein wahrer Freak würde sich natürlich niemals freiwillig in die mediale Vitrine begeben. Er ist sich seiner tatsächlichen Absonderlichkeit bewusst und bemüht, diese zu kaschieren. Da seine Lebensweise, seine Interessen und Ansichten nicht mit jenen der Mehrheit vereinbar sind, führt er ein nach außen hin möglichst unauffälliges, redliches Leben, um in seiner Freizeit alleine oder höchstens mit einem Grüppchen Gleichgesinnter seinem exklusiven Denken oder Handeln nachzugehen. Jeder lernt - meist durch Zufall - in seinem Lebenslauf zwei, drei Menschen kennen, die wirklich seltsam sind und wird, wenn er sich deren Außenwirkung vor Augen führt, die letzten Zeilen bestätigen.

Nicht bestätigt werden meine Ausführungen über die Scheu der wahren Freaks vor Öffentlichkeit von einem Gegenbeispiel, das mir soeben eingefallen ist. Hermes Phettberg wurde Mitte der Neunziger durch knapp zwanzig Episoden seiner Talkshow berühmt und ist es, wenn auch verarmt und gesundheitlich schwer angeschlagen, noch heute. Ein übergewichtiger, depressiver Intellektueller und bekennender Sadomasochist als Showmaster war tatsächlich ein wohltuender Tabubruch. Als ich Herrn Phettberg vor einigen Jahren in seiner Wohnung besuchte, sah ich seine Authentizität als tatsächlicher Freak bestätigt. Seine Selbstdarstellung als Elender war nie Inszenierung. Allerdings betonte er auch, dass ihm sein Ruhm selbst das größte Rätsel war und ist. So war es wohl vor allem die Leistung von Kurt Palm, ausnahmsweise eine echte Schattengestalt ins künstliche Licht gezerrt zu haben. Ob es eine lobenswerte Leistung war, ist diskussionswürdig.

All die anderen Sonderlinge werden weiterhin ihr stilles Dasein fristen und uns nicht an ihrem sonderbaren Leben teilhaben lassen, außer, wir finden an einer Straßenecke einen dergestalt beschrifteten Karton, der gerade noch in die Kategorie „Erweiterte Einkaufsliste“ fällt. Dann denken wir: „Hui, das hat Freak-Potenzial“ und können das irritierende Dokument ohne weiteren Kommentar ins Internet stellen:

Editorische Notiz: Danke für den berechtigten Hinweis, dass Frau Grete unter Umständen keine Veröffentlichung ihrer Telefonnummer wünscht.

marc carnal