Erstellt am: 28. 3. 2012 - 18:49 Uhr
Ein Wimmern drang aus der Folterkammer
"Trevor Jackson Presents: Metal Dance" wird heute, Mittwoch, im FM4 House Of Pain ab 22 Uhr vorgestellt.
Es gibt ein schönes Video der Band SPK, das die australische Gruppe bei einem Live-Auftritt für eine englische Fernseh-Show im Jahr 1984 zeigt: SPK performen ihren kleinen Hit „Metal Dance“ – dazu werden Ölfässer beklopft und behämmert, man erprobt die Qualitäten von Eisenschrott als Soundquelle. Irgendwann bedient einer der Musiker eine Trennscheibe, Funken fliegen, es brennt auch ein bisschen auf der Bühne. Dabei ist das Stück “Metal Dance“ jedoch immer Pop genug, rhythmisch straff und tanzbar organisiert, den Synthesizern entfährt eine Kraftwerk-hafte Melodie, Sängerin Sinan Leong haucht und gurrt, als wäre sie eben der Wave-Schule für erotisch aufgeladenen Ennui entsprungen. In diesem einen Moment, in diesem Song einer Band, deren Mitglieder im Brotberuf in einer psychiatrischen Klinik angestellt waren und die ihren Namen dem Manifest der marxistischen deutschen Gruppierung Sozialistisches Patientenkollektiv entlehnt hat, fallen die Bohrmaschinen-Arbeiten der Einstürzenden Neubauten und das Parfüm von Blondie in einer absurden Körpermusik zusammen.

Trevor Jackson
Eiserne Zeit
Ein besseres Stück, es ist hier freilich auch vertreten, einen besseren Titel als „Metal Dance“ für die neue von ihm kompilierte Zusammenstellung hätte Trevor Jackson nur kaum finden können. „Trevor Jackson Presents: Metal Dance – Industrial, Post Punk, EBM – Classics & Rarities 80 - 88“ nennt sich mit vollem Titel das in strengem Schwarz-Weiß-Grau gehaltene gute Stück, das als üppige Doppel- CD im Digi-Pack oder schön aufgemachtes Doppel-Vinyl daherkommt. Es geht hier also um eine tendenziell nervenaufreibende Musik, die an seinerzeit neuartigen elektronischen Gerätschaften zusammengelötet wurde und den erschütternden Anblick von Industrieruinen, Krise, Krieg und auch Privatdepression in Töne übersetzte - Musik aus einer dunkeln, kalten Zeit. Man möchte sich fragen, ob denn nun schon wieder die Zeit für das Revival des Post-Punk-Revivals gekommen ist. Gut zehn Jahre ist es jetzt schon wieder her, dass mit „In The Beginning There Was Rhythm“ und „New York Noise“ jene zwei Compilations erschienen sind, die die ganze Revitalisierung von Post-Punk und, auf der anderen Seite des Ozeans, New Yorker No Wave wohl als erste breitenwirksam angetriggert haben.

Severed Heads
Der Engländer Trevor Jackson jedoch ist immer schon ein Beförderer dieses Sounds gewesen, der an der Kippe der 70er Jahre bis hinein in die mittleren 80er die Trübsal eines bitteren Lebens mit unterkühltem Funk Richtung Dancefloor getragen hat. Mit seinem 2006 geschlossenen Label Output Recordings hat Jackson sich Anfang der Nuller Jahre an den interessanteren Außenrändern von Electroclash bewegt und mit von ihm veröffentlichten Acts wie Blackstrobe, Circlesquare, MU und den wahnwitzigen Suicide-Widergängern Dead Combo sowie in freundschaftlicher Verbundenheit mit DFA Records den Siegeszug von dieser, das vergangene Jahrzehnt gut dominierenden Angelegenheit namens "Dance-" oder "Disco-Punk" mitvorbereitet.
Als Designer - mittlerweile wieder Jacksons Hauptaufgabenbereich - hat er beispielsweise den elastischen Dancerock von Soulwax mit schon bei Erscheinen legendärem Coverartwork betreut, mit seinem eigenen musikalischen Projekt Playgroup sich der ekstatisch durchschwitzten Disco gewidmet und 2002 eine Ausgabe der renommierten DJ-Kicks-Reihe zusammengestellt, die etwa die damals noch kaum wiederentdeckten Weirdo-Postpunker Flying Lizards featurete oder dem Stück "House Of Jealous Lovers" von The Rapture, prominent platziert, zu größerer Bekanntheit verhalf.

Metal Dance
Tanz der Maschinen
Die Compilation "Metal Dance" spürt nun einem Geist und einer Zeit nach, die in der jüngeren Vergangenheit schon gut erforscht und ausgeleuchtet schienen. Einzig: Die Archive werden nicht leer, Jackson setzt den Fokus geringfügig anders und arbeitet das Element der Maschinellen, des Klinischen stärker heraus als viele einer ähnlichen Ästhetik zugetane Acts, Labels, Compilations oder DJs, die nicht selten das Leibhaftige der Musik betonen, die Seele, wenn man so will, mit Live-Percussions, dreizehn Kuhglocken und Bongos. "Metal Dance" jedoch - selbst wenn da und dort ordentlich gerasselt und geklopft wird - das heißt emotionale Dürre. Abenteuer im Zahnarztstuhl, das Artwork ist von S&M, Lackstiefeln und Fessel-Spielchen geprägt.
Gut dreißig Stücke hat Trevor Jackson zusammengetragen, vergleichsweise Bekanntes wie "Seconds Too Late" von den industriellen Säuligenheiligen Cabaret Voltaire, den unlikely Hit "Dead Eyes Opened" von den australischen Spinnern Severed Heads, Marschmusik von DAF oder Nitzer Ebb, sinistre Soundscapes von John Carpenter oder ein frühes Stück der Schweizer Gruppe Yello. Dazwischen pulsieren und zischen viele tatsächlich aus den hintersten Ecken der Plattensammlung gezogene Raritäten, die selbst Spezialauskennern der Materie unbekannt sein dürften. Ein Wimmern und Wummern dringt aus der Folterkammer, schmerzvoll verrutschte Sprachfetzen, der Rhythmus scheint mit dem Schlachtschuss-Apparat gebaut worden zu sein.
Weil diese Compilation jedoch nicht nur das Metall, sondern auch das Tanzen im Titel führt und Trevor Jackson Trevor Jackson ist, werden auf "Metal Dance" die experimentelleren Heimwerkerbastelstücke gleichberechtigt mit dem Beat aus der Todes-Disco ausbalanciert. Viele der Stücke sind hier in speziellen Edits oder floortauglicheren Dub-Versionen vertreten. Nicht selten haben wir es mit einer Umwidmung des Materials zu tun: Jackson hat mitunter die "groovigeren" Stücke von zuvorderst im Krach beheimateten Bands aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst und sie in die Zusammenhänge von Dance Music eingepasst. Es ist ein verstörender Tanz zwischen Goth, wirrem Maschinen-Schnaufen und geradelaufendem Proto-Techno. Eine Versammlung von Musik, mit der jetzt so wohl kaum jemand gerechnet hat. Ein Fingernägelkratzen an der Schiefertafel, es kommt unerwartet und fließt dann so schön unangenehm die Wirbelsäule hinunter.