Erstellt am: 28. 3. 2012 - 14:45 Uhr
Wer hat Angst vor Inan Türkmen?
Lukas Beck / edition a
„Wohin gehst du? Hier ist nichts mehr frei! Das ist mein Land.“ Singt die umstrittene Band Rammstein in ihrer aktuellen Single „Mein Land“. Wenn man zynisch ist, könnte man die Reaktion auf das Buch „Wir kommen“ von Inan Türkmen mit diesem Zitat gut zusammenfassen. Vom Verlag als „Anti-Sarrazin“ kräftig inszeniert, schaffte es der junge Autor mit seinem dünnen Büchlein in alle österreichischen Medien. Mit seinem Auftritt in der ZIB 24 gab es sogar einen seltenen Moment, wo „Austro“-wasauchimmer Menschen jenseits von „Heimat fremde Heimat“ im ORF Programm zu sehen und zu hören waren. Ein Erfolg auf aller Linie für den Autor und den Verlag.
Die ausgelöste Reaktion ist aber der größte Erfolg. Ein Monat nach der Veröffentlichung ist die Diskussion nicht abgekühlt, wie ein Kommentar des türkischen Journalisten Burak Bekdil in der „Presse“ am 24.03.2012 zeigt. Nicht anders als seine österreichischen KollegInnen nimmt Bekdil den Vergleich zwischen Türkmen und Sarrazin ernst. Wobei er letzteren deutlich verharmlost und dessen Thesen mit einem „na und?“ kommentiert. Gefährlicher scheinen hier die 96 Seiten eines 24-jährigen Studenten, der mit seinem Buch nicht mehr liefert als eine satirische Perspektive, die die Integrationsdebatte dringend braucht.
Und obwohl dieses dünne Buch keinen Anspruch auf Neutralität oder gar Wissenschaftlichkeit erhebt wie Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“, ist die Reaktion heftig. Aber wieso?
Es ist nicht der Inhalt, der für die Aufregung sorgt, sondern der Titel und sein Autor. Hier taucht plötzlich einer auf, der normalerweise in der Unsichtbarkeit verschwindet. Inan Türkmen ist kein Austro-Irgendwas, kein Türke oder Kurde. Er ist in erster Linie jemand, der hier von einem großen Teil der Gesellschaft als „Fremder“ wahrgenommen wird. Er gehört einer Gruppe von Fremden an, über die täglich berichtet, diskutiert und gestritten wird. Die Gruppe der Fremden in Österreich ist dennoch eine passive, relativ unsichtbare Gruppe. Die Zahl ihre VertreterInnen ist gering. Sie tauchen ab und zu in den Medien, vor allem in gesicherten Umgebungen wie „Heimat fremde Heimat“ auf und fordern mehr Toleranz.
Lukas Beck / edition a
Manche der VertrerInnen tauchen als erfolgreiche „neue Österreicher“ auf. Sie sind - nach dem Verständnis der Mehrheitsgesellschaft - perfekt integriert, machen keine Probleme mehr und fordern Integration durch Leistung. Was diese VertrerInnen gemeinsam haben, ist, dass sie zu den Diskussionen stets eingeladen werden. Sie tauchen nicht ohne Einladung auf.
Inan Türkmen hingegen ist einer, der ohne Einladung erschienen ist. Damit erinnert er auch ein bisschen an den türkischen Botschafter Tezcan, der ähnliche Reaktionen hervorgerufen hat. Ein erfolgreicher, junger „Fremder“, der gutes Deutsch beherrscht, gut „integriert“ ist, nach eigenen Angaben nur österreichische Freundinnen hatte, ist unzufrieden. Das ist eine Situation, mit der die Mehrheitsgesellschaft nicht klar kommt. Türkmen ist einer, der alle Regeln befolgt und alles richtig gemacht hat. Er ist perfekt integriert und trotzdem ist er unglücklich. Er will mehr als nur integriert sein. Er will Anerkennung und er will an Diskussionen teilnehmen können, ohne auf eine Einladung warten zu müssen.
Genau das sorgt für Aufregung. Türkmen kommt nicht, er ist schon längst angekommen. Türkmen ist nur ein Beispiel aus einer Gruppe, die immer größer wird und nicht mehr unsichtbar bleiben will. Daran muss sich die österreichische Mehrheitsgesellschaft anscheinend noch gewöhnen, denn bisher lautet die Reaktion wie der Refrain von Rammstein: „Du bist hier in meinem Land.“