Erstellt am: 29. 3. 2012 - 17:27 Uhr
Am Kaleidoskop drehen
Einen 600-Seiten Roman ohne Klappentext und Autorenbiographie zu veröffentlichen ist mutig, vermarktungstechnisch zumindest. Den Roman dann mit "Das Universum ist groß" zu beginnen fast noch mutiger. Doch schon nach seiner letzten Publikation "Anleitung zum Fest" hat Lukas Meschik angekündigt, an etwas Größerem zu arbeiten.
Welch ein Ungetüm er zu fabrizieren trachtet, erläutert Meschik seinen LeserInnen mit dem Universum, denn das ist nicht nur groß, sondern außerdem schwer festzumachen, ohne Anfang und Ende und breite sich immer weiter aus. Seine Objekte "wirbeln und tanzen, miteinander, voneinander weg, und jedes für sich um die eigene Achse."
Meschik schreibt schlussendlich nicht über Himmelskörper, sondern richtet sein Kaleidoskop auf Wien. Beobachtungsobjekte sind etwa ein Dutzend Personen, die sieben Mitglieder der Gruppe der Sieben Gefahren etwa oder Justus Geheimnis. Letzerer ist damit beschäftigt, die Kreismaschine in Wien aufzustellen, der Large Hadron Collider aus dem CERN in Genf, die sieben Gefahren hingegen sind Schreibende, ChronistInnen der Gegenwart, die ihren Wortschwall ins All richten.
Julian Simonlehner
Kein Roman, sondern ein Assoziat
Dass Lukas Meschik "Luzidin oder Die Stille" nicht unbedingt als Roman versteht, kommt in selbst reflexiven Passagen, vorgetragen von der Figur Ulk, immer wieder heraus. Längst habe schon das Mosaikhafte Einzug gehalten, die neue Textsorte heiße Assoziat. "Eine Bündelung von Perspektiven, der einer Chronologie unterworfene Gedankenstrom. Ein Assoziat sind aufgezählte, planmäßig angeordnete Assoziationen. Kreisend um ein Thema, Erinnerung, Ereignis. Um die Katastrophe."
Diese Katastrophe wird nie explizit genannt, ist aber ständig präsent. In der Vereinsamung der Menschen, oder im Dröhnen, das sich in Justus Geheimnis' Kopf breit macht. Zeitebenen kommen durcheinander und phantastische Einsprengsel drängen in die Realität. Toni ist eines dieser Einsprengsel, das Haustier von Justus' Sohn. Er hat ein Fell und zwitschert, ist dabei aber weder Hund noch Wellensittich. Toni ist ein fünfhebiger Jambus, pflegeleicht und zu füttern mit Büchern.
Fiktion und Realität verschwimmen
Wie es zu diesen Eindringlingen in die Wahrnehmung gekommen ist, bleibt unklar, ein Unfall bei der Inbetriebnahme der Kreismaschine oder doch die Modedroge Luzidin. Das titelgebende Medikament wird erst nach über einem Drittel des Romans eingeführt, am Markt und im Roman, verbreitet sich dann aber sehr rasch. Luzidin ermöglicht den Klartraum, das Träumen bei Bewusstsein.
Jung und Jung Verlag
Die Unterscheidung von Traumsequenzen und Realität wird zunehmend schwerer, für die Figuren und die LeserInnen, vor allem weil Meschik beim Schütteln seines Kaleidoskops Schauplätze und ProtagonistInnen durcheinanderwürfelt. Im Interview erzählt Lukas Meschik, dass er ausloten wollte, was geht, um nicht den Überblick zu verlieren, gibt aber zu, dass es auch für ihn eine große Herausforderung gewesen ist. Die gibt er den LeserInnen weiter. Im Roman gibt es weder Kapitelüberschriften oder andere Gliederungen. Ab und zu fungieren Schlagzeilen als Trenner, sonst nur Textstrom.
Meschik ließ sich bei seiner Komposition von seinen Beobachtungen und seinen Eindrücken leiten, die er sammelt. In einer klaren Sprache abgebildet ergibt das schon eine Gesellschaftskritik. Das Schicksal eines Asylwerbers etwa, Integrationsprobleme, Gratiszeitungen oder der Zwang seinen Status in die Welt hinauszuschreien.
Ein Wienroman
Den meisten Input holt sich Meschik naturgemäß in Wien, und der Autor führt uns an die Orte, die ihm in Wien wichtig sind. Es sind nicht die Bauten an der Ringstraße, sondern eher die dunklen, düsteren Ecken der Stadt. Wien tritt bei Meschik auch personifiziert auf. Die Stadt entspricht all ihren Klischees, jammert am liebsten über all das, was nicht zu ändern ist, kocht ungesund und trinkt zu viel. Außerdem ist Wien so größenwahnsinnig, dass sie schließlich sogar Gott, der als sich selbst begattendes Zwitterwesen auftritt, zum Boxkampf fordert.
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Meschik selbst arbeitet sich nicht an Gott ab, sondern am Literaturbetrieb, auf den er einige seiner Personen schimpfen lässt. Vor allem auf die Literaturinstitute haben sie es abgesehen, dort würde Literatur zum Handwerk degeneriert und Schriftstellerei werde nur gespielt, anstatt das Schreiben zu leben.
All die Handlungsfäden, die Meschik auslegt, führt er zum Schluss wieder zusammen. Dank der hervorragenden Komposition behalten auch die LeserInnen meistens den Überblick, trots des Umfangs und der Komplexität des Romans. "Luzidin oder Die Stille" ist keine leichte Lektüre, aber eine lohnende.